»Die Ausfuhrgenehmigung?«, fragt Saga und steht auf.
»Ja«, antwortet Carlos lächelnd.
»Was hat er nach der Besprechung vor?«, fragt Joona.
»Er hat …«
Carlos verstummt und sieht Joona erstaunt an.
»Woher weißt du, dass er nach seiner Besprechung etwas vorhat?«, fragt er dann. »Die Sekretärin meinte, Axel Riessen habe sich Urlaub genommen, um an der Küste entlang nach Kaliningrad zu segeln. Er kann sich von Raphael Guidi eine Forgus leihen.«
»Klingt doch super«, kommentiert Svanehjälm und steht auf.
»Idioten«, faucht Saga und tritt den Papierkorb um. »Ihr werdet doch zumindest kapieren, dass man ihn zu dem Anruf gezwungen hat.«
»Wir können uns hoffentlich wie Erwachsene benehmen«, murrt Carlos.
Er stellt den Papierkorb wieder hin und hebt den Müll auf, der auf den Fußboden gefallen ist.
»Dann sind wir hier fertig – oder?«, sagt Svanehjälm ernst.
»Axel Riessen wird auf Raphael Guidis Jacht gefangen gehalten«, sagt Joona. »Geben Sie uns die nötigen Mittel, ihn zurückzuholen.«
»Vielleicht bin ich ja ein bisschen blöd, aber ich sehe nicht den geringsten Grund, irgendwelche Maßnahmen zu ergreifen«, sagt Jens Svanehjälm und verlässt den Raum.
Sie sehen ihn in aller Ruhe die Tür hinter sich schließen.
»Entschuldige, dass ich ausgeflippt bin«, sagt Saga zu Carlos. »Aber da stimmt was nicht, wir glauben nicht, dass Axel Riessen diese Ausfuhrgenehmigung unterschreiben würde.«
»Saga, ich habe zwei Juristen auf die Sache angesetzt«, erklärt Carlos ruhig. »Sie konnten nur eins feststellen, dass die Unterlagen zu Silencia Defence’ Exportantrag perfekt sind, sehr sorgsam ausgearbeitet und …«
»Wir haben doch ein Foto, auf dem Palmcrona und Salman sich mit Raphael Guidi und Agathe al-Haji treffen, um …«
»Das weiß ich«, unterbricht Carlos sie. »Das war des Rätsels Lösung, jetzt kennen wir die Antwort, aber ohne Beweise kommen wir nicht weiter, wir müssen immer noch nachweisen, was wir wissen, und dazu reicht das Bild nicht aus.«
»Dann sollen wir also Däumchen drehen und zusehen, wie dieses Containerschiff Schweden verlässt, obwohl wir wissen, dass die Munition unterwegs ist zu einem Völkermord im Sudan?«, fragt Saga empört.
»Seht zu, dass ihr Pontus Salman herschafft«, antwortet Carlos. »Bringt ihn dazu, gegen Guidi auszusagen, versprecht ihm das Blaue vom Himmel herunter, Hauptsache, er sagt aus …«
»Und wenn er das nicht tut, wenn er sich weigert?«, fragt Saga.
»Dann können wir nichts tun.«
»Wir haben noch einen Zeugen«, sagt Joona.
»Diesen Zeugen sehe ich mir gerne an«, erwidert Carlos skeptisch.
»Wir müssen ihn nur noch holen, bevor man ihn vor Kaliningrad aus dem Meer fischt.«
»Diesmal bekommst du deinen Willen nicht, Joona.«
»Doch.«
»Nein.«
»Doch«, sagt Joona hart.
Carlos sieht Joona mit traurigen Augen an.
»Davon werden wir den Staatsanwalt nie und nimmer überzeugen können«, sagt er nach einer Weile. »Aber da ich nicht den Rest meines Lebens Zeit habe, hier herumzusitzen und Nein zu sagen, während du doch sagst …«
Er verstummt, seufzt, denkt kurz nach und fährt dann fort:
» … erlaube ich dir, alleine nach Axel Riessen zu suchen, um dich zu vergewissern, dass es ihm gut geht.«
»Joona braucht Unterstützung«, ruft Saga.
»Das ist kein Polizeieinsatz, es ist nur eine Methode, Joona davon abzuhalten, weiter herumzumeckern«, entgegnet Carlos und breitet die Arme aus.
»Aber Joona wird …«
»Ich möchte«, unterbricht Carlos sie, »ich möchte, wie gesagt, dass ihr Pontus Salman aus Södertälje herholt … Denn sobald uns eine glaubwürdige Zeugenaussage vorliegt, sorge ich dafür, dass alle Hebel in Bewegung gesetzt werden, um Raphael Guidi ein für alle Mal das Handwerk zu legen.«
»Dazu haben wir keine Zeit«, sagt Joona und geht zur Tür.
»Ich kann Pontus Salman alleine vernehmen«, erklärt Saga.
»Und Joona? Was soll …«
»Ich werde Raphael Guidi besuchen«, sagt Joona und verlässt den Raum.
99
Der Lohn
Nachdem er längere Zeit bewegungsunfähig im Kofferraum eines Wagens gelegen hat, darf Axel Riessen endlich aufstehen und hinauskommen. Er befindet sich auf einem privaten Flugplatz. Die Landebahn ist aus Beton und von einem hohen Zaun umgeben. Vor einem barackenartigen Gebäude mit einem hohen Mast wartet ein Hubschrauber.
Während Axel zwischen den beiden Männern geht, die ihn entführt haben, hört er die klagenden Rufe von Sturmmöwen. Er träg nach wie vor nur Hemd und Hose. Es gibt nichts zu sagen, er geht bloß mit und besteigt den Hubschrauber, setzt sich und schnallt sich an. Die beiden anderen Männer nehmen im Cockpit des Hubschraubers Platz, der Pilot legt einen Schalter um, dreht einen kleinen glänzenden Schlüssel auf dem Armaturenbrett, legt daraufhin einen weiteren Schalter um und tritt ein Pedal herunter.
Der Mann neben dem Piloten greift nach einer Karte und legt sie sich auf den Schoß.
An der Cockpitscheibe hängt ein Streifen Klebeband, der sich allmählich löst.
Der Motor dröhnt, und kurz darauf setzt sich der Rotor langsam in Bewegung. Die schmalen Blätter schwingen träge durch die Luft, das diesige Sonnenlicht wird vom Glas reflektiert. Nach und nach dreht sich der Rotor immer schneller.
Ein Pappbecher rollt davon.
Der Motor kommt allmählich auf Touren. Es knattert ohrenbetäubend. Der Pilot hält den Steuerknüppel mit der rechten Hand, verschiebt ihn mit kleinen, eckigen Bewegungen, dann heben sie ab.
Anfangs steigt der Hubschrauber ganz sachte fast senkrecht in die Höhe. Dann kippt er nach vorn und nimmt Fahrt auf.
Als sie am Zaun vorbei und über die Bäume hinwegfliegen und so steil nach links abdrehen, dass es Axel vorkommt, als kippte der Hubschrauber zur Seite, bekommt er ein flaues Gefühl im Magen.
Sie fliegen schnell über die grüne Erde, lassen einzelne Straßen und ein Haus mit einem glänzenden Blechdach hinter sich.
Das Festland endet, und das gekräuselte bleigraue Meer beginnt.
Axel versucht erneut zu verstehen, was mit ihm geschieht. Es fing damit an, dass er mit Raphael Guidi telefonierte, der sich auf seiner Jacht im Finnischen Meerbusen befand und mit Kurs auf Lettland weiter auf die Ostsee hinausfuhr. Von seiner Weigerung, die Ausfuhrgenehmigung zu unterzeichnen, bis zum Einbruch der beiden Männer in sein Haus und zu der Elektroschockpistole an seinem Hals kann kaum mehr als eine Minute vergangen sein.
Die Männer sind die ganze Zeit behutsam mit ihm umgegangen und haben stets dafür gesorgt, dass er bequem gelegen hat.
Nach einer halben Stunde hielten sie an und trugen ihn zu einem zweiten Wagen.
Ungefähr eine Stunde später durfte er eigenständig über die asphaltierte Landebahn voller Ölflecken gehen und in dem Hubschrauber Platz nehmen.
Das monotone Meer huscht schnell wie das Band einer Autobahn unter ihnen vorbei. Der Himmel darüber wirkt unbeweglich, bewölkt und feucht weiß. Sie fliegen mit großer Geschwindigkeit in etwa fünfzig Metern Höhe. Der Pilot ist über Funk mit jemandem verbunden, aber Axel Riessen kann nicht verstehen, was er sagt.
Er döst eine Weile und weiß nicht, wie lange er in dem Hubschrauber unterwegs gewesen ist, als er auf der gekräuselten See eine grandiose Luxusjacht erblickt, ein riesiges weißes Schiff mit einem hellblauen Swimmingpool und mehreren Sonnendecks, dem sie schnell näher kommen.
Axel ruft sich in Erinnerung, dass Raphael Guidi ein schwerreicher Mann ist, er lehnt sich vor, um eine bessere Sicht auf die Jacht zu bekommen. Es ist das unglaublichste Seefahrzeug, das er je gesehen hat. Schlank und spitz zulaufend wie eine Flamme, weiß wie Zuckerguss. Das Schiff ist sicher mehr als hundert Meter lang und verfügt zwei Etagen über dem Achterdeck über eine pompöse Kommandobrücke.
Donnernd sinken sie zu den Kreisen, die den Hubschrauberlandeplatz markieren, auf dem Vordeck hinab. Die Rotorblätter sorgen dafür, dass die Kielwellen des Schiffs ihre Richtung ändern, lassen sie flacher werden und peitschen sie fort.