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»Dann bist du dir in Bezug auf die Todesursache also sicher?«, fragt Joona und sieht Åhlén in die Augen.

»Womit hattest du eigentlich gerechnet?«

»Das hier«, antwortet Joona zögernd und legt den Finger auf die Mappe mit dem Obduktionsbericht, »ist haargenau das, womit ich gerechnet habe, aber gleichzeitig ist da etwas, was mich einfach nicht loslässt.«

Åhlén lächelt schmallippig.

»Nimm den Bericht mit und lies ihn als Gutenachtgeschichte.«

»Okay«, erwidert Joona.

»Ich glaube allerdings, dass du Palmcrona vergessen kannst … etwas Spannenderes als einen Selbstmord wirst du nicht finden.«

Åhléns Lächeln erstirbt, und sein Blick senkt sich, Joonas Blick dagegen ist weiter scharf, konzentriert.

»Du hast sicher recht«, sagt er.

»Ja«, antwortet Åhlén. »Und wenn du willst, kann ich für dich gerne noch ein bisschen spekulieren. Carl Palmcrona war höchstwahrscheinlich depressiv, denn seine Fingernägel waren ungepflegt und schmutzig, die Zähne hatte er sich seit Tagen nicht mehr geputzt und er war unrasiert.«

»Ich verstehe«, sagt Joona und nickt.

»Du darfst ihn dir gerne ansehen.«

»Nein, das wird nicht nötig sein«, erwidert Joona und steht schwerfällig auf.

Åhlén lehnt sich vor und erklärt mit erwartungsvoller Stimme, so als hätte er sich auf diesen Moment gefreut:

»Heute Morgen habe ich etwas wesentlich Spannenderes hereinbekommen. Hast du noch ein paar Minuten Zeit?«

Er erhebt sich und gibt Joona zu verstehen, dass er mitkommen soll. Joona folgt ihm den Korridor entlang. Ein hellblauer Schmetterling hat sich ins Haus verirrt und flattert vor ihnen her.

»Ist dieser eine Typ eigentlich nicht mehr hier?«, erkundigt sich Joona.

»Wer?«

»Der früher bei euch war, er hatte einen Pferdeschwanz und …«

»Frippe? Doch, verdammt. Der muss bei uns bleiben. Er hat heute bloß frei. Gestern hat in der Globen-Arena Megadeath mit Entombed als Vorgruppe gespielt.«

Sie durchqueren einen dunklen Saal mit einem Obduktionstisch aus rostfreiem Stahl. Es riecht beißend nach Desinfektionsmittel. Dann betreten sie einen kühleren Raum, in dem die Leichen in gekühlten Schubfächern verwahrt werden.

Åhlén öffnet eine Tür und schaltet die Deckenbeleuchtung ein. Die Neonröhren flackern auf und verbreiten ihr Licht in einem weiß gekachelten Saal, in dem ein langer plastiküberzogener Obduktionstisch mit einem Doppelbecken und Abflussrinnen steht.

Auf dem Tisch liegt eine sehr schöne junge Frau.

Ihre Haut ist sonnengebräunt, die langen schwarzen Haare ringeln sich in dichten, glänzenden Locken auf Stirn und Schultern. Sie scheint mit einer Mischung aus Zweifel und Verblüffung in den Raum zu blicken.

Da ist ein verschmitzter Zug um ihre Mundwinkel wie bei einem Menschen, der häufig lächelt oder lacht.

Aus ihren großen dunklen Augen ist jedoch aller Glanz verschwunden. Es haben sich bereits bräunlich gelbe Flecken in ihnen gebildet.

Joona betrachtet die Frau auf dem Tisch. Er denkt, dass sie kaum älter als neunzehn, zwanzig Jahre sein kann. Vor nicht allzu langer Zeit war sie ein kleines Kind, das bei seinen Eltern schlief. Dann wurde aus ihr ein Schulmädchen, und nun ist sie tot.

Über der Brust der Frau, auf der Haut über dem Brustbein, sieht man schwach eine gebogene Linie, die wie ein fröhlicher, grau aufgemalter Mund von ungefähr dreißig Zentimeter Länge aussieht.

»Was ist das für ein Strich?«, fragt Joona.

»Keine Ahnung, vielleicht der Abdruck einer Halskette oder der Saum eines Sweaters, das werde ich mir später ansehen.«

Joona betrachtet den leblosen Körper, atmet tief durch und fühlt sich wie immer angesichts der unausweichlichen Tatsache des Todes von einer Düsternis übermannt, die wie bleiche Einsamkeit ist.

Das Leben ist so furchtbar zerbrechlich.

Ihre Finger- und Zehennägel sind in einem beigerosa Ton lackiert.

»Und was ist jetzt das Besondere an ihr?«, fragt er nach einem kurzen Moment.

Åhlén wirft Joona einen ernsten Blick zu, und als er sich erneut der Leiche zuwendet, blitzt seine Brille auf.

»Die Wasserschutzpolizei hat sie hergebracht«, erläutert er. »Als man sie fand, saß sie auf der Koje im Vorpiek einer großen Motorjacht, die in den Schären trieb.«

»Tot?«

Åhlén begegnet seinem Blick, und seine Stimme klingt auf einmal melodisch.

»Sie ist ertrunken, Joona.«

»Ertrunken?«

Åhlén nickt und lächelt, seine Mundwinkel zittern.

»Sie ist an Bord eines treibenden Boots ertrunken«, sagt er.

»Wahrscheinlich hat sie jemand im Wasser gefunden und an Bord getragen.«

»Sicher, aber wenn ich das glauben würde, hätte ich deine kostbare Zeit nicht beansprucht«, erwidert Åhlén.

»Worum geht es?«

»Es gibt an ihrem übrigen Körper keinerlei Spuren von Wasser – ich habe die Kleider zur Analyse geschickt, aber das Labor wird auch nichts finden.«

Åhlén verstummt, blättert ein wenig in den Ergebnissen der vorläufigen Äußeren Besichtigung und schielt danach zu Joona hinüber, um zu sehen, ob es ihm gelungen ist, dessen Neugier zu wecken. Joona steht vollkommen still, sein Gesicht ist auf einmal verändert. Er betrachtet den toten Körper mit wacher, registrierender Miene. Plötzlich nimmt er sich ein Paar unbenutzter Latexhandschuhe aus einem Karton und zieht sie an. Åhlén sieht sehr zufrieden aus, als Joona sich über das Mädchen beugt und vorsichtig ihre Arme anhebt und sie studiert.

»Du wirst keine Spuren von Gewaltanwendung finden«, erklärt Åhlén fast lautlos. »Es ist unbegreiflich.«

11

Im Vorpiek

Die große Motorjacht liegt am Kai der Wasserschutzpolizei auf der Insel Dalarö. Weiß und glänzend liegt sie zwischen zwei Polizeibooten vertäut.

Die hohen Stahltore zum Hafengelände stehen offen. Joona fährt langsam den Kiesweg hinunter, an einem kleinen Transporter und einem Hebekran mit einer rostigen Winsch vorbei. Er parkt, steigt aus dem Wagen und nähert sich der Jacht.

Ein Boot wird verlassen in den Schären treibend gefunden, denkt Joona. In der Kajüte im Vorpiek sitzt ein Mädchen, es ist ertrunken. Das Boot schwimmt, aber die Lunge der jungen Frau ist mit brackigem Meerwasser gefüllt.

Vorerst Abstand haltend bleibt Joona stehen und betrachtet die Motorjacht. Der Bug ist schwer beschädigt, offensichtlich nach einem heftigen Zusammenstoß. Tiefe Schrammen laufen über den Steven, der Lack ist abgeschabt, und Glasfiberspäne ragen heraus.

Er wählt die Nummer Lennart Johanssons von der Wasserschutzpolizei.

»Lance«, meldet sich eine hellwache Stimme.

»Spreche ich mit Lennart Johansson?«, fragt Joona.

»Ja, das bin ich.«

»Ich heiße Joona Linna. Landeskripo.«

Am anderen Ende herrscht Stille. Joona hört ein Geräusch, das wie das Plätschern von Wellen klingt.

»Die Motorjacht, die ihr abgeschleppt habt«, sagt Joona. »Ich wüsste gern, ob sie Wasser aufgenommen hat.«

»Wasser?«

»Der Bug ist beschädigt.«

Joona tritt einige Schritte näher an das Boot heran und hört Lennart Johansson in einem resignierten Ton erklären:

»Dear Lord, wenn ich Geld für jeden Besoffenen bekäme, der sein Boot zu Klump …«

»Ich muss mir das Boot ansehen«, unterbricht Joona ihn.

»In groben Zügen läuft das in der Regel so«, sagt Lennart Johansson. »Wir haben da ein paar Jugendliche aus … was weiß ich, Södertälje. Sie klauen ein Boot, holen ein paar Mädels ab, fahren durch die Gegend, hören Musik, feiern und trinken, was das Zeug hält. Irgendwann rauschen sie irgendwo gegen, es ist ein ziemlich harter Aufprall und das Mädel, stolpert und landet im Wasser. Die Jungen stoppen das Boot, fahren zurück, finden sie und ziehen sie an Deck. Als sie kapieren, dass sie tot ist, geraten sie in Panik und machen sich dermaßen in die Hose, dass sie einfach abhauen.«