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Lennart verstummt und wartet auf eine Reaktion.

»Keine schlechte Theorie«, sagt Joona bedächtig.

»Nicht wahr?«, erwidert Lennart munter. »Glauben Sie mir, und Sie ersparen es sich, nach Dalarö rauszufahren.«

»Zu spät«, sagt Joona und geht auf das Boot der Wasserschutzpolizei zu.

Es ist ein Kampfboot 90 E, das achtern von der Motorjacht vertäut liegt. Ein etwa fünfundzwanzigjähriger Mann mit nacktem, sonnengebräuntem Oberkörper steht mit einem Handy am Ohr auf dem Deck.

»Suit yourself«, hört Joona ihn in das Handy sagen. »Sie brauchen nur telefonisch einen Termin für ein Sightseeing auszumachen.«

»Ich bin aber jetzt hier – und ich denke, ich sehe Sie, jedenfalls wenn Sie an Bord eines Boots der Wasserschutzpolizei stehen …«

»Sehe ich aus wie ein Surfer?«

Der sonnengebräunte Mann lächelt und kratzt sich an der Brust.

»Ehrlich gesagt, ja«, antwortet Joona.

Die beiden Männer stecken ihre Handys ein und gehen aufeinander zu. Während Joona über die Laufplanke geht, streift Lennart Johansson sich ein kurzärmliges Uniformhemd über.

Joona hält den Daumen und den kleinen Finger in einer Surfergeste hoch. Lennart lächelt mit weißen Zähnen im braun gebrannten Gesicht:

»Ich surfe, sobald auch nur ein bisschen Wellengang da ist – deshalb werde ich Lance genannt.«

»Dann ist mir alles klar«, bemerkt Joona trocken.

»Nicht wahr«, sagt Lennart lachend.

Sie gehen zu der Jacht hinüber und bleiben an der Laufplanke auf dem Kai stehen.

»Ein Storebro 36, Royal Cruiser«, erklärt Lennart. »Ein gutes Boot, aber ziemlich heruntergekommen. Registriert auf einen Björn Almskog.«

»Haben Sie mit ihm gesprochen?«

»Dazu sind wir noch nicht gekommen.«

Sie mustern die Schäden am Bug der Jacht, die ganz frisch zu sein scheinen. Zwischen den Glasfiberspänen wachsen noch keine Algen.

»Ich habe einen Kriminaltechniker herbestellt – er müsste gleich da sein«, sagt Joona.

»Das Boot hat ordentlich was abbekommen«, sagt Lance.

»Wer ist an Bord gewesen, seit die Jacht gefunden wurde?«

»Niemand«, antwortet Lance schnell.

Joona lächelt und wartet geduldig.

»Ich natürlich«, erklärt Lennart Johansson schließlich. »Und mein Kollege Sonny. Und die Rettungssanitäter natürlich, die gekommen sind, um die Leiche zu holen. Und unser Kriminaltechniker, aber er hat Trittplatten und Schutzkleidung benutzt.«

»Waren das alle?«

»Abgesehen von dem alten Mann, der das Boot gefunden hat.«

Joona erwidert nichts, blickt auf das schimmernde Wasser hinab und denkt an das Mädchen, das in der Rechtsmedizin auf dem Obduktionstisch gelegen hat.

»Wissen Sie, ob der Techniker auf allen Oberflächen Spuren gesichert hat?«

»Mit dem Fußboden ist er fertig, und den Fundort hat er fotografiert.«

»Dann gehe ich an Bord.«

Eine schmale, abgewetzte Laufplanke liegt zwischen Kai und Boot. Joona geht an Bord und bleibt kurz auf dem Achterdeck stehen. Er schaut sich in aller Ruhe um, lässt sachte den Blick über alle Gegenstände schweifen. Es ist das erste und einzige Mal, dass er den Tatort wie neu, jungfräulich sehen wird. Jedes Detail könnte entscheidend sein. Schuhe, der umgekippte Liegestuhl, das Badehandtuch, ein in der Sonne ausgeblichenes Taschenbuch, ein Messer mit einem roten Plastikgriff, ein Eimer an einer Kordel, ein Sack mit Grillkohle, eine Zinkwanne mit einem Neoprenanzug darin, Flaschen mit Sonnencreme und Lotion.

Er schaut durch das große Fenster und erahnt den Salon mit dem Steuer und die Einrichtung aus lackiertem Holz. Betrachtet man die Glastür aus einem bestimmten Winkel, werden durch das Licht, das hindurchfällt, Fingerabdrücke sichtbar, Abdrücke von Händen, die diese Tür aufgestoßen und wieder zugedrückt oder sich abgestützt haben, wenn das Boot gekrängt hat.

Joona betritt den kleinen Salon. Die Nachmittagssonne schimmert auf Lack und Chrom. Auf den Sofas mit Polstern aus marineblauem Stoff liegen ein Cowboyhut und eine Sonnenbrille.

Wasser schlägt gluckernd gegen den Rumpf.

Joona lässt den Blick über den abgewetzten Fußboden im Salon und die schmale Treppe zum Bug hinunterschweifen. Dort unten ist es so finster wie in einem tiefen Brunnen. Er sieht erst etwas, als er seine Taschenlampe einschaltet. Der eisige, klar abgegrenzte Lichtstrahl erhellt die steile, glänzende Passage. Das rote Holz leuchtet feucht wie das Innere eines Körpers. Joona steigt die knarrenden Stufen hinab, denkt an die junge Frau und stellt sich vor, dass sie auf der Jacht allein war, vom Bug aus ins Wasser gesprungen ist, sich den Kopf an einem Stein gestoßen und Wasser in die Lunge eingesogen, es aber trotzdem wieder an Bord geschafft, den nassen Bikini aus- und trockene Kleider angezogen hat. Vielleicht hat sie sich dann müde gefühlt und ist zu ihrem Bett hinuntergegangen, ohne zu begreifen, wie kritisch ihr Zustand ist, ohne zu erkennen, dass sie eine Blutung erlitten hat, die in einem rasenden Tempo den Druck auf ihr Gehirn erhöht.

Aber dann hätte Åhlén Spuren des brackigen Wassers an ihrem Körper gefunden.

So kann es sich also nicht abgespielt haben.

Joona steigt weiter die Stufen hinunter und geht an Pantry und Badezimmer vorbei zur großen Kajüte.

Obwohl die Leiche in die Pathologie gebracht worden ist, hängt noch die Aura des Todes in der Luft. Es ist jedes Mal das gleiche Gefühl. Schweigend starren die Dinge ihn an, sind erfüllt von Schreien, Kampf und Stille.

Plötzlich knarrt das Boot seltsam und scheint sich zur Seite zu neigen. Joona wartet einen Moment, lauscht, setzt dann seinen Weg zum Vorpiek fort.

Sommerliches Licht fällt durch die kleinen Fenster unter der Decke auf ein Doppelbett, dessen Kopfende spitz zuläuft und sich so der Form des Bugs anpasst. Hier wurde sie aufrecht sitzend gefunden. Auf dem Fußboden steht eine offene Sporttasche, ein gepunktetes Nachthemd ist ausgepackt worden. Hinter der Tür liegen eine Jeans und eine dünne Strickjacke. Eine Schultertasche hängt an einem Haken.

Das Boot schaukelt erneut und über seinem Kopf rollt eine Glasflasche über das Deck.

Joona fotografiert die Tasche mit seinem Handy aus verschiedenen Blickwinkeln. Durch das Blitzlicht zieht sich der kleine Raum zusammen, so als kämen Wände, Boden und Decke für Sekundenbruchteile einen Schritt näher.

Vorsichtig hebt er die Tasche vom Haken und trägt sie nach oben. Die Treppe knarrt unter seinem Gewicht. Aus dem Freien dringt metallisches Klirren an sein Ohr. Als er in den Salon hinaufkommt, huscht ein Schatten über die Glastüren. Joona reagiert schnell und weicht einen Schritt zurück, ins Dunkel der Treppe hinab.

12

Ein ungewöhnlicher Tod

Joona Linna steht vollkommen still auf der dunklen Treppe, die zur Pantry und zum vorderen Schlafzimmer der Jacht führt. Von dieser Position aus überblickt er den untersten Abschnitt der Glastüren und einen Teil des Achterdecks. Ein Schatten huscht über das staubige Glas, und plötzlich wird eine Hand sichtbar. Jemand kriecht langsam vorwärts. In der nächsten Sekunde erkennt Joona Erixons Gesicht. Dem Kriminaltechniker laufen Schweißtropfen die Wangen herab, als er rund um die Tür Gelatinefolie auslegt.

Joona geht mit der Tasche aus dem Schlafzimmer in den Salon hinauf. Vorsichtig leert er den Inhalt auf dem kleinen Tisch aus Edelholz aus. Dann nimmt er mit seinem Stift das rote Portemonnaie auf. In einem zerkratzten Plastikfach steckt ein Führerschein. Er schaut genauer hin und sieht ein hübsches, ernstes Gesicht im Blitzlicht eines Automaten. Die Frau sitzt leicht zurückgelehnt, als blickte sie zum Betrachter hoch. Sie hat dunkle, lockige Haare. Er erkennt das Mädchen aus dem Obduktionssaal, die gerade Nase, die Augen, die südamerikanischen Züge.

»Penelope Fernandez«, liest er und meint, den Namen schon einmal gehört zu haben.

In Gedanken kehrt er in die Pathologie und zu dem nackten Körper auf dem Tisch in dem gekachelten Raum zurück, zum Leichengeruch, den schlaffen Zügen in einem Gesicht jenseits des Schlafs.

Draußen, in der Sonne, verschiebt sich Erixons voluminöser Körper Zentimeter für Zentimeter, während er auf der Reling Fingerabdrücke sichert, mit Magnetpulver bepinselt und mit Tape abnimmt. Vorsichtig wischt er eine feuchte Oberfläche trocken, tröpfelt SPR-Lösung darauf und fotografiert die auftauchenden Abdrücke.