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Joona denkt an die Absicht, den Treibstofftank explodieren zu lassen, und versucht, die Logik hinter diesem Plan zu verstehen. Viola wurde in der Zinkwanne auf dem Achterdeck ertränkt, der Täter hat sie hinuntergetragen und auf dem Bett zurückgelassen.

Joona erkennt, dass er zu viele Gedanken auf einmal zulässt. Er muss versuchen, sein Wissen und die vielen Fragen, auf die er Antworten sucht, zu strukturieren.

Er umkringelt Violas Namen ein zweites Mal und fängt noch einmal von vorne an. Er weiß also, dass Viola Fernandez in einem Waschzuber ertränkt und auf dem Bett im Vorpiek platziert wurde und Penelope Fernandez und Björn Almskog bislang nicht ausfindig gemacht werden konnten. Aber das ist nicht alles, sagt er sich und schlägt das nächste Blatt auf.

Details.

Er schreibt das Wort »Windstille« aufs Papier.

Es regte sich kein Lüftchen in jener Nacht und als das Boot gefunden wurde, trieb es in der Nähe von Storskär.

Die Jacht ist nach einer ziemlich heftigen Kollision am Bug beschädigt. Die Kriminaltechniker haben vermutlich Spuren gesichert und Abgüsse gemacht, um Entsprechungen zu den Schäden zu finden.

Joona schleudert Åhléns Notizblock mit Wucht gegen die Wand und schließt die Augen.

»Perkele«, flüstert er.

Gerade ist ihm wieder etwas durch die Finger geglitten, er hatte es, er weiß, dass er fast eine entscheidende Beobachtung zu fassen bekommen hätte. Er hat etwas geahnt, fast verstanden, es dann aber doch wieder verloren.

Viola, denkt Joona. Du bist auf dem Achterdeck der Jacht gestorben. Warum wurdest du nach deinem Tod an einen anderen Ort gebracht? Wer hat dich dorthin geschafft? Der Mörder oder eine andere Person?

Wenn man sie leblos an Deck findet, versucht man vielleicht, sie wiederzubeleben, man wählt den Notruf an, das sind so die Dinge, die man dann tut. Und wenn man erkennt, dass sie tot ist, dass es zu spät ist und sie nicht mehr lebendig wird, dann würde man sie vielleicht nicht einfach liegen lassen wollen, man würde sie hineintragen, sie zudecken wollen. Aber ein toter Mensch ist schwer und selbst zu zweit nur mit Mühe zu tragen. Es wäre vielleicht noch denkbar gewesen, sie in den Salon zu bringen. Bis dahin sind es nur fünf Meter, durch die breite Glastür hinein und eine einzige Stufe nach unten.

Das könnte man schaffen, das wäre nachvollziehbar.

Aber man schleppt sie sicher nicht die steile Treppe hinunter, durch den engen Gang und auf das Bett in der Kajüte. Das macht nur jemand, der erreichen will, dass sie in ihrer Kajüte in einem vollgelaufenen Boot gefunden wird.

»Genau«, murmelt er und steht auf.

Er schaut aus dem Fenster, bemerkt einen bläulichen Käfer, der auf dem weißen Blech krabbelt, blickt auf, sieht eine Frau auf einem Fahrrad zwischen den Bäumen verschwinden, und plötzlich kann er den Gedanken fassen, der ihm zuvor entglitten war.

Joona setzt sich wieder und trommelt auf den Tisch.

Es war eben nicht Penelopes Leiche, die auf dem Boot gefunden wurde, sondern die ihrer Schwester Viola. Aber Viola wurde nicht in ihrem Bett, in ihrer eigenen Kajüte auf der Jacht gefunden, sondern im Vorpiek, auf Penelopes Bett.

Der Mörder könnte dem gleichen Irrtum erlegen sein wie ich, denkt Joona, und ihm läuft ein Schauer über den Rücken.

Er hat gedacht, er hätte Penelope Fernandez getötet.

Deshalb hat er sie auf dem Bett im Vorpiek platziert.

Das ist die einzig logische Erklärung.

Und diese Erklärung bedeutet, dass Penelope Fernandez und Björn Almskog keine Schuld an Violas Tod trifft, denn die beiden hätten Viola nicht auf das falsche Bett gesetzt.

Joona schreckt hoch, als die Bürotür auffliegt. Åhlén hat sie mit dem Rücken aufgestoßen. Er kommt mit einem großen länglichen Karton in den Armen rückwärts herein. Die Vorderseite der Verpackung ist mit großen Flammen und der Aufschrift »Guitar Hero« bedruckt.

»Frippe und ich wollen …«

»Still«, unterbricht Joona ihn.

»Was ist passiert?«, fragt Åhlén.

»Nichts, ich muss nur nachdenken«, sagt Joona schnell.

Joona steht auf und verlässt wortlos den Raum. Er geht durch das Foyer, ohne zu hören, was die Frau an der Rezeption zu ihm sagt. Er eilt in den frühen Sonnenschein hinaus und bleibt auf dem Rasen neben dem Parkplatz stehen.

Eine vierte Person, jemand, der die beiden Frauen nicht näher kennt, hat Viola umgebracht, denkt Joona. Er tötete Viola in dem Glauben, Penelope umzubringen, was bedeutet, dass Penelope lebte, als Viola starb, denn sonst hätte er diesen Fehler nicht gemacht.

Vielleicht lebt sie noch, überlegt Joona. Es ist zwar möglich, dass ihre Leiche irgendwo in den Schären liegt, auf einer der Inseln oder auf dem Meeresgrund, aber wir können auch hoffen, dass sie noch lebt, es ist durchaus denkbar, dass sie lebt, und wenn sie lebt, werden wir sie bald finden.

Joona geht mit großen Schritten auf seinen Wagen zu, ohne zu wissen, wohin er eigentlich fahren soll. Auf dem Autodach liegt sein Handy. Er muss es dort abgelegt haben, als er den Volvo abschloss. Er greift nach dem von der Sonne aufgeheizten Gerät und ruft Anja Larsson an. Sie meldet sich nicht. Er öffnet die Fahrertür, steigt ein, schnallt sich an, bleibt aber sitzen und versucht, Fehler in seiner Argumentation zu finden.

Die Luft ist schwül, aber der satte, berauschende Duft der Fliederhecke neben dem Parkplatz vertreibt endlich den gärenden Geruch der Leichen in der Pathologie aus seiner Nase.

Das Handy in seiner Hand klingelt, er wirft einen Blick auf das Display und meldet sich.

»Ich habe gerade mit deinem Arzt gesprochen«, sagt Anja Larsson.

»Warum hast du mit meinem Arzt gesprochen?«, fragt Joona erstaunt.

»Janush sagt, dass du deine Termine nicht einhältst«, fährt sie fort.

»Ich hatte wirklich keine Zeit.«

»Aber die Tabletten nimmst du doch hoffentlich, oder?«

»Sie sind eklig«, scherzt Joona.

»Jetzt mal im Ernst … er hat angerufen, weil er sich Sorgen um dich macht«, sagt sie.

»Ich rede mit ihm.«

»Du meinst, wenn du den Fall gelöst hast?«

»Hast du Papier und Bleistift?«, erkundigt sich Joona.

»Mach dir um mich keine Sorgen.«

»Die Frau, die auf dem Motorboot gefunden wurde, heißt nicht Penelope Fernandez.«

»Sondern Viola, ich weiß«, erwidert sie. »Petter hat mich auf den neuesten Stand gebracht.«

»Gut.«

»Du lagst falsch, Joona.«

»Ja, ich weiß …«

»Sag es!« Sie lacht.

»Ich liege immer falsch«, entgegnet er leise.

Sie verstummen für einen Moment.

»Darf man darüber keine Witze machen?«, fragt sie vorsichtig.

»Hast du schon etwas über das Boot und Viola Fernandez herausgefunden?«

»Viola und Penelope sind Schwestern«, berichtet sie. »Penelope und Björn Almskog sind seit vier Jahren ein Paar, oder wie man es ausdrücken soll.«

»Ja, das war ungefähr das, was ich mir auch gedacht habe.«

»So, so. Soll ich weitermachen, oder ist das nicht mehr nötig?«

Joona antwortet nicht, lehnt nur den Kopf gegen die Nackenstütze und sieht, dass die Windschutzscheibe vom Blütenstaub irgendeines Baums bedeckt ist.

»Dass Viola mitkommt, war nicht geplant«, fährt Anja fort. »Sie hatte sich am Morgen mit ihrem Typen Sergej Jarushenko gestritten, ihre Mutter angerufen und geweint. Ihre Mutter schlug ihr vor, Penelope zu fragen, ob sie mitkommen könne.«

»Was weißt du über Penelope?«

»Ehrlich gesagt habe ich mich auf das Opfer konzentriert, auf Viola Fernandez, weil …«

»Aber der Mörder dachte, er hätte Penelope getötet.«

»Moment mal, was sagst du da, Joona?«

»Er beging einen Fehler, er hatte die Absicht, den Mord zu vertuschen, es wie einen Bootsunfall aussehen zu lassen, setzte Viola aber auf dem Bett ihrer Schwester ab.«

»Weil er dachte, Viola wäre Penelope.«

»Ich muss alles über Penelope Fernandez und ihr …«

»Sie ist eines meiner größten Idole«, unterbricht Anja ihn. »Sie ist Friedensaktivistin und wohnt in der Sankt Paulsgatan 3.«