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Penelope verlässt den Fernsehsender und geht in Richtung Valhallavägen. Fast zwei Stunden hat sie darauf gewartet, an einem Gespräch in einer anderen Vormittagssendung teilzunehmen, bis der Produzent ihr mitgeteilt hat, man habe ihren Beitrag gestrichen, um nicht auf die fünf einfachen Tipps für einen sommerlich schlanken Bauch verzichten zu müssen.

In der Ferne sieht sie auf einer weiten freien Fläche die bunten Zelte des Zirkus Maximus. Ein Tierpfleger spritzt mit einem Schlauch zwei Elefanten ab. Der eine hebt den Rüssel und fängt den harten Wasserstrahl mit dem Maul auf.

Penelope ist erst vierundzwanzig Jahre alt und hat lockige schwarze Haare, die über ihre Schulterblätter fallen. Um ihren Hals glänzt eine kurze Silberkette mit einem kleinen Konfirmationskreuz. Ihr Teint hat einen samtigen, goldgelben Ton. Wie Olivenöl oder Honig, formulierte es einst ein Junge, als sie sich in der Mittelstufe in einer Hausaufgabe gegenseitig beschreiben sollten. Ihre Augen sind groß und ernst. Mehr als einmal hat man ihr gesagt, wie sehr sie der Filmdiva Sophia Loren ähnelt.

Penelope nimmt ihr Handy und ruft Björn an, um ihm zu sagen, dass sie unterwegs ist und vom Karlaplan aus die U-Bahn nehmen wird.

»Penny? Ist etwas passiert?«, fragt er mit gehetzter Stimme.

»Nein, wieso?«

»Es ist alles vorbereitet, das habe ich dir auf den AB gesprochen, nur du fehlst noch.«

»Wir haben es doch nicht eilig, oder?«

Als Penelope auf der langen, steilen Rolltreppe steht, die zur U-Bahn hinunterführt, verspürt sie aus heiterem Himmel ein dumpfes Unbehagen, ihr Herz schlägt schneller, sie schließt die Augen. Die Treppe sinkt tiefer hinab, wird schmaler und die Luft immer kühler.

Penelope Fernandez stammt aus La Libertad, einer der größten Provinzen El Salvadors. Penelopes Mutter Claudia Fernandez wurde während des Bürgerkriegs verhaftet und Penelope in einer Zelle geboren, in der fünfzehn internierte Frauen ihr Bestes gaben, um ihrer Mutter beizustehen. Claudia war Ärztin und beteiligte sich aktiv an Aufklärungskampagnen für die Bevölkerung. In dem berüchtigten Gefängnis des Regimes landete sie, als sie versuchte, bei der Urbevölkerung dafür zu werben, das Recht auf Gewerkschaftsbildung einzufordern.

Erst als Penelope das U-Bahn-Gleis erreicht, öffnet sie die Augen. Das Gefühl, eingeschlossen zu sein, ist verschwunden. Sie denkt erneut an Björn, der sie im Motorbootclub auf Långholmen erwartet. Sie liebt es, von seinem Boot aus nackt schwimmen zu gehen, einfach ins Wasser zu springen und nichts anderes zu sehen als Meer und Himmel.

Die U-Bahn saust leicht schwankend dahin, und die Sonne scheint herein, als die Wagen den Tunnel verlassen und in die oberirdisch gelegene Station Gamla Stan einfahren.

Penelope Fernandez hasst Krieg, Brutalität und Waffengewalt. Es ist eine leidenschaftliche Abneigung, die sie motiviert hat, in Uppsala einen Magister in Politik zu machen und Friedens- und Konfliktforschung zu studieren. Sie hat zusammen mit Jan Oduya für die französische Hilfsorganisation Action Contre la Faim in Darfur gearbeitet. Sie hat in Dagens Nyheter einen weithin beachteten Artikel über die Frauen in den Flüchtlingslagern und ihren Versuch geschrieben, nach jedem Übergriff von Neuem Alltag zu schaffen. Vor zwei Jahren hat sie Frida Blom als Vorsitzende der Schwedischen Friedens- und Schlichtungsgesellschaft abgelöst.

Penelope steigt an der Haltestelle Hornstull aus und tritt in den Sonnenschein hinaus, macht sich plötzlich aus unerklärlichen Gründen Sorgen und läuft den Pålsundsbacken zum südlichen Mälarufer hinunter, überquert schnellen Schritts die Brücke zur Insel Långholmen und folgt dem Weg nach links zum Bootshafen. Aufgewirbelter Straßenstaub hängt wie Dunst in der stehenden Luft.

Björns Boot liegt direkt unter der Väster-Brücke im Schatten, die Bewegungen des Wassers erzeugen ein Netz aus Licht, das sich schaukelnd in den grau gestrichenen Stahlbalken hoch über ihnen spiegelt.

Sie sieht ihn mit einem Cowboyhut auf dem Kopf auf dem Achterdeck stehen. Er rührt sich nicht, hat die Arme um seinen Körper gelegt und die Schultern hochgezogen.

Penelope steckt zwei Finger in den Mund und pfeift gellend. Björn schreckt zusammen, und sein Gesicht wird vollkommen nackt, als hätte er plötzlich schreckliche Angst. Er schaut zur Straße hinüber und sieht Penelope. Als er auf die Laufplanke tritt, sind seine Augen immer noch voller Angst.

»Was ist los?«, fragt sie und steigt die Treppe zu den Liegeplätzen der Boote hinunter.

»Nichts«, antwortet Björn, rückt den Hut auf seinem Kopf gerade und versucht zu lächeln.

Sie umarmen sich, und sie spürt, dass seine Hände ganz kalt sind und sein Hemd am Rücken nassgeschwitzt ist.

»Du bist ja ganz verschwitzt«, sagt sie.

Björn weicht ihrem Blick aus.

»Ich habe mich ins Zeug gelegt, damit wir möglichst schnell loskommen.«

»Hast du meine Tasche mitgebracht?«

Er nickt und deutet in Richtung Kajüte. Das Boot wiegt sich leicht unter ihren Füßen, ihr steigt der Duft von sonnenwarmem Plastik und lackiertem Holz in die Nase.

»Hallo?«, fragt sie heiter. »Wo bist du?«

Seine strohfarbenen Haare stehen in kleinen filzigen Dreadlocks in alle Richtungen ab. Die hellblauen Augen sind kindlich, lächelnd.

»Ich bin hier«, antwortet er und senkt den Blick.

»Und woran denkst du die ganze Zeit?«

»Daran, dass wir zusammen sein dürfen«, antwortet er und legt seine Arme um ihre Taille. »Daran, mitten in der Natur Sex zu haben.«

Seine Lippen berühren flüchtig ihre Haare.

»Das erhoffst du dir also?«, flüstert sie.

»Ja«, antwortet er.

Sie muss über seine Ehrlichkeit lachen.

»Die meisten … zumindest die meisten Frauen finden, dass das ein bisschen überbewertet wird«, sagt sie. »Zwischen Ameisen und Steinen auf der Erde zu liegen und …«

»Es ist wie nackt schwimmen.«

»Dann wirst du wohl versuchen müssen, mich zu überzeugen«, erwidert sie neckisch.

»Das wird mir ganz sicher gelingen.«

»Wie denn?«, sagt sie und lacht, als sich das Handy in ihrer Stofftasche meldet.

Der Klingelton des Telefons lässt Björn erstarren. Jegliche Farbe verschwindet aus seinen Wangen. Sie wirft einen Blick auf das Display und sieht, dass es ihre jüngere Schwester ist.

»Es ist Viola«, sagt sie zu Björn, dann meldet sie sich.

»Hola, Schwesterherz.«

Ein Auto hupt, und ihre Schwester ruft etwas abseits des Telefons.

»Verdammter Irrer«, meckert ihre Schwester.

»Was ist los?«

»Es ist aus«, sagt ihre Schwester. »Ich habe mit Sergej Schluss gemacht.«

»Mal wieder«, fügt Penelope hinzu.

»Ja«, antwortet Viola leise.

»Entschuldige«, sagt Penelope. »Ich kann verstehen, dass du traurig bist.«

»Ach, halb so wild, aber … Mama meinte, ihr würdet mit dem Boot rausfahren, und da dachte ich … ich würde gerne mitkommen, wenn ich darf.«

Es wird vollkommen still.

»Mitkommen.« Penelope hört die fehlende Begeisterung in ihrer eigenen Stimme. »Björn und ich brauchen eigentlich mal ein bisschen Zeit für uns, aber …«

2

Der Verfolger

Sie hat einen luftigen blauen Sarong um die Hüften geschlungen und trägt ein weißes Bikinioberteil mit Peace-Zeichen auf der rechten Brust. So bekleidet steht Penelope am Steuer. Durch die Windschutzscheibe fällt Sommerlicht zu ihr herein. Vorsichtig umschifft sie Kungshamns Leuchtturm und manövriert die große Motorjacht anschließend in den schmalen Sund.