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Joona verlässt die Küche und durchsucht eilig die Wohnung. Die Zimmer sind leer, unangetastet. Intensiver Gasgeruch hängt noch in der Luft.

Im Treppenhaus vor der Tür liegt Erixon mit einer Zigarette im Mund.

»Nicht anzünden«, ruft Joona.

Erixon lächelt und winkt abwehrend mit einer müden Hand.

»Schokoladenzigaretten«, flüstert er.

Erixon hustet schwach, und plötzlich sieht Joona die Blutlache unter ihm.

»Du blutest.«

»Halb so wild«, sagt Erixon. »Ich weiß nicht, wie er es angestellt hat, aber er hat meine Achillessehne durchtrennt.«

Joona ruft einen Krankenwagen. Er setzt sich neben seinen Kollegen. Erixon ist blass, und seine Wangen sind verschwitzt. Ihm scheint schlecht zu sein.

»Er hat zugestochen, ohne stehen zu bleiben, es war … als würde man von einer verdammten Spinne attackiert.«

Es wird still, und Joona denkt an die blitzschnellen Bewegungen hinter der Tür, an die Klinge, die sich mit einer Geschwindigkeit und Zielstrebigkeit bewegt hat, die mit nichts vergleichbar ist, was er jemals zuvor erlebt hat.

»Ist sie da drin?«, keucht Erixon.

»Nein.«

Erixon lächelt erleichtert, wird dann jedoch ernst.

»Trotzdem wollte er den Kasten in die Luft jagen?«, fragt er.

»Wahrscheinlich wollte er Spuren oder Hinweise auf irgendwelche Verbindungen beseitigen.«

Erixon versucht, das Papier von der Zigarette zu schälen, kann sie jedoch nicht festhalten. Er schließt kurz die Augen. Seine Wangen sind inzwischen gräulich weiß.

»Ich gehe mal davon aus, dass du sein Gesicht auch nicht gesehen hast?«, sagt Joona.

»Nein«, antwortet Erixon schwach.

»Aber irgendetwas haben wir gesehen, man sieht immer etwas …«

18

Der Brand

Die Rettungssanitäter versichern Erixon ein weiteres Mal, dass sie ihn nicht fallen lassen werden.

»Ich kann gehen«, sagt Erixon und schließt die Augen.

Sein Kinn zittert bei jeder Treppenstufe.

Joona kehrt in Penelope Fernandez’ Wohnung zurück. Er öffnet sämtliche Fenster, bis sich das Gas verflüchtigt hat, und setzt sich auf die bequeme aprikosenfarbene Couch.

Wäre die Wohnung explodiert, hätte man die Sache aller Wahrscheinlichkeit nach als Gasunfall abgeschrieben.

Joona denkt, dass kein Erinnerungsfragment verschwindet, nichts, was man einmal gesehen hat, geht jemals verloren, es kommt nur darauf an, diese Erinnerungen aus der Tiefe aufsteigen zu lassen wie Wrackteile.

Aber was habe ich gesehen?

Er hat nichts gesehen, nur schnelle Bewegungen und eine weiße Messerklinge.

Genau das habe ich gesehen, denkt Joona plötzlich. Ich habe nichts gesehen.

Er sagt sich, dass gerade dieses Fehlen von Beobachtungen sein Gefühl bestätigt, dass sie es mit keinem gewöhnlichen Mörder zu tun haben.

Es handelt sich um einen Berufskiller, einen »trouble-shooter«, einen Profi.

Der Gedanke ist ihm auch vorher schon gekommen, aber nach seiner Begegnung mit dem Mann fühlt er sich endgültig bestätigt.

Er ist sich sicher, dass der Mann, dem er im Flur begegnet ist, identisch ist mit Violas Mörder. Sein Ziel ist es gewesen, Penelope zu töten, die Motorjacht zu versenken und das Ganze wie einen Unfall aussehen zu lassen. Bevor er überrascht wurde, ist er hier nach dem gleichen Muster vorgegangen. Er will unsichtbar bleiben, seine Tat begehen, sie aber vertuschen.

Joona schaut sich langsam um und versucht, seine Beobachtungen zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Im Stockwerk über ihm hört es sich an, als rollten Kinder Murmeln über den Fußboden. Hätte Joona nicht rechtzeitig den Stecker gezogen, befänden sie sich jetzt in einem flammenden Inferno.

Er denkt, dass er nie zuvor einem so zielstrebigen und gefährlichen Angriff ausgesetzt gewesen ist. Er ist überzeugt, dass der Mann, der sich in der Wohnung der verschwundenen Friedensaktivistin Penelope Fernandez aufgehalten hat, kein hasserfüllter Feind aus dem rechtsextremen Lager gewesen ist. Zwar begehen auch diese Splittergruppen ausgeklügelte Gewalttaten, aber hier ist ein professioneller Mörder am Werk gewesen, der in einer ganz anderen Liga spielt als die rechtsextremen Gruppen im Land.

Worum geht es hier?, überlegt Joona. Was hat ein Profikiller mit Penelope Fernandez zu tun, in was ist sie verwickelt, was geht unter der Oberfläche vor?

Er denkt an die unvorhersehbaren Bewegungen des Mannes, seine Messerkampftechnik, die darauf abzielt, gängige Verteidigungsmuster zu unterlaufen, einschließlich der bei Polizei und Militär trainierten Schläge und Abwehrtechniken.

Es kribbelt in seinem Bauch, als er sich vor Augen führt, dass schon der erste Stich seine Leber getroffen hätte, wenn seine Pistole nicht den Stoß abgefangen hätte, und der zweite Hieb in seine Schläfe eingedrungen wäre, wenn er sich nicht nach hinten geworfen hätte.

Joona steht von der Couch auf und geht ins Schlafzimmer. Betrachtet das ordentlich gemachte Bett, das Kruzifix über dem Kopfende.

Ein Killer, der glaubt, er hätte Penelope Fernandez ermordet und es wie einen Unfall aussehen lassen wollte …

Aber das Boot wurde nicht versenkt.

Entweder wurde der Mörder gestört, oder er hat den Schauplatz des Verbrechens verlassen, um später zurückzukehren und seinen Auftrag zu Ende zu führen. Jedenfalls kann es nicht seine Absicht gewesen sein, dass die Wasserschutzpolizei das treibende Boot mit einer ertrunkenen Frau an Bord findet. Irgendetwas ist schiefgegangen, oder seine Pläne haben sich plötzlich geändert, vielleicht hat er neue Anweisungen bekommen, jedenfalls hält er sich anderthalb Tage nach dem Mord an Viola in Penelopes Wohnung auf.

Du musst schwerwiegende Gründe haben, denkt Joona, wenn du ihre Wohnung aufsuchst. Welches Motiv bringt dich dazu, ein solches Risiko einzugehen? Gibt es etwas in dieser Wohnung, was dich oder deine Auftraggeber mit Penelope in Verbindung bringen könnte?

Du hast hier irgendetwas gemacht, Fingerabdrücke entfernt, eine Festplatte leergeräumt, eine Mitteilung auf dem Anrufbeantworter gelöscht oder etwas geholt, überlegt Joona.

Zumindest hattest du das vor, aber du wurdest gestört, als ich hereingekommen bin.

Wolltest du mithilfe des Feuers vielleicht Spuren vernichten?

Das ist eine Möglichkeit.

Joona denkt, dass er jetzt Erixon gebraucht hätte. Er kann den Tatort nicht ohne Kriminaltechniker untersuchen, er besitzt nicht die nötige Ausrüstung; wenn er die Wohnung auf eigene Faust durchsuchen würde, könnte er Spuren zerstören, womöglich DNA kontaminieren und unsichtbare Hinweise verpassen.

Joona geht zum Fenster und blickt auf die Straße und die leeren Tische vor einem Café hinunter.

Er muss ins Landespolizeiamt fahren, mit seinem Chef Carlos Eliasson sprechen und von ihm fordern, die Ermittlungen leiten zu dürfen, weil das seine einzige Chance ist, einen neuen Kriminaltechniker zugeteilt zu bekommen, Hilfe zu bekommen, solange Erixon krankgeschrieben ist.

Als Joona sich gerade entschlossen hat, die Sache nach Vorschrift anzugehen, mit Carlos und Jens Svanehjälm zu sprechen und eine kleine Ermittlungsgruppe zusammenzustellen, klingelt sein Handy.

»Hallo, Anja«, meldet er sich.

»Ich würde mit dir gerne in die Sauna gehen.«

»Mit mir in die Sauna gehen?«