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»Genau wie gerade. Fotografier bitte noch einmal die Badezimmerdecke.«

Göran Stone zuckt mit den Schultern, hebt die Kamera und macht eine weitere Aufnahme von der Badezimmerdecke. Die Kamera blitzt, und Joona spürt, wie seine Pupillen sich zusammenziehen und seine Augen zu tränen beginnen. Er schließt sie und sieht noch einmal ein schwarzes Quadrat. Es ist die Glasscheibe in der Tür, sie hat sich dadurch, dass er geblendet wurde, in ein Negativbild verwandelt.

Mitten in dem Quadrat sieht er vier weiße Flecken und daneben treibt eine hellblaue Hand heran.

Er wusste, dass er sie gesehen hat.

Joona blinzelt, kann wieder klar sehen und geht geradewegs zu der Tür, auf der sich in einem Rechteck angeordnet die Reste von vier Klebestreifen befinden und daneben der Abdruck einer Hand.

Tommy Kofoed tritt zu Joona und stellt sich neben ihn.

»Ein Handabdruck«, sagt er.

»Könntest du ihn bitte abnehmen?«, fragt Joona.

»Göran«, sagt Kofoed. »Wir brauchen ein Foto hiervon.«

Göran Stone steht vom Fußboden auf und summt vor sich hin, als er mit seiner Kamera zu ihnen kommt und sich den Handabdruck ansieht.

»Tja, hier hat jemand gestanden und gekleckert«, sagt er zufrieden und macht vier Fotos.

Anschließend tritt er zur Seite und wartet, während Tommy Kofoed den Abdruck zunächst mit Cyanacrylat, das Salze und Feuchtigkeit bindet, und anschließend mit Basic Yellow 40 bearbeitet.

Göran wartet einige Sekunden und schießt dann zwei weitere Fotos.

»Jetzt haben wir dich«, flüstert Kofoed dem Abdruck zugewandt und hebt ihn vorsichtig mit Handi-Lift-Folie ab.«

»Kannst du ihn direkt überprüfen?«, fragt Joona.

Tommy Kofoed geht mit dem Abdruck in die Küche. Joona bleibt stehen und betrachtet die vier Klebestreifenreste auf der Glasscheibe. Unter einem von ihnen sitzt ein abgerissenes Eckchen Papier. Die Person, die diesen Handabdruck hinterließ, hatte keine Zeit, das Klebeband vorsichtig zu lösen. Stattdessen hat sie das Papier von der Glastür losgerissen, sodass die Ecke hängen geblieben ist.

Joona sieht sich die abgerissene Ecke eingehender an. Sofort sieht er, dass es kein gewöhnliches Papier ist, sondern Fotopapier für den Ausdruck von Farbfotografien.

An dieser Fensterscheibe hat ein Foto gehangen, denkt Joona – um studiert und überdacht zu werden. Dann musste es auf einmal ganz schnell gehen, es war keine Zeit, die Aufnahme behutsam herunterzunehmen. Jemand ist zu der Tür gerannt, hat sich mit der Hand auf der Scheibe abgestützt und das Bild heruntergerissen.

»Björn«, sagt Joona leise.

Er muss dieses Foto geholt haben. Er hielt sich nicht den Bauch, weil er Schmerzen hatte, sondern weil er das Bild unter seiner Jacke verborgen hatte.

Joona zieht den Kopf weg, sodass er in den Lichtreflexen den Abdruck auf dem Glas, die dünnen Linien des Handtellers erahnen kann.

Die Papillarlinien eines Menschen verändern sich nie, altern nie. Im Unterschied zur DNA sind noch nicht einmal bei eineiigen Zwillingen die Fingerabdrücke gleich.

Joona hört schnelle Schritte hinter sich und dreht sich um.

»Zum Teufel, jetzt reicht’s mir aber«, schreit Saga Bauer. »Das ist mein Fall. Du darfst verdammt noch mal überhaupt nicht hier sein!«

»Ich will doch nur …«

»Halt’s Maul«, unterbricht sie ihn. »Ich habe gerade mit Petter Näslund gesprochen. Du hast hier nichts zu suchen, du darfst nicht hier sein, du bist nicht befugt, hier zu sein.«

»Ich weiß, ich gehe ja gleich«, erwidert er und betrachtet erneut die Glasscheibe.

»Verdammt, Joona Linna«, sagt sie leise. »Du kannst hier nicht einfach herkommen und an Klebestreifen herumfummeln …«

»An dieser Scheibe hing ein Foto«, erwidert er ruhig. »Jemand hat es abgerissen, sich über den Stuhl dort gelehnt, sich mit der Hand abgestützt und nach dem Bild gegriffen.«

Sie sieht ihn widerwillig an, und ihm fällt auf, dass durch ihre linke Augenbraue eine weiße Narbe verläuft.

»Ich bin durchaus in der Lage, diese Ermittlungen zu leiten.«

»Der Abdruck stammt vermutlich von Björn Almskog«, sagt er und geht in Richtung Küche.

»Falsche Richtung, Joona.«

Er beachtet sie nicht weiter, sondern betritt die Küche.

»Das ist mein Fall«, ruft sie.

Die Kriminaltechniker haben mitten im Raum einen kleinen Arbeitsplatz eingerichtet. Zwei Stühle und ein Tisch mit Computer, Scanner und Drucker. Tommy Kofoed steht hinter Göran Stone, der seine Kamera an das Notebook angeschlossen hat. Sie haben den Handabdruck eingespeist und arbeiten an einem ersten Abgleich der Fingerabdrücke.

Saga folgt Joona.

»Was seht ihr?«, erkundigt sich Joona, ohne sich um Saga zu scheren.

»Redet nicht mit Joona«, sagt sie schnell.

Tommy Kofoed blickt auf.

»Jetzt sei nicht albern, Saga«, sagt er und wendet sich anschließend Joona zu. »Diesmal hatten wir kein Glück, der Abdruck stammt von Björn Almskog, Penelopes Freund.«

»Er ist in der Verdächtigenkartei«, erläutert Göran Stone.

»Wessen wird er verdächtigt?«, fragt Joona.

»Teilnahme an Menschenaufläufen mit Gewaltpotenzial, Widerstand gegen die Staatsgewalt«, antwortet Göran.

»Einer von den ganz Schlimmen«, scherzt Kofoed. »Er ist bestimmt auf einer Demonstration gewesen.«

»Sehr witzig«, sagt Göran Stone säuerlich. »Nicht alle im Polizeikorps begeistern sich so für die Krawalle und Sabotageakte linker Splittergruppen und …«

»Das ist deine Meinung«, unterbricht Kofoed ihn.

»Der Rettungseinsatz spricht für sich selbst«, entgegnet Göran grinsend.

»Wie bitte?«, fragt Joona. »Was soll das heißen? Ich bin nicht dazu gekommen, den Einsatz zu verfolgen – was ist passiert?«

27

Die Extremisten

Carlos Eliasson, der Leiter der Landeskriminalpolizei, erschrickt und verschüttet eine größere Menge Fischfutter ins Aquarium, als Joona Linna die Tür aufreißt.

»Warum wird keine systematische Suchaktion durchgeführt?«, fragt Joona. »Es geht um das Leben von zwei Menschen, und wir schicken keine Boote.«

»Die Wasserschutzpolizei trifft ihre eigenen Entscheidungen, das weißt du genauso gut wie ich«, antwortet Carlos ihm. »Sie haben das gesamte Gebiet mit Hubschraubern abgesucht, und alle sind sich einig, dass Penelope Fernandez und Björn Almskog entweder tot sind oder nicht gefunden werden wollen … und keine der beiden Alternativen lässt eine Suchaktion zu Land besonders dringlich erscheinen.«

»Die beiden haben etwas, was der Mörder haben will, und ich denke ehrlich gesagt …«

»Es bringt doch nichts herumzuraten … Wir wissen nicht, was passiert ist, Joona. Der Staatsschutz scheint zu glauben, dass die jungen Leute untergetaucht sind und es gut möglich ist, dass sie in diesem Moment in einem Zug nach Amsterdam sitzen und …«

»Hör auf damit«, unterbricht Joona ihn. »Du kannst doch nicht auf den Staatsschutz hören, wenn es um zwei …«

»Es ist ihr Fall.«

»Warum denn das? Warum ist das ihr Fall? Björn Almskog soll angeblich an Krawallen beteiligt gewesen sein. Das heißt nichts, gar nichts.«

»Ich habe mit Verner Zandén gesprochen und er hat zu einem frühen Zeitpunkt erklärt, dass Penelope Fernandez Verbindungen zu linksextremen Gruppen unterhält.«

»Das mag ja sein, aber ich bin mir sicher, dass es bei diesem Mord um etwas anderes geht.«

»Natürlich! Natürlich bist du dir sicher«, ruft Carlos.

»Ich weiß noch nicht, worum es geht, aber der Mann, dem ich in Penelope Ferandez’ Wohnung begegnet bin, war ein Profikiller und keiner, der …«

»Der Staatsschutz scheint aber zu glauben, dass Penelope Fernandez und Björn Almskog ein Attentat planen.«

»Penelope Fernandez soll eine Terroristin sein? Hast du mal ihre Artikel gelesen, sie ist Pazifistin und distanziert sich von …«

»Gestern«, unterbricht Carlos ihn, »gestern hat der Staatsschutz jemanden von der Brigade verhaftet, der gerade in ihre Wohnung wollte.«