»Das war doch selbstverständlich«, sagt Axel und lächelt.
»Setzen Sie sich und lesen Sie ihn sich durch«, sagt Grünlicht und deutet auf den Schreibtisch.
Axel setzt sich auf den unbequemen Stuhl und legt die Mappe auf den Schreibtisch.
»Ich sehe ihn mir an und melde mich nächste Woche.«
»Es ist ein sehr vorteilhafter Vertrag, aber das Angebot steht nicht ewig«, erklärt Grünlich.
»Sie haben es eilig, ich weiß.«
»Der Vorstand möchte Sie haben. Angesichts Ihrer Karriere, Ihres Rufs gibt es einfach keine bessere Wahl. Aber wir können den Betrieb natürlich nicht ruhen lassen.«
Axel öffnet die Mappe und versucht, ein unangenehmes Gefühl abzuschütteln, eine Ahnung, dass er in eine Falle gelockt wird. Grünlichts Verhalten hat etwas Angestrengtes, Rätselhaftes und Gehetztes.
Wenn er den Vertrag unterzeichnet, ist er Generaldirektor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde. Er allein würde dann über alle schwedischen Waffenexporte entscheiden. Bei den Vereinten Nationen hat sich Axel dafür eingesetzt, Kriegsherde zu entwaffnen, den Zustrom konventioneller Waffen zu verringern, und diesen Posten würde er gerne als eine Fortsetzung dieses Auftrags sehen.
Er liest sich die Vereinbarung gründlich durch, und die Konditionen sind sehr gut, fast zu gut, um wahr zu sein. Während der Lektüre errötet er mehrmals.
»Willkommen an Bord«, sagt Grünlicht lächelnd und reicht ihm einen Stift.
Axel bedankt sich, setzt seine Unterschrift unter den Vertrag und steht auf, kehrt Grünlicht den Rücken zu und schaut aus dem Fenster. Er sieht die drei Kronen auf der Spitze des Stadthausturms, im Sonnendunst sind sie kaum zu erkennen.
»Die Aussicht ist nicht übel«, murmelt Grünlicht, »jedenfalls besser als die in meinem Büro im Außenministerium.«
Axel dreht sich zu ihm um.
»Sie haben momentan drei Vorgänge auf Ihrem Schreibtisch, von denen Kenia am meisten drängt. Es ist ein großes und wichtiges Geschäft. Ich würde Ihnen raten, sich der Sache möglichst schnell anzunehmen, am besten sofort. Carl hat die ganze Vorarbeit schon erledigt, sodass …«
Er verstummt, schiebt Axel die Dokumente hinüber und sieht ihn anschließend mit einem seltsamen Funkeln in den Augen an. Axel hat das Gefühl, dass Grünlicht ihm am liebsten einen Stift in die Hand drücken und ihm die Hand führen würde.
»Ich bin überzeugt, dass Sie ein hervorragender Nachfolger für Carl sein werden.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, tätschelt Grünlicht Axels Arm und geht mit schnellen Schritten durchs Zimmer. In der Tür dreht er sich noch einmal um und sagt kurz:
»Sitzung mit dem Beirat heute um fünfzehn Uhr.«
Axel bleibt allein in seinem Büro zurück. Dumpfe Stille umgibt ihn. Er setzt sich wieder an den Schreibtisch und überfliegt die Dokumente, die Carl Palmcrona ohne Unterschrift hinterlassen hat. Die Vorlage ist detailliert und sehr ausführlich. Es geht um den Export von 1,25 Millionen Einheiten 5.56 x 4,45 mm Munition nach Kenia. Der Exportkontrollrat hat eine positive Empfehlung ausgesprochen. Palmcronas vorläufiger Bescheid ist positiv gewesen, und Silencia Defence AB genießt den Ruf, ein etabliertes und seriöses Unternehmen zu sein.
Aber erst wenn der Generaldirektor der Staatlichen Kontrollbehörde seine Entscheidung über die Ausfuhrgenehmigung getroffen hat, kann der Waffenexport durchgeführt werden.
Axel lehnt sich zurück und denkt an Palmcronas rätselhafte Worte darüber, es wie Algernon zu machen und zu sterben, damit er nicht mit ansehen muss, wie ein Albtraum in Erfüllung geht.
43
Ein geklonter Computer
Göran Stone lächelt Joona an und zieht einen Umschlag aus seiner Tasche, öffnet ihn und schüttelt den beschlagnahmten Schlüssel in seine hohle Hand. Saga Bauer steht noch mit gesenktem Blick vor der Aufzugtür. Die drei befinden sich vor Carl Palmcronas Wohnung in der Grevgatan 2.
»Unsere Kriminaltechniker kommen morgen«, sagt Göran.
»Weißt du, um wie viel Uhr?«, erkundigt sich Joona.
»Um wie viel Uhr, Saga?«, fragt Göran.
»Ich glaube, dass wir …«
»Du glaubst?«, unterbricht er sie. »Du musst doch wissen, wann.«
»Um zehn«, antwortet sie leise.
»Du hast ihnen doch hoffentlich gesagt, dass ich will, dass sie mit dem Computer und dem Telefon anfangen?«
»Ja, ich habe ihnen gesagt, dass …«
Als sein Handy klingelt, bringt Göran Stone sie mit einer Handbewegung zum Schweigen. Er meldet sich und macht ein paar Schritte die Treppe hinunter, stellt sich in die Nische vor dem Fenster mit den rotbraunen Scheiben und spricht.
Joona wendet sich Saga zu und fragt mit gedämpfter Stimme:
»Leitest du nicht die Ermittlungen?«
Saga schüttelt den Kopf.
»Was ist passiert?«, fragt Joona.
»Ich weiß es nicht«, antwortet sie. »Es ist immer dasselbe, dabei ist es nicht einmal Görans Spezialgebiet, er hat noch nie im Bereich Terrorbekämpfung gearbeitet.«
»Und was gedenkst du dagegen zu tun?«
»Da gibt es nichts zu …«
Sie verstummt, als Göran Stone sein Gespräch beendet und wieder zu ihnen kommt. Saga streckt die Hand aus, um den Schlüssel zu Palmcronas Tür zu bekommen.
»Den Schlüssel«, sagt sie.
»Was?«
»Ich leite die Ermittlungen.«
»Was sagst du dazu?«, fragt Göran Stone lachend an Joona gewandt.
»Du bist sicher in Ordnung, Göran«, sagt Joona. »Aber ich habe kürzlich in einer Besprechung mit unseren Chefs zusammengesessen und zugestimmt, mit Saga Bauer zusammenzuarbeiten …«
»Sie darf ruhig mitkommen«, sagt Göran Stone hastig.
»Als Ermittlungsleiterin«, wirft Saga ein.
»Wollt ihr mich etwa loswerden – oder was soll das jetzt, verdammt noch mal?«
»Du darfst gerne mitkommen, wenn du willst«, antwortet Joona.
Saga nimmt Göran den Schlüssel aus der Hand.
»Ich rufe Verner an«, sagt der und geht die Treppe hinunter.
Sie hören seine Schritte im Treppenhaus, dass er mit seinem Chef telefoniert, seine Stimme immer aufgebrachter wird und er schließlich »Fotzen« brüllt, dass es nur so hallt.
Saga verkneift sich ein Lächeln, sammelt sich und steckt den Schlüssel ins Schloss, dreht ihn zweimal um und öffnet die schwere Tür.
Da keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen gefunden werden konnten, wurde die Absperrung aufgehoben. Als Nils Åhléns Obduktionsbericht vorlag, wurden die Ermittlungen sofort eingestellt. Die Obduktion hatte in jedem Punkt Joona Linnas Annahmen zum Ablauf des Selbstmords bestätigt. Carl Palmcrona hatte sich das Leben genommen, indem er sich an einer Wäscheleine mit Schlinge erhängt hatte, die in seiner Wohnung vom Lampenhaken an der Decke herabhing. Man hatte die Untersuchung des Tatorts abgebrochen, und die Proben, die man an das Staatliche kriminaltechnische Labor in Linköping geschickt hatte, wurden niemals analysiert.
Mittlerweile war jedoch bekannt geworden, dass Björn Almskog Palmcrona, einen Tag bevor er erhängt aufgefunden wurde, einen Brief geschrieben hatte.
Am Abend desselben Tages wurde Viola Fernandez auf Björn Almskogs Boot ermordet.
Björn musste das Bindeglied zwischen den beiden Todesfällen sein. Zwei Todesfälle, die man als Selbstmord und Unfall abgeschrieben hätte, ohne jede Verbindung zueinander, wenn die Jacht gesunken wäre.
Saga und Joona betreten den Flur und stellen fest, dass keine Post gekommen ist. Putzmittelgeruch hängt in der Luft. Sie bewegen sich durch die großen Zimmer. Sonnenlicht strömt durch die Fenster herein, und es leuchtet auf dem roten Blechdach des Hauses auf der anderen Straßenseite der Grevgatan. Vom Erker aus kann man auf das glitzernde Wasser der Nybroviken hinausschauen.
Die Trittplatten der Kriminaltechniker sind entfernt und der Fußboden unter dem Lampenhaken in dem leeren Salon ist feucht geputzt worden.
Gemächlich gehen sie über das knarrende Parkett. Seltsamerweise ist das Gefühl, das in Palmcronas Wohnung ein Selbstmord begangen wurde, nicht mehr gegenwärtig. Dieser Ort wirkt alles andere als unbewohnt. Joona und Saga empfinden das Gleiche. Die großen, fast vollständig unmöblierten Zimmer sind von einer Art gepflegter Stille erfüllt.