Выбрать главу

»Sie kommt immer noch hierher«, meint Saga plötzlich.

»Exakt«, erwidert Joona schnell und lächelt. »Die Haushälterin ist hier gewesen und hat geputzt, gelüftet, die Post hereingetragen, das Bett frisch bezogen und so weiter.«

Beide denken, dass dies bei einem plötzlichen Todesfall nicht weiter ungewöhnlich ist. Man leugnet, dass sich das eigene Leben verändert hat. Statt das Neue zu akzeptieren, behält man die alten Verhaltensmuster bei.

Es klingelt an der Tür. Saga wirkt besorgt, folgt Joona aber dennoch in den Flur.

Die Wohnungstür wird von einem Mann mit rasiertem Schädel geöffnet, der einen schwarzen schlabberigen Trainingsanzug trägt.

»Joona hat mir gesagt, dass ich den Hamburger wegwerfen und sofort herkommen soll«, sagt Johan.

»Darf ich vorstellen, Johan Jönson von der IT-Abteilung«, stellt Joona ihn Saga vor.

»Joona furr Auutto«, sagt der mit übertrieben finnischem Akzent. »Die Straße machte eine Kurve, Joona aber nicht.«

»Saga Bauer ist Kommissarin beim Staatsschutz«, sagt Joona.

»Sollen wir lapern oder joppen?«, fragt Johan Jönson.

»Hör auf mit dem Quatsch«, befiehlt Saga.

»Wir müssen uns Zugang zu Palmcronas Computer verschaffen«, erläutert Joona. »Wie lange wirst du dafür brauchen?«

Sie gehen ins Arbeitszimmer.

»Wird er eventuell noch als Beweis benötigt?«, erkundigt sich Johan Jönson.

»Ja«, antwortet Joona.

»Ihr wollt also, dass ich den Computer klone?«, fragt Johan Jönson.

»Wie lange dauert das?«

»Du hast genug Zeit, um ein paar Witze über den Staatsschutz zu reißen«, antwortet Johan, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Was ist eigentlich los mit dir?«, fragt Saga gereizt.

»Darf man fragen, ob du mit jemandem zusammen bist?«, fragt Johan Jönson mit einem verlegenen Lächeln.

Sie sieht ihm in die Augen und nickt ernst. Er senkt den Blick, murmelt etwas und verschwindet anschließend in Carl Palmcronas Arbeitszimmer.

Sie kehren in das Zimmer zurück, in dem die Musik lief, als Palmcrona tot aufgefunden wurde. Joona setzt sich auf eins der Carl-Mamsten-Sofas und hält die Hand in den eisblauen, dünnen Lichtstrahl, der von der Musikanlage ausgeht. Aus den Boxen ertönt plötzlich Musik von einer einzelnen Geige. Ein Virtuose zaubert eine zarte Melodie in den höchsten Tönen, aber mit einem Temperament wie ein nervöser Vogel.

Joona sieht auf die Uhr, lässt Saga bei der Musikanlage sitzen und geht ins Arbeitszimmer. Johan Jönson ist nicht dort, sondern sitzt mit seinem dünnen Notebook auf dem Küchentisch.

»Hat es geklappt?«

»Hä?«

»Konntest du Palmcronas Computer kopieren?«

»Klar, das hier ist ein exakter Klon«, antwortet Johan Jönson, als würde er die Frage nicht richtig verstehen.

Joona geht um den Tisch herum und sieht auf den Bildschirm.

»Kommst du an seine Mails heran?«

Johan Jönson öffnet das Programm.

»Ta da«, sagt er.

»Wir gehen seine Korrespondenz der letzten Woche durch«, fährt Joona fort.

»Sollen wir mit dem Posteingang anfangen?«

»Ja, tu das, tu das.«

»Meinst du, Saga mag mich?«, fragt Johan Jönson plötzlich.

»Nein«, antwortet Joona.

»Was sich liebt, das neckt sich.«

»Du kannst ja mal versuchen, an ihrem Zopf zu ziehen«, sagt Joona und zeigt auf den Computerbildschirm.

Johan Jönson öffnet den Posteingang und verzieht den Mund.

»Jackpot-voitto«, sagt Johan.

Joona sieht drei Mails von skunk@hotmail.com.

»Mach sie auf«, flüstert Joona.

Johan Jönson klickt die erste an, und im selben Moment füllt Björn Almskogs Nachricht den ganzen Bildschirm.

»Jesus Christ Superstar«, flüstert Johan und tritt zur Seite.

44

Die Mails

Joona liest die Mail, bleibt kurz regungslos stehen, öffnet die beiden anderen Mails, liest sie zwei Mal und geht zu Saga Bauer, die sich noch im Musikzimmer aufhält.

»Habt ihr was gefunden?«, erkundigt sie sich.

»Ja … am zweiten Juni«, beginnt Joona, »ist über einen anonymen Absender ein Erpresserschreiben von Björn Almskog auf Carl Palmcronas Computer eingegangen.«

»Dann geht es bei dem allen also um Erpressung«, sagt sie seufzend.

»Da bin ich mir nicht so sicher«, erwidert Joona.

Er berichtet weiter von Carl Palmcronas letzten Tagen. Gemeinsam mit Gerald James vom Technisch-Wissenschaftlichen Rat hatte Palmcrona die Waffenfabrik von Silencia Defence in Trollhättan besucht. Aller Wahrscheinlichkeit nach las er Björn Almskogs Mail deshalb nach seiner Heimkehr am Abend, denn seine Mail an den Erpresser wurde erst um 18.25 Uhr versendet. In seiner Antwort warnt Palmcrona den Erpresser vor ernsten Konsequenzen. Um die Mittagszeit am nächsten Tag schickt Palmcrona dem Erpresser eine zweite Mail, in der er seine vollkommene Resignation zum Ausdruck bringt. Danach hat er vermutlich eine Schlinge an der Decke befestigt und die Haushälterin gebeten, ihn in Ruhe zu lassen. Als sie gegangen ist, macht er Musik an, geht in den kleinen Salon, stellt seine Aktentasche hochkant, steigt hinauf, legt sich die Schlinge um den Hals und stößt die Tasche um. Kurz nach seinem Tod geht Björn Almskogs zweite Mail auf Palmcronas Server ein und am nächsten Tag die dritte.

Joona legt die fünf ausgedruckten Mails in der richtigen Reihenfolge auf den Tisch. Saga stellt sich neben ihn und liest die gesamte Korrespondenz.

Björn Almskogs erste Mail, Mittwoch, 2. Juni, 11.37 Uhr:

Bester Carl Palmcrona,

ich schreibe Ihnen, um Ihnen mitzuteilen, dass ich in den Besitz eines kompromittierenden Originalfotos gelangt bin. Auf dem Bild sieht man Sie in einer privaten Loge sitzen und mit Raphael Guidi Champagner trinken. Da ich Verständnis dafür habe, wie unangenehm dieses Dokument für Sie ist, bin ich bereit, Ihnen das Foto für eine Million Kronen zu verkaufen. Sobald Sie diese Summe auf das Transitkonto 837-9 222701730 eingezahlt haben, werde ich Ihnen das Foto zuschicken und diese Korrespondenz löschen.

Mit freundlichen Grüßen

Ein Stinktier

Carl Palmcronas Antwort, Mittwoch, 2. Juni, 18.25 Uhr:

Ich weiß nicht, wer Sie sind, aber eins weiß ich genau, Sie haben keine Ahnung, worauf Sie sich da eingelassen haben, Sie haben nicht die geringste Ahnung. Ich warne Sie, die Sache ist sehr ernst, und ich flehe Sie an: Bitte, geben Sie mir das Foto, ehe es zu spät ist.

Carl Palmcronas nächste Mail, Donnerstag, 3. Juni, 14.02 Uhr:

Jetzt ist es zu spät, Sie und ich, wir werden beide sterben.

Björn Almskogs zweite Mail, Donnerstag, 3. Juni, 16.02 Uhr:

Gut, ich tue, was Sie wollen.

Björn Almskogs dritte Mail, Freitag, 4. Juni, 07.45 Uhr:

Bester Carl Palmcrona,

ich habe Ihnen das Foto geschickt. Vergessen Sie, dass ich mich jemals bei Ihnen gemeldet habe.

Mit freundlichen Grüßen

Ein Stinktier

Nachdem Saga die Mails zwei Mal gelesen hat, wirft sie Joona einen ernsten Blick zu. Der Briefwechsel sagt alles über die Tragödie, die sich abgespielt hat.

»Björn Almskog will Palmcrona ein kompromittierendes Foto verkaufen. Ganz offensichtlich glaubt Palmcrona an die Existenz der Aufnahme, und das Foto hat anscheinend eine viel gravierendere Bedeutung, als Björn vermutet hatte. Palmcrona warnt Björn, er zieht überhaupt nicht in Erwägung, Björn Geld anzubieten. Offensichtlich glaubt er, dass die bloße Existenz des Bildes für beide gefährlich ist.«

»Was denkst du, was ist dann passiert?«, fragt Joona.

»Palmcrona wartet auf eine Antwort, entweder per Mail oder per Post«, antwortet Saga. »Als diese ausbleibt, schickt er seine zweite Mail, in der er erklärt, dass sie beide sterben werden.«

»Und erhängt sich anschließend«, sagt Joona.

»Als Björn in das Internetcafé kommt und Palmcronas zweite Mail liest, «Jetzt ist es zu spät, Sie und ich, wir werden beide sterben«, bekommt er es mit der Angst zu tun und antwortet, dass er tun wird, was Palmcrona will.«