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»Wir müssen Sie sprechen«, sagt Joona.

»Ich habe schon alles gesagt, was ich weiß«, erwidert sie.

»Dürfen wir hereinkommen?«

»Nein.«

Joona schaut an ihr vorbei in das dunkle Haus hinein. Der Flur ist vollgestopft mit Töpfen und Tellern, einem grauen Staubsaugerschlauch, Kleidern, Schuhen und rostigen Krebsreusen.

»Wir können auch hier stehen bleiben«, meint Saga freundlich.

Joona wirft einen Blick in die Notizen und beginnt seine Befragung damit, Details aus der Vernehmung zu kontrollieren. Es ist eine Standardmethode, um eventuelle Lügen oder Beschönigungen aufzuspüren, weil es oft schwierig ist, sich an unwahre Details zu erinnern, die man im Augenblick der Vernehmung erfunden hat.

»Was hat Palmcrona am Mittwoch gegessen?«

»Kalbshackfrikadellen in Sahnesauce«, antwortet sie.

»Mit Reis?«, fragt Joona.

»Salzkartoffeln. Immer mit Salzkartoffeln.«

»Um wie viel Uhr sind Sie am Donnerstag in Palmcronas Wohnung angekommen?«

»Um sechs.«

»In welcher Angelegenheit verließen Sie am Donnerstag Palmcronas Wohnung?«

»Er gab mir frei.«

Joona sieht ihr in die Augen und denkt, dass es wenig Sinn hat, um die wirklich wichtigen Fragen herumzureden.

»Hatte Palmcrona die Schlinge schon am Mittwoch aufgehängt?«

»Nein«, antwortet Edith Schwartz.

»Das haben Sie aber unserem Kollegen John Bengtsson gesagt«, wirft Saga ein.

»Nein.«

»Wir haben die gesamte Vernehmung auf Band«, erklärt Saga mit unterdrücktem Ärger, verstummt dann aber plötzlich.

»Haben Sie mit Palmcrona über die Schlinge gesprochen?«, fragt Joona.

»Wir haben nie über Privates gesprochen.«

»Aber ist es nicht merkwürdig, einen Mann einfach mit einer baumelnden Schlinge allein zu lassen?«, fragt Saga.

»Ich konnte ja schlecht dableiben und zusehen«, antwortet Edith Schwartz schmunzelnd.

»Nein«, meint Saga ruhig.

Zum ersten Mal scheint Edith Schwartz Saga richtig anzusehen. Ungeniert lässt sie ihren Blick über Sagas Elfenhaar mit den bunten Stoffbändern, das ungeschminkte Gesicht, die verblichene Jeans und die Turnschuhe wandern.

»Aber ich kapiere das nicht«, sagt Saga. »Unserem Kollegen haben Sie gesagt, dass Sie die Schlinge am Mittwoch gesehen haben, und wenn ich Sie jetzt danach frage, behaupten Sie das Gegenteil.«

Joona wirft einen Blick in sein Notizbuch und betrachtet die Notiz, die er sich vor einer Minute gemacht hat, als Saga danach fragte, ob Palmcrona die Schlinge bereits am Mittwoch aufgehängt hatte.

»Frau Schwartz«, sagt Joona. »Ich glaube, ich verstehe, was Sie uns sagen wollen.«

»Gut«, erwidert sie leise.

»Auf die Frage, ob Palmcrona die Schlinge schon am Mittwoch befestigt habe, antworteten Sie mit Nein, weil es nicht er war, der die Schlinge befestigt hat.«

Die ältere Frau blickt auf, sieht ihn an, ihr Blick ist hart.

»Er hat es versucht, aber es klappte nicht, nach seiner Rücken-OP im letzten Winter war er dazu viel zu steif … Also hat er mich gebeten, es zu tun.«

Es wird wieder still. Die Bäume stehen regungslos im statischen Sonnenschein.

»Dann haben also Sie letzten Mittwoch die Wäscheleine mit der Schlinge am Lampenhaken befestigt?«, fragt Joona.

»Er bereitete den Knoten vor und hielt die Leiter fest, als ich hinaufstieg.«

»Anschließend haben Sie die Leiter weggetragen, weitergearbeitet und sind am Mittwochabend nach Hause gefahren, sobald Sie nach dem Abendessen gespült hatten«, sagt Joona.

»Ja.«

»Am nächsten Morgen sind Sie zurückgekehrt«, fährt er fort, »haben wie üblich die Wohnung betreten und ihm sein Frühstück gemacht.«

»Wussten Sie da, dass er nicht in der Schlinge hing?«, fragt Saga.

»Ich hatte im kleinen Salon nachgesehen«, antwortet Edith Schwartz.

Der Anflug eines spöttischen Lächelns huscht über ihr verschlossenes Gesicht.

»Sie haben uns bereits erzählt, dass Palmcrona genauso frühstückte wie sonst auch, aber auch an diesem Morgen fuhr er nicht zur Arbeit.«

»Er saß mindestens eine Stunde im Musikzimmer.«

»Und hörte Musik?«

»Ja«, antwortet sie.

»Kurz vor Mittag führte er ein kurzes Telefonat«, bemerkt Saga.

»Das weiß ich nicht, er hielt sich in seinem Arbeitszimmer auf, und die Tür war geschlossen, aber bevor er sich zu Tisch setzte und den pochierten Lachs aß, bat er mich, für zwei Uhr ein Taxi zu bestellen.«

»Er wollte zum Flughafen Arlanda«, sagt Joona.

»Ja.«

»Um zehn vor zwei wurde er angerufen?«

»Ja, er war schon im Mantel und ging im Flur an den Apparat.«

»Konnten Sie hören, was er sagte?«, fragt Saga.

Edith Schwartz kratzt sich an ihrem Pflaster und legt anschließend die Hand auf die Türklinke.

»Es ist kein Albtraum zu sterben«, sagt sie leise.

»Ich habe Sie gefragt, ob Sie gehört haben, was er sagte«, beharrt Saga.

»Jetzt müssen Sie mich bitte entschuldigen«, sagt Edith Schwartz kurz angebunden und will die Tür zuziehen.

»Warten Sie, bitte«, sagt Joona.

Die Tür hält plötzlich in ihrer Bewegung inne, und die Haushälterin sieht ihn durch den Türspalt an, ohne wieder aufzumachen.

»Sind Sie schon dazu gekommen, Palmcronas Post von heute zu sortieren?«, erkundigt sich Joona.

»Selbstverständlich.«

»Holen Sie bitte alles, was keine Reklame ist«, fordert Joona sie auf.

Sie nickt, geht ins Haus, schließt die Tür hinter sich und kehrt kurz darauf mit einer blauen Plastikablage voller Post zurück.

»Danke«, sagt Joona und nimmt sie entgegen.

Sie zieht die Tür zu und schließt ab. Sekunden später beginnt die Hundeleine wieder zu sirren. Als sie zum Auto zurückkehren und einsteigen, hören sie hinter sich das aggressive Bellen des Schäferhunds.

Saga lässt den Motor an, schaltet und wendet. Joona zieht Schutzhandschuhe an, blättert in den Briefen, greift nach einem weißen handschriftlich adressierten Umschlag, öffnet ihn und zieht behutsam das Foto heraus, das mindestens zwei Menschen das Leben gekostet hat.

47

Die vierte Person

Saga Bauer fährt rechts heran. Das hohe Gras im Straßengraben schmiegt sich ans Fenster. Joona Linna sitzt vollkommen regungslos und betrachtet die Aufnahme.

Irgendetwas verdeckt den oberen Rand des Motivs, aber ansonsten ist das Bild gestochen scharf. Wahrscheinlich wurde das Foto heimlich gemacht.

Auf dem Foto sind vier Personen in der geräumigen Loge eines Konzertsaals zu sehen, drei Männer und eine Frau. Ihre Gesichter sind deutlich zu erkennen. Nur einer der Anwesenden hat sich vom Betrachter abgewandt, aber sein Gesicht ist nicht verdeckt.

In einem Sektkühler steht Champagner, und der Tisch ist so gedeckt, dass die vier essen, sich unterhalten und gleichzeitig der Musik lauschen können.

Joona erkennt sofort Carl Palmcrona, der ein schlankes Champagnerglas in der Hand hält, und Saga identifiziert zwei der drei anderen.

»Das hier ist Raphael Guidi, der Waffenhändler, der in dem Erpresserbrief erwähnt wurde«, erläutert sie und zeigt auf einen Mann mit schütterem Haar. »Und der hier, der etwas abgewandt steht, ist Pontus Salman, der Chef von Silencia Defence.«

»Waffen«, sagt Joona leise.

»Silencia Defence ist ein seriöses Unternehmen.«

Im Scheinwerferlicht auf der Bühne hinter den Männern in der privaten Loge sieht man ein Streichquartett, zwei Geigen, eine Bratsche und ein Cello. Die Musiker sind alle Männer. Sie sitzen in einem Halbkreis, einander zugewandt, mit ruhigen, lauschenden Gesichtern. Man kann nicht erkennen, ob ihre Lider gesenkt oder geschlossen sind, ob ihre Blicke auf den Noten ruhen oder ob die Musiker die Augen geschlossen haben, um den verschiedenen Stimmen zu lauschen.

»Wer ist die vierte Person, die Frau?«, fragt Joona.

»Ich komme gleich drauf«, antwortet Saga. »Ich kenne sie, aber … Verdammt …«

Saga verstummt, und ihr Blick verharrt auf dem Gesicht der Frau.