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»Was versuchen Sie uns zu sagen?«, fragt Saga.

Penelope sieht sie an, begegnet für Sekunden Sagas Blick, antwortet aber nicht. In Gedanken kehrt sie in ihre Erinnerungen an den Monat in Kenia und im südwestlichen Sudan zurück.

Nach einer langen und heißen Autofahrt hatte sie das Lager in Kubbum erreicht, südwestlich von Nyala in Janub Darfur im südlichen Sudan. Schon an ihrem ersten Tag kämpfte sie gemeinsam mit Jane und dem Mann, der Grey genannt wurde, um den Opfern der Überfälle durch die Dschandschawid beizustehen.

In der Nacht wurde Penelope davon geweckt, dass drei Jugendliche, die der Miliz angehörten, auf Arabisch grölten, dass sie alle Sklaven töten würden. Sie gingen mitten auf der Straße, und einer von ihnen hielt einen Revolver in der Hand. Penelope stand am Fenster und blickte zu ihnen hinaus, als sie plötzlich zu einem alten Mann gingen, der Süßkartoffeln grillte, und ihn erschossen.

Die Jungen kehrten auf die Straße zurück, schauten sich um und bewegten sich dann direkt auf die Baracke zu, in der Penelope und Jane wohnten. Penelope hielt den Atem an, während sie die Jungen auf der Veranda umherstiefeln und erregt miteinander sprechen hörte.

Plötzlich traten sie die Tür der Baracke ein und betraten den Flur. Penelope lag mucksmäuschenstill unter ihrem Bett und sprach stumm ein Vaterunser. Möbel kippten um, schlugen auf den Boden, wurden in Stücke getreten. Dann hörte man die Jungen wieder auf der Straße. Einer von ihnen lachte und rief, dass die Sklaven sterben würden. Penelope kroch unter dem Bett hervor und stellte sich wieder ans Fenster. Die Jungen hatten Jane geholt, schleiften sie an den Haaren ins Freie und warfen sie mitten auf die Straße. Die Tür der zweiten Wohnbaracke am Wegrand wurde plötzlich geöffnet, und Grey kam mit einer Machete in der Hand heraus. Der hagere Junge ging ihm entgegen. Grey war etwa dreißig Zentimeter größer als der Junge und hatte breite Schultern.

»Was wollt ihr?«, fragte Grey.

Sein Gesicht war ernst und glänzte vor Schweiß.

Der schmale Junge beantwortete seine Frage nicht, hob bloß den Revolver und schoss Grey in den Bauch. Der Schuss hallte zwischen den Häusern wider. Grey stürzte stolpernd nach hinten, fiel auf den Rücken, versuchte sich aufzurichten, blieb dann aber mit der Hand auf dem Bauch reglos liegen.

»Ein toter Fur«, rief einer der anderen Jungen, der Jane an den Haaren festhielt.

Der zweite Junge zwang ihre Schenkel auseinander. Sie wehrte sich und redete unablässig mit fester, ruhiger Stimme auf sie ein. Grey rief den Jungen etwas zu. Der Hagere mit dem Revolver kehrte zu ihm zurück, schrie ihn an, presste die Mündung des Revolvers auf seine Stirn und drückte ab. Es klickte, er drückte wieder ab und wieder, aber der Revolver war leer, es klickte sechs Mal. Ein kurzes Zögern entstand auf der Straße, und die Türen anderer Baracken öffneten sich, Frauen traten ins Freie. Die Jungen ließen Jane los und liefen davon. Penelope sah, dass fünf Frauen sie verfolgten. Sie riss die Decke auf ihrem Bett an sich, schloss die Tür auf, rannte durch den Flur und auf die Straße hinaus. Sie lief zu Jane, schlang die Decke um sie, half ihr auf.

»Rein mit dir«, sagte Jane. »Sie könnten mit neuer Munition zurückkommen, du darfst nicht hier draußen sein …«

Die ganze Nacht und den nächsten Morgen stand Jane am Operationstisch. Erst gegen zehn legte sie sich in ihrer Baracke mit der Gewissheit ins Bett, Greys Leben gerettet zu haben. Gegen Abend arbeitete sie wie üblich, und am nächsten Tag war im Krankenzelt wieder alles beim Alten. Die kleinen Jungen halfen ihr, waren aber stärker auf der Hut und taten manchmal, als würden sie sie nicht verstehen, wenn sie das Gefühl hatten, dass sie zu viel verlangte.

»Nein«, flüstert Penelope.

»Was versuchen Sie, uns zu sagen?«, wiederholt Saga.

Penelope denkt, dass sie keine Munition in den Sudan exportieren dürfen.

»Das dürfen die nicht tun«, sagt sie und verstummt.

»In dem unterirdischen Raum waren Sie besser geschützt«, sagt Saga.

»Geschützt? Keiner kann mich schützen«, entgegnet Penelope.

»Wir wissen, wo er ist, er befindet sich in der deutschen Botschaft und wir haben das Gebäude umzingelt …«

»Aber Sie haben ihn nicht«, unterbricht Penelope Saga.

»Er ist wahrscheinlich verletzt, eine Schusswunde, und wir werden hineingehen und …«

»Ich will mitkommen«, sagt Penelope.

»Warum sollten …«

»Weil ich sein Gesicht gesehen habe«, antwortet sie.

Joona und Saga blicken sie an, dann sieht Penelope Joona an.

»Sie hatten recht«, sagt sie. »Ich habe ihn gesehen.«

»Wir haben nicht viel Zeit, aber wir schaffen es noch, ein Phantombild zu erstellen«, drängt Saga.

»Das nützt uns nichts«, erwidert Joona. »Wir können in der Botschaft eines anderen Landes niemanden nur wegen einer Ähnlichkeit mit einem Phantombild verhaften.«

»Und wenn er von einer Zeugin identifiziert wird?«, sagt Penelope, steht auf und sieht ihm ruhig in die Augen.

83

Der Täter

Penelope steht zwischen Saga Bauer und Joona Linna hinter einem gepanzerten Einsatzwagen vor der japanischen Botschaft in der Skarpögatan. Sie befinden sich nur fünfzig Meter vom Eingang zur deutschen Botschaft entfernt. Sie spürt das Gewicht der Schutzweste auf ihren Schultern und den Druck auf der Brust.

In fünf Minuten wird drei Personen für fünfundvierzig Minuten Zutritt zum Botschaftsgelände gewährt werden, damit sie versuchen können, den Tatverdächtigen zu identifizieren und festzunehmen.

Schweigend akzeptiert Penelope, dass Joona eine zusätzliche Pistole in einem Halfter auf ihrem Rücken deponiert. Er ändert den Winkel mehrmals, sodass er die Reservewaffe problemlos von ihrem Körper an sich reißen kann.

»Sie will das nicht«, bemerkt Saga.

»Ist schon in Ordnung«, sagt Penelope.

»Wir wissen nicht, was uns da drinnen erwartet«, sagt Joona. »Ich hoffe, dass alles ruhig ablaufen wird, aber falls es anders kommen sollte, könnte diese Waffe entscheidend sein.«

In der ganzen Gegend wimmelt es nur so von schwedischen Polizisten, Beamten des Staatsschutzes, Einsatzkräften und Krankenwagen.

Joona Linna betrachtet die Reste des ausgebrannten Volvos, von dem kaum mehr als das verkohlte Chassis übrig geblieben ist. Wrackteile liegen auf der Kreuzung verteilt. Erixon hat bereits ein Zündhütchen und Reste von Nitraminen gefunden.

»Wahrscheinlich Hexogen«, sagt er und schiebt die Brille auf seiner Nase hoch.

»Plastiksprengstoff«, sagt Joona und sieht auf die Uhr.

Ein Schäferhund scharwenzelt um die Beine eines Polizisten, legt sich auf den Asphalt und hechelt mit hängender Zunge.

Saga, Joona und Penelope werden von einer Einsatzgruppe zum Zaun eskortiert, wo sie von vier deutschen Militärpolizisten mit verschlossenen Gesichtern erwartet werden.

»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigt Saga Penelope. »Sie werden den Täter nur identifizieren, und sobald Sie das getan haben, werden wir Sie hinauseskortieren. Das Schutzpersonal der Botschaft wartet, bis Sie in Sicherheit sind, und wird ihn erst dann festnehmen.«

Ein kräftig gebauter Militärpolizist mit sommersprossigem Gesicht öffnet die Pforte, lässt sie auf das Gelände der Botschaft, begrüßt sie freundlich und stellt sich als Karl Mann, Sicherheitschef, vor.

Sie begleiten ihn zum Haupteingang.

Die Morgenluft ist immer noch kühl.

»Es handelt sich um eine extrem gefährliche Person«, sagt Joona.

»Das ist uns klar, wir sind informiert«, erwidert Karl Mann. »Aber ich bin den ganzen Morgen hier gewesen, und es halten sich nur Diplomaten und deutsche Staatsbürger in der Botschaft auf.«

»Können Sie eine Liste erstellen?«, bittet Saga.

»Wir sind dabei, uns die Aufnahmen der Überwachungskameras anzusehen«, berichtet Karl Mann. »Ich denke nämlich, dass Ihr Kollege sich vertan hat. Ich glaube, dass der Täter an den Toren vorbeigekommen ist, aber statt das Gebäude zu betreten, nur um die Botschaft herumgegangen und Richtung Rundfunkgebäude gelaufen ist.«