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Joona begleitet die drei Militärpolizisten zum Treppenhaus. Ihre Schritte hallen zwischen den kahlen Betonwänden. Schweigend laufen sie die Treppe hinauf in den Korridor der nächsten Etage. Ihnen schlägt intensiver Rauchgeruch entgegen, graue Schleier wabern unter der Decke.

Karl Mann öffnet eine Tür und blickt in ein leeres Büro hinein. Joona öffnet die nächste Tür, aber dort ist auch niemand. Sie gehen weiter.

»Es scheint im Schillersaal zu brennen, hinter dem befindet sich eine Küche«, sagt Karl Mann und gibt die Richtung vor.

Am Ende des Flurs sickert schwarzer Rauch unter den Doppeltüren hervor. Er läuft wie trübes Wasser Türen und Wände hinauf und verteilt sich unter der Decke.

Irgendwo schreit eine Frau. Es grollt wie Gewitterdonner tief in den Grundfesten des Gebäudes. Plötzlich knallt es hinter den Doppeltüren, so als wäre durch die Hitze eine große Fensterscheibe geplatzt.

»Wir müssen die Leute rausschaffen«, sagt Joona. »Das ist …«

Karl Mann bringt Joona mit einer Handbewegung zum Schweigen, als er über Funk gerufen wird. Er stellt den Feuerlöscher ab und meldet sich, wechselt einige Worte auf Deutsch und wendet sich anschließend an die Gruppe.

»Alle mal herhören«, sagt er. »Die Überwachungszentrale hat auf ihren Monitoren einen schwarz gekleideten Mann entdeckt, der sich in der Herrentoilette befindet, und in einem der Waschbecken liegt eine Pistole.«

»Das muss er sein«, sagt Joona.

Karl Mann ruft mit leiserer Stimme die Zentrale und erkundigt sich nach der genauen Position des Mannes auf der Herrentoilette.

»Zwei Meter rechts von der Tür«, teilt er den anderen mit. »Er blutet stark aus der Schulter, sitzt auf dem Fußboden … aber das Fenster steht offen, gut möglich, dass er versuchen wird, auf diesem Weg zu fliehen.«

Sie laufen über das braune Abdeckpapier, an einer Malerleiter vorbei, und bleiben hinter Karl Mann stehen. In diesem Teil des Gebäudes ist es spürbar heißer, und der Rauch wogt an der Decke wie ein schlammiger Fluss. Es knistert und donnert, und es kommt ihnen vor, als würde der Boden unter ihren Füßen zittern.

»Was hat er für eine Waffe?«, fragt Joona mit gedämpfter Stimme.

»Sie konnten die Pistole im Waschbecken sehen, aber nicht …«

»Fragen Sie nach, ob er den Rucksack anhat«, wirft Joona ein. »Er trägt nämlich …

»Ich leite diesen Einsatz«, faucht Karl Mann.

Er gibt einem seiner Männer ein Zeichen, woraufhin sie rasch ihre Sturmgewehre überprüfen und ihn anschließend in die Garderobe begleiten. Joona würde sie gerne noch einmal warnen, als er sie verschwinden sieht. Er weiß, dass ihre Standardtaktik bei einer Konfrontation mit diesem Profi wenig Aussicht auf Erfolg haben wird. Sie sind bloß Fliegen, die sich einer Spinne nähern. Einer nach dem anderen werden sie in seinem Netz zappeln.

Der Rauch brennt Joona in den Augen.

Eine Spinne spinnt ihr Netz stets aus zwei Arten Fäden, denkt er, den klebrigen Fangfäden und den Fäden, auf denen sie selbst sich bewegt.

Die Spinne erinnert sich an das Muster und kann deshalb auf ihrem Netz laufen, ohne sich zu verfangen.

Joona entsichert seine Smith & Wesson und folgt vorsichtig den Militärpolizisten, die sich bereits vor der Tür der Herrentoilette formiert haben. Einer von ihnen, ein Mann mit langen blonden Haaren unter seinem Helm, zieht den Splint aus einer Schockgranate. Er öffnet die Tür, wirft sie flach über dem gekachelten Fußboden hinein und schließt hastig die Tür. Man hört einen dumpfen Knall, und der zweite Militärpolizist öffnet die Tür und richtet seine Waffe in die Dunkelheit. Karl Mann treibt ihn mit einer Handbewegung an. Ohne eine Sekunde zu zögern, rennt der blonde Polizist mit dem Sturmgewehr im Anschlag in den Raum. Der Anblick versetzt Joona vor Sorge einen Stich. Dann hört er den blonden Militärpolizisten ängstlich etwas sagen. In ihrer Wehrlosigkeit klingen seine Worte nahezu kindlich. Unmittelbar darauf hören sie eine heftige Explosion, und der Militärpolizist wird, umgeben von wirbelndem Rauch und Putz, aus der Toilette geschleudert. Die Tür wird aus den Angeln gerissen. Der zweite Polizist verliert seine Waffe und geht mit einem Knie zu Boden. Die Druckwelle lässt Joona einen Schritt zurückweichen. Der blonde Militärpolizist liegt im Korridor auf dem Rücken. Sein Mund steht offen, und zwischen seinen Zähnen sieht man Blut. Er ist bewusstlos, ein großer Granatsplitter ist in seinen Oberschenkel eingedrungen. Leuchtend rotes Blut wird in plätschernden Kaskaden auf den Boden gepumpt. Joona eilt zu ihm, schleift ihn ein Stück zurück und spürt die Wärme des hervorquellenden Bluts auf seinen Händen, als er in aller Eile mit der Schärpe und einem zusammengerollten Hemdsärmel des Mannes einen Druckverband anlegt.

Einer der Männer ist zusammengesunken. Er weint mit furchtsamer und zitternder Stimme.

Zwei Militärpolizisten helfen einem grauhaarigen Mann durch den Korridor, dessen Gesicht voller Ruß ist und der sich kaum auf den Beinen halten kann. Eine Frau hat sich ihre Strickjacke um den Mund gewickelt und hastet mit panischen, weit aufgerissenen Augen durch den Gang.

Mit gezogener Pistole geht Karl Mann auf den knirschenden Splittern von Spiegel und Kacheln in die Toilette, wo er den Killer auf dem Fußboden findet. Der Mann lebt noch. Seine Beine zucken, und die Arme tasten ziellos. Das Kinn und große Teile des Gesichts sind fortgesprengt worden. Karl Mann schaut sich um, sieht den Stahldraht und erkennt, dass der Mann wahrscheinlich eine Falle mit einer Handgranate legen wollte, als er von der Schockgranate überrascht wurde, und daraufhin seine eigene Sprenggranate fallen ließ.

»Wir evakuieren das übrige Gebäude«, flüstert Karl Mann sich selbst zu und verlässt die Toilette.

Joona wischt sich das Blut von den Händen, fordert über die Einsatzzentrale Krankenwagen an und sieht Penelope aus dem Treppenhaus näher kommen. Saga folgt ihr durch den Korridor. Penelopes Augen wirken schwarz, als hätte sie stundenlang geweint. Saga versucht, sie zu beruhigen und zurückzuhalten, aber sie macht sich frei.

»Wo ist er?«, fragt Penelope. »Ich will ihn sehen.«

»Wir müssen hier raus«, ruft Joona. »Der Flur wird jeden Moment in Flammen stehen.«

Penelope eilt an Joona vorbei zur Herrentoilette, blickt in den verwüsteten Raum, sieht den Mann auf dem Fußboden, den zitternden Körper und das blutende Gesicht. Sie schluchzt auf, weicht zurück, in den Flur hinaus, sucht Halt an der Wand und reißt ein gerahmtes Porträt von Willy Brandt herunter. Es fällt zu Boden, und das Glas zerspringt, aber es bleibt an der Wand stehen.

Penelope atmet sehr schnell, ihr Magen revoltiert, sie schluckt und fühlt, dass Saga versucht, den Arm um sie zu legen, sie zum Treppenhaus zurückzubringen.

»Das ist er nicht«, wimmert Penelope.

»Wir müssen hier raus«, sagt Saga tröstend und führt sie hinaus.

Rettungssanitäter mit Schutzmasken tragen den verletzten Militärpolizisten aus dem Gebäude. Eine weitere Hitzeexplosion hört sich an wie ein tiefes Ausatmen. Glassplitter und Holzspäne wirbeln durch den Korridor. Ein Mann stolpert vorwärts, rutscht aus und kommt wieder auf die Beine. Rauch wallt aus einer offenen Tür. Ein fülliger Mann steht reglos im Flur, aus seiner Nase läuft Blut über Hemdbrust und Krawatte. Die Militärpolizisten rufen allen zu, sich zu den Notausgängen zu begeben. Aus der Türöffnung eines Büros schlagen Flammen. Das Abdeckpapier auf dem Fußboden entzündet sich und krümmt sich im Feuer. Zwei Menschen laufen geduckt Hand in Hand. Eine Frau in einem brennenden Sommerkleid schreit auf, und ein Militärpolizist besprüht sie mit weißem Löschschaum.

Der Rauch bringt Joona zum Husten, aber er betritt trotzdem die Herrentoilette und begutachtet die Zerstörungen durch die Handgranate. Der Killer liegt inzwischen ganz still, sein Gesicht ist provisorisch mit Kompressen und Gaze verbunden worden. Aus der Schusswunde in der Schulter sickert dunkelrotes Blut durch die schwarze Jacke. Das kleine Schränkchen mit der Erste-Hilfe-Ausrüstung liegt auf dem Fußboden, Pflaster und Kompressen sind herausgefallen und liegen inmitten von Mörtel und weißen Keramikscherben. Die Wände sind verrußt, zahlreiche Kacheln haben sich gelöst. Die Toilettenkabine ist demoliert, Spiegel sind zerbrochen, aus einer zerstörten Leitung fließt Wasser auf den Boden.