Saga lächelt Marie-Louise Salman geduldig an und reicht ihr fragend den Bademantel, als sie sieht, dass die Frau eine Gänsehaut bekommt.
»Ich friere gern … es lässt mich schön aussehen. Jedenfalls meinte Depardieu das im Frühjahr zu mir oder … jetzt erinnere ich mich nicht mehr – vielleicht war es auch dieser süße Reno, der das gesagt hat. Egal.«
Plötzlich hört man Schritte in dem Gang, der zum Pool führt. Marie-Louise Salman wirkt auf einmal nervös und sieht sich nach einem Fluchtweg um.
»Hallo?«, sagt eine Frau.
»Saga«, ruft Joona.
Saga tritt einen Schritt vor und sieht Joona und Penelope mit einer Frau um die fünfzig mit dunklen Haaren und einer eleganten Pagenfrisur in den Poolraum kommen.
»Marie-Louise«, sagt die Frau mit einem besorgten Lächeln. »Was tust du denn hier?«
»Ich wollte nur ein bisschen schwimmen«, antwortet die andere Frau. »Musste mich zwischen den Beinen ein wenig abkühlen.«
»Du weißt doch, dass du vorher anrufen sollst.«
»Stimmt, entschuldige, das hatte ich ganz vergessen.«
»Marie-Louise ist die Schwester von Pontus, meine Schwägerin«, erläutert die Frau, wendet sich anschließend Saga zu und stellt sich vor:
»Veronique Salman.«
»Saga Bauer, Staatsschutz.«
»Wir setzen uns in die Bibliothek«, sagt Veronique Salman und geht durch den Korridor zurück.
»Darf ich schwimmen, wenn ich schon einmal hier bin?«, ruft Marie-Louise.
»Aber nicht nackt«, antwortet Veronique, ohne sich umzudrehen.
90
Die Fotografin
Saga, Joona und Penelope begleiten Veronique Salman durch die verschiedenen Zimmer des Erdgeschosses in die Bibliothek. Ein relativ enger Raum mit kleinen, in Blei eingefassten Fensterscheiben in Gelb, Braun und Rosa, Büchern hinter Glas, braunen Ledermöbeln, einem offenen Kamin und einem Samowar aus Messing.
»Sie müssen entschuldigen, wenn ich Ihnen nichts anbiete, aber ich habe es ziemlich eilig, ich verreise in einer Stunde …«
Veronique Salman schaut sich nervös um und streicht mit der Hand über ihren Rock, ehe sie weiterspricht.
»Ich muss … ich sage nur, was ich sagen muss«, sagt sie gedämpft. »Ich werde nicht als Zeugin aussagen; falls Sie versuchen sollten, mich zu einer Zeugenaussage zu zwingen, werde ich ohne Rücksicht auf mögliche Konsequenzen alles leugnen, was ich gesagt habe.«
Sie will einen Lampenschirm gerade rücken, aber ihre Hand zittert so sehr, dass der Schirm erst recht schief hängt.
»Ich reise ohne Pontus, er wird mich nicht begleiten«, sagt sie mit gesenktem Blick. Ihr Mund zittert, und sie sammelt sich einige Sekunden, ehe sie weiterspricht.
»Frau Fernandez«, sagt sie und sieht Penelope in die Augen. »Wissen Sie, ich kann verstehen, dass Pontus in Ihren Augen Abschaum ist, aber das ist er nicht, das ist er wirklich nicht.«
»Ich habe auch gar nicht gesagt …«
»Warten Sie bitte«, unterbricht Veronique Salman sie. »Ich möchte nur sagen, dass ich meinen Mann liebe, aber dass ich … dass ich nicht mehr weiß, was ich davon halten soll, was er tut. Früher habe ich mir gesagt, dass die Menschen immer schon mit Waffen gehandelt haben. Waffenhandel hat es gegeben, solange es Menschen gegeben hat. Ich meine das nicht als Entschuldigung. Ich habe mich im Außenministerium jahrelang mit Sicherheitspolitik beschäftigt. Und wenn man sich mit diesen Fragen auseinandersetzt, muss man akzeptieren, dass es noch ein weiter Weg ist bis zur Utopie von einer Welt ohne bewaffnete Konflikte. In der Praxis kommt kein Land in der Welt ohne Armee aus, aber … es gibt Nuancen, so denke ich mir das …«
Sie geht zur Tür, öffnet sie, schaut hinaus und schließt sie wieder.
»Waffen in kriegsführende Länder zu exportieren, in einen Konfliktherd, Unruhen weiter zu schüren, indem man ihnen immer mehr Waffen zuführt, so etwas darf man nicht tun.«
»Nein«, flüstert Penelope.
»Ich verstehe den Geschäftsmann Pontus«, fährt Veronique Salman fort. »Denn Silencia brauchte diesen Auftrag wirklich sehr. Der Sudan ist ein großes Land mit unsicherem Munitionsnachschub für seine Sturmgewehre, sie benutzen fast ausschließlich Fabrique Nationale, und Belgien liefert allem Anschein nach keine Munition. Die Augen der Welt sind auf das Land gerichtet, Schweden ist dagegen niemals Kolonialmacht gewesen, wir genießen einen guten Ruf in der Region und so weiter. Pontus sah die Chance, und als der Bürgerkrieg im Sudan vorbei war, handelte er schnell. Raphael Guidi vermittelte das Geschäft. Sie wollten den Vertrag unterzeichnen. Es war alles vorbereitet, als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Verwicklung in den Völkermord der Miliz in Darfur auf einmal einen Haftbefehl gegen Präsident al-Bashir ausstellte.«
»Ein Export würde gegen internationales Recht verstoßen«, erläutert Saga.
»Das wussten natürlich alle, aber Raphael blies das Geschäft trotzdem nicht ab, er meinte nur, er habe neue Interessenten gefunden. Es dauerte ein paar Monate, aber dann erklärte er, die kenianische Armee werde als Geschäftspartner einspringen. Ich versuchte, mit Pontus zu sprechen, ihm zu sagen, dass die Munition ganz offensichtlich für den Sudan bestimmt sei, aber Pontus antwortete nur, Kenia habe die Gelegenheit beim Schopf ergriffen, weil es ein gutes Geschäft sei und das Land Munition brauche. Ich weiß nicht, ob er das selbst geglaubt hat, ehrlich gesagt denke ich es nicht, aber er schob die ganze Verantwortung auf Carl Palmcrona und die Staatliche Waffenkontrollbehörde. Wenn Palmcrona eine Ausfuhrgenehmigung ausstellt, ist alles in bester Ordnung, meinte er und …«
»Damit macht man es sich aber leicht«, wirft Penelope ein.
»Deshalb habe ich das Foto gemacht, ich wollte wissen, wer in dieser Loge saß, ich bin einfach hineingegangen und habe mit meinem Handy ein Bild geschossen, gesagt, ich würde versuchen zu telefonieren, Pontus habe ich erzählt, mir ginge es nicht gut, deshalb würde ich ein Taxi ins Hotel nehmen.«
»Das war mutig«, sagt Penelope.
»Ich wusste ja gar nicht, wie gefährlich es war, sonst hätte ich es mit Sicherheit nicht getan«, sagt Veronique. »Ich war wütend auf Pontus und wollte ihn dazu bringen, sich zu ändern. Ich verließ die Alte Oper mitten im Konzert und sah mir das Bild im Taxi an. Und was ich sah, war reiner Wahnsinn. Die Käuferseite wurde von Agathe al-Haji repräsentiert, sie ist die Sicherheitsberaterin des sudanesischen Präsidenten, ich meine, die Munition würde doch direkt in diesen Bürgerkrieg gepumpt werden, von dem keiner etwas hören will.«
»Völkermord«, flüstert Penelope.
»Als wir nach Hause kamen, sagte ich Pontus, dass er einen Rückzieher machen muss … Ich werde niemals seinen Blick vergessen, als er mich ansah und meinte, das gehe nicht. Er habe einen Paganini-Vertrag geschlossen, erklärte er, und als ich seinen Blick sah, bekam ich Angst. Er war vor Furcht wie gelähmt. Ich wagte es nicht, das Bild auf meinem Handy zu behalten, also druckte ich es aus, löschte es von Speicherkarte und Festplatte und schickte es Ihnen zu.«
Mit hängenden Armen und resigniertem Gesicht steht Veronique Salman vor Penelope.
»Ich wusste nicht, was passieren würde«, sagt sie leise. »Woher sollte ich das wissen? Es tut mir unendlich leid, ich kann Ihnen gar nicht sagen …«
Für einen Moment wird es still im Raum, in der Ferne hört man das Rauschen des Pools.
»Was ist ein Paganini-Vertrag?«, fragt Joona.
»Raphael Guidi besitzt mehrere Geigen von unschätzbarem Wert«, sagt Veronique. »Er sammelt Instrumente, auf denen Paganini vor mehr als hundert Jahren gespielt hat. Manche Geigen bewahrt er zu Hause auf, andere leiht er herausragenden Musikern und …«
Ehe sie weiterspricht, streicht sie sich nervös übers Haar.
»Das mit Paganini … also ganz habe ich es nicht verstanden, aber Pontus sagt, dass Raphael Paganini mit dem Vertrag in Verbindung bringt, er sagt immer, seine Verträge seien ewig gültig, darum geht es ihm. Es werden keine Papiere unterzeichnet, es … Pontus hat mir erzählt, Raphael habe alles vorbereitet. Er habe alle Zahlen im Kopf, kenne die Logistik, wie und wann das Geschäft durchgeführt werden solle. Er erklärte jedem Einzelnen, was von ihm verlangt wurde und wie viel er an dem Geschäft verdienen würde. Wenn man seine Hand geküsst hat, gibt es keinen Ausweg mehr, keine Möglichkeit zur Flucht, keinen Schutz, nicht einmal die Chance zu sterben …«