»Ich kann das Geschäft nicht mehr aufhalten«, sagt er. »Ich hatte es zu eilig, brauchte den Auftrag …«
»Also haben Sie den Vertrag unterschrieben.«
»Die Sache wäre selbst dann noch wasserdicht, falls sie auffliegen sollte. Jeder konnte behaupten, in gutem Glauben gehandelt zu haben, keiner war schuld.«
»Trotzdem ging es schief«, sagt Joona.
»Ja.«
»Ich hatte eigentlich damit warten wollen, Sie zu verhaften …«
»Weil Sie nichts beweisen können«, sagt Pontus Salman.
»Ich habe zwar noch nicht mit dem Staatsanwalt gesprochen«, fährt Joona fort, »aber ich bin mir sicher, dass wir Ihnen Strafmilderung zusagen können, wenn Sie bereit sind, gegen Raphael Guidi auszusagen.«
»Aussagen, ich werde nicht aussagen«, erklärt Pontus Salman. »Ich merke schon, Sie kapieren das nicht. Ich habe einen sehr speziellen Vertrag unterschrieben, und wenn ich nicht so verdammt feige wäre, hätte ich längst dasselbe getan wie Palmcrona.«
»Wenn Sie aussagen, werden wir Sie beschützen«, sagt Joona.
»Palmcrona ist davongekommen«, flüstert Salman. »Er hat sich erhängt, und jetzt muss sein Nachfolger die Ausfuhrgenehmigung unterzeichnen. Palmcrona wurde für Raphael Guidi vollkommen uninteressant, und so blieb es ihm erspart, seinen Albtraum in Erfüllung gehen zu sehen …«
Salmans lebloses Gesicht verzieht sich auf einmal zu einem Lächeln. Joona sieht ihn an und denkt, dass dies nicht wahr ist, Palmcrona ist nicht davongekommen, denn sein Sohn ist gestorben, und das war sein Albtraum.
»Eine Psychologin ist unterwegs«, sagt Joona. »Sie wird versuchen, Sie davon zu überzeugen, dass Selbstmord kein Ausweg ist, der …«
Pontus Salman rudert wieder auf den See hinaus.
»Herr Salman, Sie müssen mir ein paar Fragen beantworten«, sagt Joona mit erhobener Stimme. »Sie sagen, der nächste Direktor der Staatlichen Waffenkontrollbehörde wird die Ausfuhrgenehmigung unterzeichnen müssen, aber was passiert, wenn er sich weigert? Kann er sich nicht einfach weigern, einen solchen Paganini-Vertrag zu schließen?«
Pontus Salman hört auf zu rudern, der Nachen gleitet weiter hinaus, die Ruder schleifen durchs Wasser.
»Doch, das kann er«, antwortet er ruhig. »Aber das wird er nicht tun wollen …«
92
Ertappt
Axel Riessen wird davon geweckt, dass auf seinem Nachttisch das Telefon klingelt. Erst gegen Morgen ist er neben Beverlys verschwitztem Körper eingeschlafen.
Nun betrachtet er ihr junges Gesicht und erkennt erneut Gretas Züge darin, ihren Mund und ihre Lider.
Beverly flüstert etwas im Schlaf und dreht sich auf den Bauch. Axel spürt beim Anblick ihres zierlichen kleinen Körpers, ihres herzzerreißend jungen Körpers eine Welle der Zärtlichkeit in sich aufwallen.
Er setzt sich im Bett auf und streckt sich nach dem dünnen Buch »Die Panne« von Friedrich Dürrenmatt, als es plötzlich an die Schlafzimmertür klopft.
»Warte«, sagt Axel in dem Moment, als Robert das Zimmer betritt.
»Ich habe gedacht, du wärst schon wach«, sagt sein Bruder. »Ich würde gerne deine Meinung zu einem neuen Instrument hören, das ich …«
Robert erblickt Beverly und bleibt abrupt stehen.
»Axel«, stammelt er. »Was geht hier vor, Axel?«
Beverly wird von seiner Stimme geweckt. Als sie Robert sieht, versteckt sie sich unter der Decke. Axel steht auf und wirft sich den Morgenmantel über, aber Robert weicht vor ihm zurück.
»Der Teufel soll dich holen«, sagt er leise. »Der Teufel soll dich …«
»Es ist nicht so wie du …«
»Hast du sie missbraucht?«, schreit Robert beinahe. »Ein krankes Mädchen?«
»Ich kann dir das erklären«, sagt Axel.
»Du Schwein«, flüstert Robert und packt ihn, reißt ihn zur Seite.
Axel verliert das Gleichgewicht, schlägt mit dem Arm eine Lampe zu Boden. Robert weicht aus dem Zimmer zurück.
»Warte«, sagt Axel und folgt ihm. »Mir ist schon klar, wie das jetzt aussieht, aber du irrst dich. Du kannst sie fragen, wenn …«
»Ich fahre mit ihr zur Polizei«, sagt Robert. »Ich hätte niemals geglaubt, dass du …«
Vor Entrüstung versagt ihm die Stimme, seine Augen füllen sich mit Tränen.
»Ich bin kein Pädophiler«, versucht Axel mit gedämpfter Stimme zu erklären. »Das musst du verstehen. Ich brauche nur …«
»Du brauchst es nur, dich an Kindern zu vergreifen«, unterbricht Robert ihn und sieht völlig verzweifelt aus. »Du nutzt einen anderen Menschen aus, obwohl du versprochen hast, dich um sie zu kümmern und sie zu beschützen.«
Axel bleibt in der Bibliothek vor ihm stehen. Robert lässt sich schwer auf die Couch fallen, sieht seinen Bruder an und versucht, mit fester Stimme zu sprechen:
»Axel, dir ist doch wohl klar, dass ich mit ihr zur Polizei gehen muss«, sagt er.
»Ja«, antwortet Axel. »Das ist mir klar.«
Robert bringt es nicht über sich, seinen Bruder anzusehen, er streicht sich über den Mund und seufzt.
»Am besten tue ich das direkt«, sagt er.
»Ich gehe sie holen«, sagt Axel und geht ins Schlafzimmer.
Beverly sitzt im Bett, lächelt und wackelt mit den Zehen.
»Zieh dich an«, sagt er ernst. »Du wirst Robert begleiten.«
Als er in den Salon zurückkehrt, steht Robert augenblicklich von der Couch auf. Sie stehen wortlos zusammen, den Blick gesenkt, und warten.
»Du bleibst hier«, sagt Robert leise.
»Ja«, flüstert Axel.
Nach einer Weile kommt Beverly. Sie hat eine Jeans und ein T-Shirt angezogen. Sie ist ungeschminkt und sieht noch jünger aus als sonst.
93
Gretas Tod
Robert fährt schweigend, bremst sanft an einer Ampel und wartet darauf, dass sie grün wird.
»Es tut mir furchtbar leid für dich«, sagt er bedrückt. »Mein Bruder hat gesagt, er würde dir ein Zimmer zur Verfügung stellen, bis du eins in einem Wohnheim bekommst, ich hätte nie geglaubt, dass …«
»Axel ist kein Pädophiler«, sagt sie leise.
»Ich will nicht, dass du ihn verteidigst, das hat er nicht verdient.«
»Er rührt mich nicht an, nur dass du es weißt, so etwas hat er niemals getan.«
»Was tut er denn dann?«
»Er hält mich fest«, antwortet Beverly.
»Hält dich fest?«, wiederholt Robert. »Aber du hast doch gesagt …«
»Er hält mich fest, um schlafen zu können«, sagt sie mit ihrer hellen, unverstellten Stimme.
»Wie meinst du das?«
»Es ist nichts hässlich daran – jedenfalls habe ich nichts in der Art bemerkt.«
Robert seufzt und sagt, sie müsse das alles der Polizei erzählen. In seiner Brust wallt erneut nagende Verzweiflung auf.
»Es geht um seinen Schlaf«, sagt Beverly. »Er kann ohne Tabletten nicht schlafen, aber meine Nähe beruhigt ihn, er wird …«
»Du bist minderjährig«, unterbricht Robert sie.
Beverly sieht durch die Windschutzscheibe. Ein paar schwangere Frauen mit großen Bäuchen gehen plaudernd auf dem Bürgersteig entlang. Eine alte Dame steht ganz still, hat ihr Gesicht der Sonne zugewandt.
»Warum?«, fragt Robert plötzlich. »Warum kann er nachts nicht schlafen?«
»Er sagt, dass es schon ewig so ist.«
»Stimmt, mit den ganzen Schlaftabletten hat er sich die Leber kaputt gemacht.«
»Er hat mir im Krankenhaus davon erzählt«, berichtet Beverly. »Es ging um etwas, was ihm passiert ist, aber …«
Robert hält an einem Zebrastreifen. Ein Kind verliert seinen Schnuller auf der Straße, die Mutter bemerkt es nicht und geht weiter. Das Kind reißt sich plötzlich los und rennt zurück. Die Mutter schreit entsetzt auf, entdeckt dann aber, dass Robert das Kind gesehen und vorhergesehen hat, was passieren würde. Sie trägt das strampelnde Kind wieder über die Straße.
»Ein Mädchen ist gestorben«, sagt Beverly.
»Wer?«
»Er will nie darüber reden, nur damals, im Krankenhaus …«
Sie verstummt, flicht ihre Finger ineinander und trommelt auf ihren Beinen.
»Erzähl mir, was er gesagt hat«, fordert Robert sie auf.
»Sie waren nachts zusammen, und danach hat sie sich das Leben genommen«, sagt Beverly und schielt zu Robert hinüber. »Ich sehe ihr ähnlich, stimmt’s?«