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Verschwunden

Joona versucht, Pontus Salman zur Umkehr zu bewegen, dessen Boot weiter auf den See hinausgleitet. Joona läuft vom Steg aus die Böschung hinauf und begegnet der Psychologin und den beiden Kollegen aus Södertälje. Er führt sie zum Steg hinunter und weist sie an, vorsichtig zu sein, obwohl er nicht glaubt, dass Pontus Salman sich oder anderen etwas antun wird.

»Halten Sie ihn nur fest, ich melde mich, so schnell ich kann«, sagt er und eilt zum Auto zurück.

Als Joona die Brücke über die Bucht Fittjaviken überquert, denkt er an Pontus Salman zurück, der in seinem Ruderboot saß und sich so sicher war, dass Axel Riessen einen Paganini-Vertrag unterschreiben werde.

Joona hatte ihn gefragt, ob er sich nicht weigern könne, aber Salman hatte geantwortet, Riessen werde sich gar nicht weigern wollen.

Während er Axel Riessens Nummer wählt, taucht Veronique Salman, die Ehefrau, vor seinem inneren Auge auf. Der enttäuschte Zug um den Mund und die Angst in ihren Augen, als sie sagte, wenn man Raphael Guidi die Hand geküsst habe, gebe es keinen Weg zurück mehr.

Ständig taucht das Wort Albtraum auf, überlegt Joona. Palmcronas Haushälterin hat es benutzt, Veronique Salman hat gesagt, Guidi gelinge es, allen zu entlocken, was ihr schlimmster Albtraum ist, und Pontus Salman hat behauptet, Palmcrona sei durch seinen Selbstmord seinem Albtraum entronnen.

Es blieb ihm erspart, mit ansehen zu müssen, wie sein Albtraum in Erfüllung ging, sagte er.

Joona denkt an Stefan Bergkvist, der niemals erfuhr, dass Carl Palmcrona sein Vater war. Er denkt an die grauenvolle Hitze, die das Fleisch vom Skelett brannte, die das Blut zum Kochen brachte, die den Schädel des Jungen spaltete.

Ein Paganini-Vertrag wird selbst durch den Tod nicht aufgehoben.

Joona unternimmt einen weiteren Versuch, Axel Riessen auf dem Handy zu erreichen, und versucht es anschließend mit dessen Durchwahl bei der Kontrollbehörde.

»Sekretariat von Generaldirektor Axel Riessen«, meldet sich eine Frauenstimme.

»Ich hätte gerne Axel Riessen gesprochen«, erklärt Joona.

»Er ist momentan nicht zu sprechen«, antwortet die Frau.

»Ich bin Kriminalkommissar und muss ihn unbedingt sofort sprechen.«

»Ich verstehe, aber …«

»Holen Sie ihn heraus, wenn er in einer Besprechung sitzt.«

»Er ist nicht hier«, sagt sie mit erhobener Stimme. »Er ist heute Morgen nicht gekommen, und ich habe ihn telefonisch nicht erreichen können.«

»Dann weiß ich Bescheid«, erwidert Joona kurz und beendet das Gespräch.

Joona parkt seinen Volvo im Bragevägen vor dem Tor zu Axel Riessens Haus. Er sieht gerade noch jemanden die Tür zur Wohnung des Bruders schließen. Joona läuft hin und drückt auf den Klingelknopf, das Schloss klappert, und die Tür wird wieder geöffnet.

»Sieh einer an«, sagt Robert Riessen, als er Joona sieht. »Hallo.«

»Ist Ihr Bruder zu Hause?«

»Das sollte er sein, aber ich bin gerade erst gekommen«, antwortet Robert Riessen. »Ist etwas passiert?«

»Ich habe versucht, ihn zu erreichen.«

»Ich auch«, sagt Robert und lässt Joona herein.

Sie gehen eine halbe Treppe hinauf und gelangen in ein geräumiges Foyer mit einem großen Kronleuchter an der Decke. Robert Riessen klopft an eine Tür und betritt die Wohnung seines Bruders. Sie eilen schweigend in die Privatwohnung hinauf.

»Axel!«, ruft Robert.

Sie schauen sich um, gehen durch die Zimmer. Alles ist wie sonst, die Musikanlage ist stumm, aber eingeschaltet, ein Band der Encyclopedia Britannica liegt auf dem Bibliothekswagen.

»Wissen Sie zufällig, ob er verreisen wollte?«, erkundigt sich Joona.

»Nein«, sagt Robert Riessen mit müder Stimme. »Aber er macht so viele seltsame Dinge.«

»Wie meinen Sie das?«

»Man glaubt, dass man ihn kennt, aber … Nein, ich weiß nichts.«

Joona geht ins Schlafzimmer, lässt rasch den Blick durch den Raum schweifen, sieht ein großes Ölgemälde verkehrt herum an der Wand lehnen, einen verblühten Löwenzahnstängel in einem Whiskyglas, das ungemachte Bett und ein Buch.

Robert Riessen ist bereits auf der Treppe nach unten, und Joona folgt ihm in die große Küche.

96

Raphael Guidi

Joona parkt seinen Wagen am Kronobergspark, überquert eilig die grünen Rasenflächen vor dem Landespolizeiamt und ruft die Polizei von Södertälje an. Er macht sich Sorgen, weil er keine Zeit hatte zu bleiben, als Pontus Salman in Obhut genommen werden sollte.

Seine bösen Vorahnungen verstärken sich noch, als der Kollege in Södertälje erklärt, er wisse nicht, wo Salman ist.

»Ich rufe zurück«, sagt der Mann mit gotländischem Akzent. »Geben Sie mir ein paar Minuten.«

»Aber ihr habt ihn doch mitgenommen, oder?«, fragt Joona.

»Das sollten wir eigentlich getan haben«, erwidert der Mann zögernd.

»Ich habe eindeutig Anweisung gegeben, dass er festgehalten werden soll.«

»Jetzt regen Sie sich mal nicht auf«, sagt der Mann. »Ich bin mir sicher, dass die Kollegen ihre Arbeit gut gemacht haben.«

Er gibt etwas in seinen Computer ein, murmelt vor sich hin und tippt noch etwas, ehe er sich wieder meldet:

»Alles klar, er ist hier, und wir haben sein Gewehr beschlagnahmt, eine Winchester 400.«

»Gut, halten Sie ihn fest, wir schicken einen Wagen und holen ihn ab«, sagt Joona. Er hat einen vagen Geruch vom Schwimmbecken im Kronoberg-Bad in der Nase, als er durch die großen Glastüren das Gebäude betritt.

Er nimmt den Aufzug nach oben, geht im Eiltempo den Flur hinab und hat beinahe Carlos Eliassons Büro erreicht, als sein Telefon klingelt. Es ist Disa. Eigentlich hat er keine Zeit für sie, aber er meldet sich trotzdem.

»Hallo«, sagt Disa. »Kommst du morgen?«

»Du hast gesagt, du willst deine Geburtstage nicht feiern.«

»Ich weiß, aber ich dachte … nur du und ich.«

»Das hört sich gut an«, sagt Joona.

»Ich habe dir etwas Wichtiges zu sagen«, sagt sie.

»Okay«, erwidert Joona und hat im selben Moment die Tür erreicht.

»Ich …«

»Entschuldige bitte, Disa«, unterbricht er sie, »aber ich kann jetzt nicht länger sprechen. Ich bin gerade auf dem Sprung in eine wichtige Besprechung.«