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»Ich habe eine Überraschung für dich«, sagt sie.

»Disa, ich muss jetzt auflegen«, sagt er und öffnet die Tür.

»Aber …«, sagt Disa.

»Es tut mir wirklich furchtbar leid, aber ich habe keine Zeit.«

Er betritt Carlos’ Büro, schließt die Tür hinter sich und setzt sich auf die Couch, auf der Saga Bauer bereits Platz genommen hat.

»Wir können Axel Riessen nicht erreichen und befürchten, dass das mit der Ausfuhrgenehmigung zusammenhängt«, sagt Joona. »Wir glauben, dass Raphael Guidi dahintersteckt und brauchen deshalb möglichst schnell einen Haftbefehl und …«

»Einen Haftbefehl?«, unterbricht Carlos ihn. »Axel Riessen ist in den letzten zwei Stunden nicht ans Telefon gegangen, er ist heute Morgen nicht zur Arbeit gekommen, und schon glaubt ihr, dass er von Raphael Guidi gekidnappt wurde, einem erfolgreichen Geschäftsmann, der noch nie irgendeines Verbrechens angeklagt worden ist.«

Carlos hebt die Hand und beginnt, es an den Fingern abzuzählen:

»Der schwedischen Polizei liegt nichts gegen ihn vor, Europol nicht, Interpol nicht, ich habe mit der französischen, der italienischen und der monegassischen Polizei gesprochen.«

»Aber ich habe mit Anja gesprochen.« Joona lächelt.

»Du hast mit …«

Carlos verstummt, als die Tür aufgeht und Anja Larsson eintritt.

»In einem Zeitraum von zehn Jahren ist Raphael Guidis Name in sechs Ermittlungsverfahren zu illegalem Waffenhandel, Wirtschafskriminalität und mysteriösen Todesfällen aufgetaucht«, sagt sie.

»Aber Ermittlungsverfahren«, wendet Carlos ein, »besagen doch gar nichts.«

»Darf ich berichten, was ich recherchiert habe?«, unterbricht sie ihn.

»Ja, natürlich.«

»Die Verdachtsmomente gegen Raphael Guidi wurden in fast allen Fällen frühzeitig fallen gelassen, es ist nie zu einem Prozess gekommen.«

»Also nicht«, sagt Carlos.

»Sein Konzern verdiente durch die Bewaffnung des Kampfflugzeugs Nighthawk mit AGM-65 Maverick 123 Millionen Dollar an der Operation Desert Storm«, fährt Anja nach einem kurzen Blick in ihre Notizen fort. »Eine seiner Tochterfirmen belieferte aber auch die serbischen Streitkräfte mit Raketenwerfern, als die ebendieses Flugzeug während des Kosovokriegs beschossen.«

Anja zeigt ihnen ein Foto von Guidi mit Sonnenbrille und einem orangen Glas. Er trägt Freizeitkleidung, eine kornblumenblaue Hose und ein glatt gebügeltes, aber lose hängendes Hemd in der gleichen Farbe. Lächelnd steht er zwischen zwei Leibwächtern vor einem rauchfarbenen Lamborghini Diablo.

»Raphael Guidis Frau … war die bekannte Geigerin Fiorenza Colini«, berichtet Anja. »Nur ein Jahr nach der Geburt ihres Sohnes Peter erkrankte sie an Brustkrebs, die Ärzte haben zwar alles versucht, aber sie starb, als der Junge sieben war.«

In einem Zeitungsausschnitt aus La Repubblica sieht man Fiorenza Colini mit einer schönen roten Geige an der Schulter, im Hintergrund das Orchester der Scala, der Dirigent Riccardo Muti steht neben ihr, seine gewellten Haare glänzen im Scheinwerferlicht. Fiorenza Colini trägt ein eng geschnittenes, platinglänzendes Kleid mit silbernem Stickbesatz und eingefassten Glasprismen, sie lächelt in sich gekehrt mit schweren Lidern. Der rechte Ellbogen ist tief, der Bogen bewegt sich nach unten, die linke Hand streckt sich weit über den Geigenhals, sie spielt einen hohen Ton.

Auf einem Cover von Newsweek steht Raphael Guidi neben Alice Cooper und zeigt seinen neugeborenen Sohn unter der Schlagzeile »Billion dollar baby«.

Auf einem anderen Pressefoto unterhält er sich stehend mit Silvio Berlusconi. Hinter den beiden Männern sieht man drei blonde Frauen in äußerst knappen Bikinis um ein herzförmiges Schwimmbecken aus rosa Marmor versammelt.

»Raphael Guidi hat seinen Wohnsitz in Monaco, aber mir ist inzwischen klar geworden, dass man sich auf hohe See begeben muss, wenn man sich mit ihm treffen möchte«, erzählt Anja. »Die meiste Zeit hält er sich heute auf seiner riesigen Jacht ›Theresa‹ auf. Das ist verständlich. Die Jacht wurde vor fünfzehn Jahren von der Firma Lürssen in Bremen gebaut und war damals die teuerste der Welt.«

Auf einem kleinen Bild aus der französischen Vogue sieht man das weiße, pfeilförmige Schiff auf offener See wie eine Speerspitze aus Porzellan und in einem großen zweiseitigen Artikel mit der Überschrift »Lion en Cannes« wird über ein Fest an Bord der Luxusjacht aus Anlass der Filmfestspiele in Cannes berichtet. Alle Männer tragen Smoking. Kevin Costner unterhält sich mit Salma Hayek, und Raphael Guidi steht zwischen seiner Frau und dem bekannten Playboymodel, der Schwedin Victoria Silvstedt. Hinter ihm stehen mit ausdruckslosen Gesichtern zwei Leibwächter. Hinter den zahlreichen Fenstern des Speisesaals erahnt man den Hafen. Vogelbauer mit Tukanen hängen unter der Decke, und mitten im Raum steht ein Käfig mit einem Löwen mit stattlicher Mähne.

Sie geben die Zeitungsausschnitte an Anja zurück, die ruhig fortfährt.

»Das Folgende sollten wir uns zusammen anhören … Der belgische Nachrichtendienst hat ein Telefonat eines italienischen Staatsanwalts mit Salvatore Garibaldi, seines Zeichens Brigadegeneral bei der italienischen Armee, aufgezeichnet.«

Sie verteilt eine provisorische Übersetzung und steckt anschließend einen USB-Stick in Carlos’ Computer, lehnt sich vor und klickt die Audiodatei an. Das Programm wird geöffnet, und eine Stimme beginnt, schnell zu sprechen. Auf Französisch werden die Umstände des Gesprächs, Ort, Datum und Uhrzeit heruntergeleiert. Danach hört man ein metallisches Klicken und einen fernen Verbindungston.

Es knistert eine Weile, bis schließlich deutlich eine Stimme zu hören ist:

»Ich höre und ich bin bereit, Ermittlungen einzuleiten«, erklärt der Staatsanwalt.

»Aber ich würde niemals gegen Raphael aussagen, nicht einmal unter Folter, nicht …«

Salvatore Garibaldis Stimme verschwindet, es knistert, wird still, dann hört man ihn wieder, allerdings nur leise, wie durch eine geschlossene Tür.

» … mit Mündungsbremsen und vollkommen rückstoßfreien Raketensystemen … und verteufelt viele Minen, es waren Tretminen, Fahrzeugminen, Panzerminen … Raphael würde niemals … wie in Ruanda, es war ihm egal. Es waren Knüppel, und es waren Macheten – nichts, womit man Geld verdient. Aber als die Lage kippte und die Sache auf den Kongo übergriff, wollte er mitmischen, weil er fand, dass das Ganze an Dynamik gewann. Erst bewaffnete er das ruandische RPF-Regime, um Mobuto ordentlich zuzusetzen, und danach begann er, den Hutus schwere Waffen zuzuschanzen, damit sie gegen die RPF kämpfen konnten.«

Durch das Rauschen hindurch hören sie ein seltsames piependes Signal, dann kehrt die Stimme des Generals zurück.

Er atmet schnell, murmelt etwas vor sich hin und ist auf einmal wieder ganz deutlich zu hören.

»Die Sache mit dem Albtraum, ich hatte das nicht ernst genommen. Ich musste daneben stehen und ihre verschwitzte Hand halten … Meine Tochter, sie war vierzehn. So hübsch, so schön … und Raphael … er machte es selbst, er wollte mit dem Messer schneiden, schrie, mein Albtraum gehöre ihm. Es ist unfassbar.«

Es knistert eigentümlich, und sie hören undeutliche Schreie, berstendes Glas, die Aufnahme wird immer wieder unterbrochen.

»Warum will man Dinge tun, die … Einer seiner Leibwächter reichte ihm das Filetiermesser … das Gesicht meiner Tochter, ihr schönes, schönes …«

Salvatore Garibaldi weint laut, jammert und schreit, dass er nur noch sterben will, sonst nichts.

Es rauscht, und die Aufnahme endet. In Carlos Eliassons Büro wird es vollkommen still. Durch die kleinen Fenster, die auf die grünenden Böschungen des Kronobergsparks hinausgehen, fällt spielerisches Licht in das Büro.

»Diese Aufnahme«, sagt Carlos nach einer Weile, »beweist gar nichts … er hat am Anfang gesagt, dass er nicht aussagen wird, ich nehme folglich an, dass der Staatsanwalt die Ermittlungen eingestellt hat.«

»Drei Wochen nach diesem Telefonat fand ein Hundebesitzer Salvatore Garibaldis Kopf«, sagt Anja. »Er lag im Graben neben der Viale Goethe hinter der Galopprennbahn in Rom.«