Dy Cabon leckte sich die Lippen. »Hm. Ich kenne ein Gasthaus nahe Palma, das wir noch vor Einbruch der Dunkelheit erreichen können, wenn wir nicht trödeln. Es hat eine hervorragende Küche. Außerdem gibt es dort eine heilige Quelle, sehr alt. Eine Stätte von minderer Bedeutung, doch wenn Sera Ista dy Ajelo eine Pilgerfahrt in aller Demut unternehmen möchte, ist ein bescheidener Anfang vielleicht das Beste für ihre Zwecke. Und die bedeutenden Heiligtümer sind um diese Jahreszeit für gewöhnlich überfüllt.«
»In diesem Fall sollten wir die Menschenmassen meiden, uns in Demut üben und unsere Gebete an dieser Quelle sprechen. Oder bei den Erzeugnissen dieser Küche, falls es sich so ergibt.« Istas Lippen bebten.
»Ich nehme nicht an, dass wir unsere Gebete mit der Goldwaage abwägen müssen wie irgendeine zweifelhafte Münze«, entgegnete dy Cabon vergnügt, von ihrem flüchtigen Lächeln ermuntert. »Wir können ruhig beides tun und Fülle mit Fülle vergelten.« Der Geistliche ließ Zeige- und Mittelfinger wie Beine von Valenda nach Palma über die Karte wandern und weiter zu dem Ort, auf den Ferda gezeigt hatte. Er zögerte und drehte seine Hand ein weiteres Mal in eine andere Richtung. »Und wenn wir früh genug aufstehen, erreichen wir von dort nach einem weiteren Tagesritt Casilchas. Ein verschlafenes kleines Nest, doch meine Kirche unterhält dort eine Akademie. Einige meiner früheren Lehrer arbeiten immer noch dort. Die Akademie verfügt über eine ausgezeichnete Bibliothek, zumindest für eine Einrichtung dieser Größe. Viele Geistliche, die dort unterrichtet haben, hinterließen nach ihrem Tod ihre Bücher. Bedenkt man an den Zweck unserer Pilgerfahrt, ist ein Priesterseminar des Bastards sicher kein Ort, an den man Station machen würde. Aber ich muss gestehen, dass ich diese Bibliothek gern zurate ziehen würde.«
Ista fragte sich, ob dieses Seminar auch über einen guten Koch verfügte. Sie stützte das Kinn auf die Hand und musterte den beleibten jungen Mann, der ihr gegenübersaß. Wie war man im Tempel zu Valenda bloß auf die Idee gekommen, ihn zu ihr zu schicken? Seine halbwegs adlige Abkunft? Wohl kaum. Aber erfahrene Pilgerführer hatten gewiss schon sämtliche spirituellen Schlachtpläne ihrer Zöglinge im Voraus ausgearbeitet. Ohne Zweifel gab es sogar Bücher mit erbaulichen Belehrungen zu diesem Thema. Das war es vielleicht, was dy Cabon sich von der Bibliothek erhoffte: eine genaue Anleitung, die ihm verriet, wie er die weitere Reise gestalten sollte. Vielleicht hatte er zu viele geistliche Lehrstunden damals in Casilchas verschlafen.
»Gut«, befand Ista. »Die Gastfreundschaft der Tochter in den beiden ersten Nächten, und danach die des Bastards.« Dann war sie schon mal drei Tagesritte weit weg von Valenda. Ein guter Anfang.
Dy Cabon wirkte erleichtert. »Ausgezeichnet, Majestät.«
Foix brütete immer noch über den Karten. Er hatte eine weitere vor sich ausgebreitet, die ganz Chalion im Überblick zeigte und naturgemäß weit weniger detailliert war als diejenige, die dy Cabon benutzt hatte. Er folgte mit dem Finger dem Weg von Cardegoss nordwärts nach Gotorget. Diese Festung schützte das eine Ende einer Kette unzugänglicher, wenn auch nicht sonderlich hoher Berge, die entlang der Grenze zwischen Chalion und dem roknarischen Fürstentum von Borasnen verliefen. Foix runzelte die Stirn. Ista fragte sich, was für schmerzhafte Erinnerungen der Name dieser Festung in ihm wachrief.
»Diese Gegend wollt Ihr sicherlich meiden«, meinte dy Ferrej, der beobachtet hatte, wie Foix’ Hand auf Gotorget verweilte.
»Allerdings, Herr. Ich würde sagen, wir sollten uns vom gesamten mittleren Bereich der Nordgrenze Chalions fernhalten. Nach dem Feldzug letztes Jahr gibt es immer noch Unruhen in dieser Region. Königin Iselle und Prinz Bergon sammeln bereits Truppen für den nächsten Vorstoß im Herbst.«
Dy Ferrej hob interessiert die Brauen. »Planen sie bereits einen Angriff auf Visping?«
Foix zuckte mit den Schultern und ließ den Finger nordwärts gleiten, bis er die Küste und die bezeichnete Hafenstadt erreichte. »Ich bezweifle, dass man Visping überhaupt mit nur einem Feldzug einnehmen kann, aber wenn es gelänge — umso besser. Die fünf Fürstentümer in zwei Hälften teilen, einen Hafen für Chalion gewinnen, in den sich die Flotte von Ibra zurückziehen könnte …«
Dy Cabon beugte sich über den Tisch, bis die Kante sich tief in seinen Bauch drückte, und schaute ebenfalls auf die andere Karte. »Das Fürstentum Jokona, dort im Westen, wäre das nächste Ziel, wenn Borasnen fällt. Oder werden wir in Richtung Brajar vorstoßen? Oder in beide Richtungen zugleich?«
»Zwei Fronten gleichzeitig zu eröffnen wäre unklug, und Brajar ist ein unsicherer Verbündeter. Jokonas neuer Fürst ist jung und noch unerprobt. Zuerst sollten wir Jokona zwischen Chalion und Ibra in die Zange nehmen — und abzwacken. Dann wenden wir uns nach Nordosten.« Foix kniff die Augen zusammen, und sein wohlgeformter Mund nahm einen verbissenen Ausdruck an, während er über diese Strategie nachdachte.
»Werdet Ihr Euch dem Feldzug im Herbst anschließen, Foix?«, erkundigte Ista sich höflich.
Er nickte. »Wohin der Marschall dy Palliar zieht, dahin folgen die Brüder dy Gura. Als Rittmeister wird Ferda wahrscheinlich schon im Hochsommer anfangen müssen, Pferde für die Reiterei zu sammeln. Und damit ich ihn nicht vermisse und mich in Sehnsucht verzehre, wird er auch für mich irgendeine unangenehme, schmutzige Aufgabe dabei finden.«
Ferda kicherte, und Foix lächelte ihm freundschaftlich zu, offensichtlich ohne Groll.
Ista fand an Foix’ Einschätzung der Lage nichts auszusetzen. Sie konnte sich auch gut vorstellen, wie er dazu gekommen war. Weder Marschall dy Palliar noch Prinz Bergon noch Königin Iselle waren Dummköpfe, und Kanzler dy Cazaril war ein Mann mit scharfem Verstand. Und er hatte nicht viel übrig für die Seeherren der Roknari, die ihn einst in die Sklaverei auf die Galeeren verkauft hatten. Visping war eine Beute, die das Spiel wert war.
»Wir sollten uns jedenfalls westlich halten und all den Unruhen aus dem Weg gehen«, schloss sie. Dy Ferrej nickte zustimmend.
»Ausgezeichnet, Majestät«, sagte dy Cabon, faltete Ferdas Karten zusammen und gab sie zurück, wobei er einen leisen, wehmütigen Seufzer ausstieß. Beneidete er seinen Vater um den heldenhaften Tod in der Schlacht, oder fürchtete er ein ähnliches Schicksal? Ista konnte es nicht sagen.
Kurz darauf ging die Gesellschaft auseinander. Doch die Planungen und Diskussionen über die Reise und die Beschwerden von Istas Hofdamen hielten an.
Du kannst deine Probleme nicht lösen, indem du vor ihnen davonläufst, hieß es. Aber das traf nicht immer zu, wie Ista wusste. Manche Probleme konnte man nur lösen, indem man sich nicht darauf einließ. Und als die klagenden Damen endlich die Kerzen löschten und Ista zur Nacht allein ließen, kehrte ihr Lächeln zurück.
3
Am frühen Morgen ging Ista gemeinsam mit Liss ihre Garderobe durch und suchte Kleidungsstücke heraus, die für die Reise geeignet waren und nicht nur für eine Königin. In Istas Schränken und Truhen fand sich manches, das alt und prächtig war, doch nur wenig schlichte Kleidung. Jedes aufwendige Kleid, bei dem Liss zweifelnd die Nase rümpfte, wurde sogleich aussortiert. Auf diese Weise bekam Ista eine Reisegarderobe zusammen, die aus einer Gamaschenhose, einem geteilten Rock, einem Untergewand und einem Überkleid bestand, wobei Letzteres keine Spur vom Grün der Mutter zeigte. Schließlich plünderten sie rücksichtslos die Garderobe von Istas Hofdamen und Mädchen, was bei letzteren für einige Aufregung sorgte. So bekamen sie endlich einen ansehnlichen Stapel an Kleidungsstücken zusammen — praktisch, schlicht, leicht zu waschen und — was das Wichtigste war — nicht zu viel.