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Liss war sichtlich erleichtert, als Ista sie endlich zu den Ställen schickte, um das am besten geeignete Reitpferd sowie ein Maultier für das Gepäck herauszusuchen. Dank Istas Zielstrebigkeit waren beide Frauen zur Mittagsstunde für die Reise gekleidet, die Pferde standen gesattelt bereit, und das Gepäck war sicher verstaut. Beide warteten reisefertig auf dem gepflasterten Burghof, als die Brüder dy Gura an der Spitze von zehn Rittern des Ordens der Tochter durchs Tor ritten; dy Cabon folgte ihnen auf seinem weißen Maultier.

Die Stallknechte hielten das Pferd der Königin und geleiteten sie zur Trittbank, während Liss leichtfüßig auf ihre langbeinige Fuchsstute sprang, ohne eine solche Hilfe in Anspruch zu nehmen. In ihrer Jugend war Ista viel geritten. Sie hatte den ganzen Tag auf der Jagd zugebracht und Abends getanzt, bis der Mond wieder unterging, damals, als das prachtvolle Leben bei Hofe neu für sie gewesen war. Auch sie hatte sich dem Leben in Bequemlichkeit — in dieser Burg, die übersättigt war von Alter und schmerzlicher Erinnerung — schon viel zu lange hingegeben. Ein wenig maßvolle Betätigung war genau, was sie brauchte, um wieder in Form zu kommen.

Dy Cabon stieg von seinem Maultier, um von der Trittbank aus ein kurzes Gebet zu sprechen und das anstehende Unternehmen zu segnen. Ista senkte den Kopf, bewegte aber nicht die Lippen bei den Antworten. Es gibt nichts, was ich von den Göttern will. Ich kenne ihre Gaben.

Vierzehn Personen und achtzehn Reittiere waren nötig, damit Ista auf Reisen gehen konnte. Dabei gab es Pilger, die kamen mit einem Wanderstab und einem kleinen Bündel aus …

Lady dy Hueltar und Istas Zofen und Kammerfräulein versammelten sich auf dem Hof — nicht etwa, um Ista eine gute Reise zu wünschen, wie sich herausstellte, sondern um bewusst in ihrer Gegenwart in Tränen auszubrechen und sie anzuflehen, ihren Entschluss noch einmal zu überdenken. Natürlich erreichten sie damit das genaue Gegenteil. Das Offensichtliche verleugnend, klagte Lady dy Hueltar: »Oh, das will sie doch nicht wirklich tun! Haltet sie auf, um der Mutter willen, dy Ferrej!« Ista biss die Zähne zusammen und ließ das Gejammer von ihren Rücken abprallen wie Pfeile von einem Kettenhemd. In gemächlichem Trott geleitete dy Cabon sie auf seinem weißen Maultier durch den Torbogen und die Straße hinunter, bis die Stimmen schließlich hinter ihr verklangen. Ein sanfter Frühlingswind spielte durch Istas Haar. Sie blickte nicht zurück.

Sie erreichten das Gasthaus in Palma gerade noch bei Sonnenuntergang. Ista ließ sich aus dem Sattel helfen. Sie spürte, dass sie schon sehr lange keinen ganzen Tag mehr auf dem Rücken eines Pferdes verbracht hatte. Liss war sichtlich gelangweilt vom ruhigen Tempo dieser Pilgerfahrt. Sie sprang von ihrem Reittier, als hätte sie sich den ganzen Nachmittag lang ausgeruht. Foix und sein Bruder hatten offenbar schon früher auf der Reise sämtliche Nachwirkungen ihrer Verletzungen hinter sich gelassen. Und selbst dy Cabons watschelnde Gangart verriet keine Verspannungen. Als der Geistliche Ista helfend den Arm darbot, nahm sie dankbar an.

Dy Cabon hatte einen der Männer vorausreiten und für Unterkunft und Essen sorgen lassen — zum Glück, wie sich herausstellte, denn das Gasthaus war sehr klein. Als sie eintrafen, wurde gerade eine weitere Reisegruppe abgewiesen. Das Gebäude war einst ein kleines, befestigtes Bauernhaus gewesen, das um einen zusätzlichen Flügel erweitert worden war. Die Brüder dy Gura und der Geistliche teilten sich ein Gemach, Ista und Liss ein weiteres, und die Wachen mussten mit Pritschen auf dem Heuboden vorlieb nehmen. Doch in einer milden Nacht wie dieser bereitete das keine Unannehmlichkeiten.

Der Gastwirt und seine Frau hatten zwei Tische unmittelbar neben der heiligen Quelle aufstellen lassen, in einem kleinen Wäldchen hinter dem Haus, und die Bäume waren mit Laternen behangen. Das dichte Moos und die Farne, die Glockenblumen und das Blutkraut mit seinen sternförmigen weißen Blüten, die verflochtenen Zweige und das sanfte Glucksen des Wassers, das über die glatten Steine floss — dies alles bildete den wundervollsten Speisesaal, den Ista seit vielen Jahren betreten hatte. Sie und ihre Gefährten wuschen sich die Hände in frischem Quellwasser, das in einer Kupferschale gebracht und vom Geistlichen gesegnet wurde, und das keiner Parfümierung bedurfte. Die Frau des Gastwirts war bekannt für ihre wohlgefüllte Speisekammer. Ununterbrochen trugen zwei Dienstboten schwere Tabletts und Krüge auf: frisches Brot und Käse, gebratene Enten, Hammelfleisch, Würste, Dörrobst, frische Kräuter und Frühkohl, Eier, schwarze Oliven und Olivenöl aus dem Norden, Apfelkuchen mit Nüssen, frisch gebrautes Bier und Apfelwein — einfache Kost, aber sehr gehaltvoll. Dy Cabon sprach diesen Gaben mit herzhaftem Appetit zu, und selbst Ista, die seit Monaten kaum Hunger gespürt hatte, aß mit Genuss. Als sie sich schließlich auszog und neben Liss auf die kleine, saubere Bettstatt in ihrem Mansardenzimmer legte, schlief sie so rasch ein, dass sie sich am nächsten Morgen kaum noch daran erinnern konnte.

Beim Aufstehen, als das frühe Morgenlicht durch die halb geöffneten Fensterflügel fiel, gab es einen kurzen, peinlichen Augenblick. Aus tief verwurzelter Gewohnheit stand Ista eine Zeit lang still neben dem Bett, wie eine Puppe, und wartete darauf, dass man sie ankleidete. Schließlich aber wurde ihr bewusst, dass ihr neues Kammermädchen genauere Anweisungen benötigte. Unter diesen Umständen war es einfacher für sie, die Kleidungsstücke selbst herauszusuchen und anzulegen und nur noch bei einigen Verschlüssen Liss’ Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Istas Frisur war ein größeres Problem. »Ich habe keine Ahnung, wie man vornehmen Damen das Haar macht«, gestand Liss, nachdem Ista ihr die Bürste in die Hand gedrückt und sich auf eine niedrige Bank gesetzt hatte. Skeptisch musterte sie Istas dichte, fahlbraune Mähne, die bis zur Taille reichte. Bevor Ista zu Bett gegangen war, hatte sie die kunstvolle Flechtfrisur gelöst, die ihre frühere Zofe ihr gemacht hatte — vielleicht ein wenig voreilig, denn über Nacht hatte das Haar wieder zu seinen natürlichen Wellen und Locken zurückgefunden und schlängelte sich nun in alle Richtungen.

»Du richtest dir selbst das Haar, nehme ich an«, sagte Ista. »Wie machst du das?«

»Manchmal binde ich’s zum Zopf.«

»Und sonst?«

»Mache ich zwei Zöpfe daraus.«

Ista dachte einen Moment nach. »Hast du schon mal die Mähnen von Pferden zurechtgemacht?«

»Ja, sicher, Majestät. Ich habe sie zu kleinen Turnierzöpfchen geflochten, mit bunten Bändern geschmückt, oder zum Tag der Mutter in ein Rautennetz mit Holzperlen gelegt, oder zum Tag des Sohnes in einen ibranischen Zopf entlang des Mähnenkamms, mit eingeflochtenen Federn verziert. Und …«

»Dann flechte mir heute einen Zopf.«

Liss atmete erleichtert auf. »Ja, Majestät.« Ihre Hände bewegten sich rasch und geschickt, viel schneller als die Hände ihrer vormaligen Zofen. Was die Ergebnisse anging — nun, für die bescheidene Sera dy Ajelo waren sie gut genug.

Die gesamte Reisegruppe versammelte sich noch einmal in dem Wäldchen, um an diesem ersten Tag von Istas Pilgerfahrt das morgendliche Gebet zu sprechen. »Morgen« war jedoch eine höfliche Umschreibung, denn die Sonne hatte sich bereits einige Stunden vor den Reisenden erhoben. Der Gastwirt, seine Frau, ihre Kinder und ihr gesamte Dienerschaft fanden sich ebenfalls zu der Zeremonie ein. Offensichtlich kam es selten vor, dass ein Geistlicher von Rang und Gelehrsamkeit diesen Ort besuchte. Außerdem bestand immer die Möglichkeit — wie Ista zynisch bei sich dachte —, dass der Geistliche dieses Heiligtum minderer Bedeutung noch weiteren Pilgern empfahl, wenn er hier hinreichend umschmeichelt wurde.

Diese Quelle war der Tochter, heilig, und so stand dy Cabon am Ufer des Bächleins im Halbschatten, der von gelegentlichen Sonnenstrahlen erhellt wurde, und sprach ein kurzes Frühjahrsgebet. Zu diesem Zweck verwendete er ein kleines Bändchen mit Andachten für verschiedene Anlässe, das er in der Satteltasche mit sich führte. Es war nicht genau festzustellen, weshalb gerade diese Quelle der Frühlingstochter heilig war. Der Gastwirt beteuerte, es sei jener geheime Ort, an dem sich das Wunder der Jungfrau mit dem Wasserkrug zugetragen habe. Ista fand das wenig überzeugend, denn ihr waren allein in Chalion drei weitere Orte bekannt, die für sich beanspruchten, Schauplatz dieser Legende zu sein. Doch die Schönheit dieses Ortes war allein schon Grund genug für sein spirituelles Ansehen.