Zwölf. Foix stand steif zwischen den jokonischen Offizieren. Sein Gesicht war zerschlagen und zerkratzt, aber gesäubert, und er trug frische jokonische Kleidung und einen grünen Wappenrock mit den fliegenden weißen Pelikanen. Seine Miene war benommen, und sein merkwürdiges Lächeln wirkte gezwungen und unnatürlich. Ista benötigte nicht einmal ihr verlorenes zweites Gesicht, um zu wissen, dass eine neue schimmernde Schlange von der Frau auf dem Podium zu ihm hinführte, und dass deren Fänge tief in seinen Bauch eingesunken waren. Auch Illvins Blick fiel auf Foix und glitt darüber hinweg.
Die Möglichkeiten für noch grausamere Prüfungen waren endlos. Zum Glück war die Zeit es nicht. Der bronzehäutige Offizier bedeutete Ista, bis zur Mitte der Teppiche voranzuschreiten, ins Zentrum dieser kurzen Zurschaustellung von Macht, Joen gegenüber. Illvin wurde mit der Schwertspitze einige Schritte hinter ihr zurückgehalten, hinter Istas rechter Schulter, und dass sie ihn nicht sehen konnte, bedauerte sie mehr als die Tatsache, dass er sie sehen musste. Sie fragte sich, welche letzte Demütigung für sie vorbereitet worden war.
Oh. Natürlich. Keine Demütigung. Kontrolle. Die Demütigung dort draußen hatte Sordsos Truppen befriedigen sollen, die immer noch von dem nächtlichen Gefecht erschüttert waren. Die Frau hier drin dachte praktischer.
Ista blinzelte. Zum ersten Mal sah sie Joen ohne ihr zweites Gesicht, ohne die gewaltige finstere Bedrohung durch den Dämon, der düster aus ihrem Bauch herausblickte wie aus einer pechschwarzen Grube, in die man fallen und für alle Ewigkeit stürzen konnte. Ohne ihren Dämon war sie nur … eine kleine, verbitterte, ältere Dame. Unfähig, Respekt zu erwecken, oder Treue zu erzwingen. Leicht zu übergehen. Unbedeutend. Fünf Götter, sie war tatsächlich unbedeutend. All ihre Möglichkeiten waren dahingeschwunden. Macht blieb ihre einzige Zuflucht. Starrsinn ohne geistige Größe.
Istas Mutter hatte einst mit ihrer Autorität den gesamten Haushalt ausgefüllt, von Mauer zu Mauer. Der Gemahl der Herzogin hatte Baocia regiert, doch in seiner eigenen Burg hatte er nur mit ihrer Duldung gelebt. Nachdem Istas ältester Bruder den Titel des Vaters geerbt hatte, verlegte er die Residenz, um der dauerhaften Kindheit zu entkommen, die ihn im Haus seiner Mutter erwartet hätte. Das war einfacher für ihn gewesen, als dort die Herrschaft zu beanspruchen. Doch stets hatte die alte Herzogin ihre Grenzen gekannt. Nie hatte sie einen größeren Raum beansprucht, als sie ausfüllen konnte.
Ista kam es so vor, als wollte Joen ganz Jokona mit ihrer Autorität erfüllen, wie eine Frau ihren Haushalt erfüllen mochte, und das mit denselben Methoden. Und niemand konnte sich derart überdehnen. In einer schrankenlosen Welt mit unbegrenztem Raum konnte man sich vielleicht bewegen, wie man wollte, doch man musste zwangsläufig Raum für den Willen anderer lassen. Nicht einmal die Götter konnten alles beherrschen. Menschen mochten die Körper anderer Menschen versklaven, doch der unausgesprochene Wille der Seele war selbst den Göttern heilig und unantastbar. Joen ergriff ihre Sklaven von innen her. Was Joen ihren Feinden antat, mochte man Krieg nennen. Doch was sie mit ihren eigenen Leuten machte, war ein Frevel.
Fürst Sordso nahm den Ehrenplatz ein. Er verzog das Gesicht und sah sich im Zeltinnern um. Der Blick seiner Mutter fiel auf ihn, und er setzte sich aufrecht hin, plötzlich wachsam und aufmerksam.
Wieder wurden Istas Blicke zu der mondgesichtigen Prinzessin zu Joens Füßen hingezogen. Das Mädchen schien um die vierzehn zu sein, doch zurückgeblieben für ihr Alter, mit den dicken Fingern und den seltsamen Augen dieser spät geborenen Kinder mit schlichtem Verstand, die oft kein langes Leben vor sich hatten. Sie war eine Prinzessin, die dem Haushalt ihrer Mutter nicht durch Heirat in ein fernes Land entkommen konnte. Joens Hand ruhte auf ihrem Kopf, wenn auch nicht in einer Geste der Liebkosung, wie Ista erkannte. Sie benutzt das Mädchen als Behältnis für einen Dämon. Die Seele ihrer eigenen verachteten Tochter macht sie zu einem Verschlag für diese Kreatur.
Für den Dämon, den sie als Nächstes mir einsetzen will.
Joen erhob sich und blickte Ista an. Auf Ibranisch, mit starkem Akzent, sagte sie: »Ich heiße Euch auf meiner Türschwelle willkommen, Ista dy Chalion. Ich bin die Mutter von Jokona.« Sie nahm ihre Hand vom Kopf des Mädchens und ließ sie mit gespreizten Fingern vorschnellen.
In Istas Innerem entfaltete sich der Gott.
Wieder durchdrang das zweite Gesicht Istas Geist wie ein blendender Lichtblitz, strahlend jenseits aller Vorstellungskraft. Es enthüllte eine unheimliche Landschaft. Auf einen Blick sah sie alles: ein Dutzend Dämonen; die wirbelnden und Funken sprühenden Leinen der Macht; die gequälten Seelen; Joens dunklen, dichten, sich windenden Passagier. Den dreizehnten Dämon, der wild durch die Luft auf sie zuwirbelte und seine bösartige Nabelschnur hinter sich herzog.
Ista öffnete den Mund zu einem wilden Grinsen und schnappte den Dämon in einem großen Schluck.
»Willkommen, Joen von Jokona«, sagte Ista. »Ich bin der Schlund der Hölle.«
26
Eine Lichtwelle brandete die dunkelviolette Schnur entlang, die Joen und Ista verband. Die Farbe der Verbindung schien sich zu vertiefen, ihr Glanz wurde intensiver. War es etwa Joens erste, erschrockene Reaktion, die Verbindung zu stärken? Einen verwirrten Augenblick lang fragte sich Ista, wer die Fischerin war und wer der Fisch. Dann fühlte sie, wie der widerstrebende, entsetzte junge Dämon in ihrem Innern sicher in die Hände des Bastards glitt.
Ihr habt Euch einen Gott geangelt, Joen. Was möchtet Ihr nun tun? Es war so, als habe eine Galeere einen Enterhaken auf einen Kontinent geworfen und versucht, ihn davonzuschleppen.
»Sie trägt den Dämonengott in sich!«, schrie Joen. »Tötet sie! Sofort!«
Ja. Das würde ausreichen …
Doch noch während Joen rief, schien die Zeit sich in Istas Wahrnehmung zu dehnen, wie kalter Honig, der an einem Wintermorgen vom Löffel tropfte. Doch die Zeit würde sich nicht ins Unendliche dehnen …
Wo soll ich anfangen, fragte Ista die Präsenz in ihrem Innern.
In der Mitte, lautete die Antwort. Der Rest muss zwangsläufig folgen.
Ista öffnete ihre körperlichen Hände und ließ die Finger ihres Geistes die violette Schnur entlanglaufen — und durch diese Verbindung in Joens Körper. Sie umschloss die dunkle Masse und zog sie zu sich hin. Widerstrebend, ungestüm und fauchend kam sie heran, verspritzte violette Schatten wie auslaufendes Wasser. Es verbrannte ihre Hände wie Säure, und sie schnappte nach Luft angesichts des unerwarteten Schmerzes, der geradenwegs ins Zentrum ihres Seins vorzustoßen schien und bis in alle Gliedmaßen zurückpulsierte, wie der Schock einer schweren Verletzung im ganzen Körper nachhallt. Das Geschöpf war dicht, und es war widerwärtig. Und groß. Und alt, Jahrhunderte alt und verdorben im Laufe der Zeit.
Es ist grauenhaft.
Ja, sagte der Gott. Mach trotzdem weiter. Bring Arhys’ Werk zu Ende.
Istas körperliche Hände waren zu träge, um mit ihrem dahinschießenden Willen Schritt zu halten. Mit den Fingern ihrer Seele allein kämmte sie die Strähnen von Joens Seele zurück, die sich mit dem Dämon verwoben hatten. Doch so schnell sie auch das eine vom anderen schied, so schnell bildete Joens Seele Ranken aus weißem Feuer, umhüllte den Dämon erneut und zerrte ihn zurück. Der Dämon kreischte.
Lasst los, drängte Ista. Lasst ihn los, und wendet Euch einer besseren Aufgabe zu. Selbst jetzt noch habt Ihr eine Wahl.
Nein, erwiderte Joens Geist. Das ist mein Geschenk, meine große Gelegenheit! Niemand soll sie mir entwinden, Ihr am allerwenigsten! Ihr seid so wertlos, Ihr konntet nicht einmal das Leben Eures eigenen Sohnes retten! Meiner soll bekommen, was ihm zusteht. Ich habe es versprochen!