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»Er ist miserabel«, stellte Ista fest.

Er grinste nur — das vertraute Aufblitzen der Zähne, das ihr den Atem raubte.

»Und was für eine Ausbildung?«, fügte sie hinzu. Plötzlich war ihr streitlustig zumute. »Ihr habt mir nicht einmal etwas erklärt.«

»Dich zu unterweisen, süße Ista, wäre so, als würde man einem Falken beibringen, sich seiner Beute zu Fuß zu nähern. Mit einiger Anstrengung bekäme man es vielleicht hin, doch am Ende hätte man einen überaus fußwunden und übel gelaunten Vogel an der Hand, und man müsste sehr lange auf sein Abendessen warten. Bei einer Flügelspannweite wie deiner ist es sehr viel leichter, wenn ich dich einfach von meinem Handgelenk schüttele und fliegen lasse.«

»Fallen«, brummelte Ista.

»Nein, du nicht. Zugegeben, zuerst einmal stürzt du halb den Abgrund hinunter und beklagst dich dabei die ganze Zeit, aber irgendwann breitest du die Flügel aus und steigst wieder empor.«

»Nicht immer.« Ihre Stimme wurde leiser. »Nicht beim ersten Mal.«

Mit der Andeutung eines Eingeständnisses legte er den Kopf schräg. »Doch damals war ich nicht der Falkner. Weißt du, wir passen gut zusammen.«

Sie blickte zur Seite und durch ein merkwürdiges, vollkommenes, unwirkliches Zimmer. Ein Vorzimmer, dachte sie, die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen. Doch welche Tür führte wohin? »Meine Aufgabe. Ist sie vollbracht?«

»Vollbracht und gut gemacht, meine wahre, säumige Stieftochter.«

»Ich bin immer spät gekommen. Zur Vergebung. Zur Liebe. Zu meinem Gott. Selbst zu meinem eigenen Leben.« Doch sie senkte erleichtert ihr Haupt. Vollbracht war gut. Es bedeutete, dass man sich ausruhen konnte. »Haben die Jokoner mich getötet, wie Joen es befohlen hat?«

»Nein. Noch nicht.«

Lächelnd trat er auf sie zu und schob ihr Kinn nach oben. Er drückte seinen Mund so unverfroren gegen den ihren, wie Illvin es an jenem Nachmittag — gestern? — auf dem Turm getan hatte. Nur dass sein Mund nicht nach Pferdefleisch schmeckte, sondern nach Parfüm. Und in seinen Augen lag keine Unsicherheit.

Seine Augen, die Welt, ihre Wahrnehmung verschwammen.

Aus den endlosen Tiefen wurden normale dunkle Augen, gerötet von verzweifeltem Weinen. Parfüm wurde zu ausgedörrtem, salzigem Fleisch, dann wieder zu Parfüm, dann Fleisch. Die friedliche Stille wurde zu Lärm und füllte sich mit Schreien, dann wieder Stille, dann wieder Getöse. Das schmerzlose Dahintreiben wich einem lastenden Druck, Kopfschmerzen, Durst, die wiederum zu Entzücken verschwammen.

Ich denke, Er gibt Seiner Katze, einen Tritt und ermuntert sie so zur Entscheidung. Sie zweifelte nicht daran, dass sie noch immer diesem Stiefel ausweichen und sich in jede gewünschte Richtung daran vorbeidrücken konnte. Doch welche Richtung Er wünschte, war deutlich genug. Das beunruhigende Noch nicht ließ zumindest darauf schließen. Er lockte sie nicht zurück in einen Körper, der schon von Schwertstreichen durchbohrt war. Der Bastard drängt mich dazu — verflucht soll er sein! Es war ein gutes Gefühl, seinen Gott zu verfluchen. Es war ein Gott, auf den sie stets fluchen konnte, und je erfindungsreicher ihre Beleidigungen wurden, umso mehr würde Er darüber grinsen. Er passte allerdings gut zur wahren Ista.

Das Flimmern verebbte und endete bei dem ausgedörrten Mund, bei der Last und dem Druck, im Getöse und im Schmerz. Bei geschätzten, verzweifelten, blinzelnden und rein menschlichen Augen. Ja.

Außerdem betrügt mein Gott. Er hat diesen Sahnetopf hier draußen aufgestellt, noch bevor Er mir die Tür geöffnet hat. Und das wusste Er genau. Sie lächelte und versuchte, einzuatmen.

Illvin zog seine tastende Zunge ans ihrem Mund und keuchte. »Sie lebt! Oh, den fünf Göttern sei Dank, sie atmet wieder!«

Ista stellte fest, dass der erstickende Druck von Illvins Armen ausging, die um ihren Oberkörper geschlungen waren. Sie schaute zu Zweigen auf, in den blauen Himmel dahinter und in sein Gesicht, das über sie gebeugt war. Es war gerötet vor Anstrengung und verzerrt vor Furcht, und ein Muster aus feinen Bluttröpfchen zeichnete es in einer schrägen Linie von der einen Seite zur anderen. Sie hob kraftlos die Hand und tupfte gegen die roten Perlen, doch erleichtert stellte sie fest, dass es anscheinend nicht sein eigenes Blut war.

Zwischen trockenen, angestoßenen Lippen hervor flüsterte sie: »Was ist geschehen?«

»Ich hatte gehofft, Ihr könntet es mir erklären«, hörte sie die raue Stimme von Foix. Sie schaute auf und sah ihn drohend über ihnen aufragen. Er trug immer noch die jokonische Rüstung und den Wappenrock und stand in einer überzeugend bedrohlichen und wachsamen Haltung über seinen scheinbaren Gefangenen. Sie und Illvin saßen auf dem Boden, nicht weit von den grünen Zelten der Befehlshaber entfernt. Foix war blass, doch anscheinend waren es nicht die Jokoner um sie herum, die ihn beunruhigten.

»Ihr wurdet in das Zelt geführt«, fuhr Foix leiser fort. »Ihr habt … ganz normal ausgesehen. Hilflos. Und dann strahlte plötzlich dieses göttliche Licht von Euch aus, so grell, dass ich einen Atemzug lang geblendet war. Ich hörte, wie Joen Euren Tod befahl.« Illvins angespannter Griff um ihren Arm wurde noch fester.

»Als ich wieder etwas sehen konnte«, fuhr Foix fort und blickte sich auf eine Weise um, die zu seiner Rolle als Wachposten passte, »schienen sämtliche Dämonen im Zelt in Euch hineinzufließen, wie heißes Metall, das durch eine Form gepresst wird. Ich habe gesehen, wie Ihr sie alle hinuntergeschluckt habt, und Joens Seele gleich mit. In einem Augenblick war alles vorbei.«

»Einer blieb übrig«, murmelte Ista.

»Hm. Ja, und diese Sache. Ich habe es gespürt, als Ihr mich von Joens Bann befreit habt. Beinahe wäre ich aus dem Zelt gestürmt, aber ich kam gerade noch rechtzeitig wieder zur Vernunft. Fürst Sordso und einige andere Offiziere zogen ihre Schwerter — fünf Götter, ich dachte schon, dieses Scharren von Stahl auf Stahl würde ewig andauern. Sordso hielt den Griff so fest umklammert, dass seine Knöchel weiß waren.«

»Ich habe versucht, mich zwischen sie und Euch zu werfen«, meinte Illvin zu Ista, rieb sich die Nase und blinzelte.

»Ja«, bestätigte Foix. »Mit bloßen Händen. Ich sah Euch nach vorn springen — was immer Ihr damit erreichen wolltet. Doch Sordso wirbelte stattdessen herum und schlug auf Joen ein.«

»Sie war bereits tot«, warf Ista leise ein.

»Das habe ich gesehen. Sie kippte schon um, doch seine Klinge erwischte sie … gerade noch rechtzeitig. Oder wie man es nennen will. Er schlug so hart zu, dass es ihn herumriss und er rücklings vom Podest stürzte. Die Hälfte der befreiten Zauberer lief davon, doch ich könnte jeden Eid darauf ablegen, dass die andere Hälfte dieselbe Idee hatte wie Sordso. Eine von Joens Damen hat einen Dolch gezogen und ging auf den Körper los, während er schon zu Boden stürzte. Ich weiß nicht, ob sie wusste, dass Joen bereits tot war, oder ob es für sie eine Rolle spielte — sie wollte es ihr einfach nur heimzahlen. Jeder im Zelt drängelte und brüllte, und alle liefen in sämtliche Richtungen durcheinander. Also habe ich mich vor Illvin und Euch aufgebaut und geschrien: ›Zurück, Gefangene!‹, und dabei habe ich mit dem Schwert herumgefuchtelt.«

»Sehr überzeugend«, murmelte Illvin. »Ich war drauf und dran, mich auf Euch zu stürzen. Aber ich hatte meine Hände voll.«

»Ihr seid gestürzt, Majestät. Ihr … Ihr seid ganz grau geworden, habt zu atmen aufgehört und seid zusammengebrochen.

Ich hielt Euch für tot, denn ich konnte Eure Seele nicht mehr sehen. Sie war erloschen wie eine ausgeblasene Kerze. Illvin wollte Euch aufheben, kippte selbst um und kämpfte sich wieder auf die Füße. Ich wagte nicht, ihm zu helfen, ließ allerdings zu, dass er Euch hinauszerrte, und tat so, als würde ich ihn bewachen. Die meisten Jokoner hielten Euch ebenfalls für tot, nehme ich an. Getötet durch Eure Zauberei, wieder so eine Art Todeszauber wie bei Fonsa und dem Goldenen Heerführer. Also, äh … solltet Ihr noch für eine Weile reglos hier liegen bleiben, bis wir uns überlegt haben, was wir als Nächstes anfangen.«