Dieser Vorschlag war einfach zu befolgen. Jede andere Anweisung wäre schwerer umzusetzen gewesen. Illvin blickte auf ihr Gesicht wie ein Mann, der die Geliebte soeben mit einem Kuss zurück aus dem Grab geholt hatte und sich nun nicht einmal mehr zu bewegen wagte aus Angst, er könne unerwartete Wunder zunichte machen. Ista lächelte benommen über seine entzückende Verwirrung.
»Die Dämonen sind alle fort«, berichtete sie mit undeutlicher, verträumter Stimme, für den Fall, dass sie immer noch daran zweifelten. »Dafür wurde ich hergesandt und ich habe es vollbracht. Doch der Bastard ließ mich wieder zurückkehren.« Dorthin, wo sie jetzt war — auf den harten Boden in der Mitte des feindlichen Lagers, umringt von mehreren Hundert sehr lebendigen und aufgebrachten Jokonern. Ein abscheulicher Sinn für Humor. Sie hatte ein zeitloses Zwischenspiel genossen, doch für jeden anderen waren gerade erst Minuten vergangen seit Joens blutigem Ende. Doch wie verstört ihre Oberbefehlshaber auch sein mochten — nicht alle feindlichen Offiziere würden lange so verwirrt bleiben. Es fiel Ista schwer, in ihrem Entzücken vor irgendetwas Angst zu haben, doch sie brachte einen Anflug milder Besonnenheit zustande. »Ich glaube, wir sollten fort von hier. Auf der Stelle.«
»Könnt Ihr laufen?«, fragte Illvin unsicher.
»Könnt Ihr?«, fragte Ista neugierig zurück. Kriechen. ja, kriechen würde sie ihm zutrauen, in seinem gegenwärtigen geschwächten Zustand. Er gehörte ins Bett, entschied sie. Vorzugsweise in ihres.
»Nein«, murmelte Foix. »Ihr müsst sie weiter hinter Euch herschleppen. Oder sie tragen. Könnt Ihr noch für eine Weile eine Leiche spielen, Majestät?«
»O ja«, versicherte sie ihm und sank dankbar in Illvins Arme zurück.
Illvin weigerte sich kategorisch, sie über einen Boden zu zerren, der ihre ohnehin schon blutenden Beine und Füße noch mehr zerkratzen würde. Doch sie auf den Armen zu tragen, ging immer noch über seine Kräfte, wie sich herausstellte. Es gab einen kurzen Streit, und Ista — als Leiche — hielt sich heraus. Schließlich lud Illvin sie sich mit dem Hinterteil nach oben über die Schulter, und Foix half ihm hoch, bis er endlich auf wackligen Beinen stand. Istas Arme und Beine baumelten in angemessen lebloser Weise herab. Es erinnerte sie an ihren Ritt auf Feder. Sie versuchte, bei der Erinnerung daran nicht zu lächeln, weil eine solche Regung ihrer Rolle widersprach. Passenderweise war ihr weißes Kleid sogar blutverschmiert, eine Fortsetzung desselben Spritzers, nahm sie an, der auch Illvins Gesicht gezeichnet hatte. Sie konnte erraten, woher er gekommen war, und erschauerte.
Sie taumelten davon. »Nach links«, wies Foix Illvin an. »Weiter!« Weitere jokonische Soldaten rannten auf sie zu. Foix wies mit dem Schwert nach hinten auf die Zelte der Befehlshaber und rief: »Schnell! Ihr werdet gebraucht!« Die Soldaten rannten davon, wie ihr scheinbarer Offizier es ihnen befahl.
Zwischen zusammengebissenen Zähnen murmelte Illvin: »Foix, Ihr mögt ja ein recht gekünsteltes Roknari zu Stande bekommen, doch ich möchte Euch bitten, Sätze mit mehr als einer Silbe mir zu überlassen. Dieser Wappenrock kann nicht alles verbergen.«
»Wäre mir ein Vergnügen«, gab Foix halblaut zurück. »Jetzt gleich hier entlang. Wir sind fast bei den Pferdekoppeln.«
»Glaubt Ihr etwa, sie lassen uns einfach daherkommen und ihre Pferde stehlen?«, fragte Illvin. Sein Keuchen klang eher neugierig als widersprechend. Ista spähte unter gesenkten Lidern empor und erblickte die Wachen, die sich im Schatten herumtrieben. Einige Männer standen da und schauten zu dem Aufruhr bei den grünen Zelten hinüber.
»Sicher werden sie das.« Foix klopfte auf seinen grünen Wappenrock. »Ich bin jokonischer Offizier.«
»Ihr verlasst Euch nicht nur darauf«, bemerkte Ista. Ihr Tonfall klang beinahe ebenso unbeteiligt wie der von Illvin.
»Ja. Warum seid Ihr Euch so sicher, dass sie uns nicht aufhalten und befragen?«, wollte Illvin wissen. Ein Hauch von Anspannung schlich sich in seine Stimme, als einige Wachen die Köpfe wandten und ihr Vorankommen verfolgten.
»Habt Ihr etwa Prinzessin Umerue aufgehalten und befragt? «
»Nein, zunächst nicht. Was hat das damit zu tun?«
Von Illvins Hüfte her murmelte Ista: »Ich habe mich vorhin ungenau ausgedrückt: Ein Zauberer ist im Lager verblieben. Allerdings ist er auf unserer Seite. Schien mir eine gute Idee zu sein. Und der Gott hat nicht widersprochen.«
Illvin spannte sich an und wandte sich um, starrte auf Foix, wie Ista annahm.
»Zwei Zauberer«, merkte Foix an. »Oder ein Zauberer und eine Zauberin. Wenn das die zutreffende Bezeichnung für Euch ist, Majestät. Ich bin mir da nicht sicher.«
»Ich auch nicht. Wir werden dy Cabon fragen müssen«, gab sie freundlich zurück.
»Nun gut«, sagte Foix. »Unternehmt trotzdem nichts allzu Aufregendes. Ich möchte mich nicht an aufwendigeren Zaubern versuchen, und eine einfache Täuschung hat ihre Grenzen.«
»Allerdings«, murmelte Illvin.
Sie stapften einige weitere Schritte voran.
»Nun«, sagte Foix und hielt vor den Seilen an, mit denen die Pferde gesichert waren. »Habt Ihr irgendwelche Vorlieben, Rittmeister?«
»Am besten ein Tier, das schon gesattelt und aufgezäumt ist.«
Eine Auswahl wurde ihnen abgenommen. Am Ende der Reihe hob plötzlich ein großer, hässlicher, kastanienbrauner Hengst den Kopf und wieherte aufgeregt. Er schob seine Hüften von einer Seite auf die andere und brachte die Pferde in Unruhe, die in einiger Entfernung von ihm standen. Das Tier stellte die Ohren auf und tänzelte, als sie näher kamen. Es hob und senkte den Kopf und schnaubte.
»Da schau der Bastard, Majestät! Könnt Ihr das Biest zur Ruhe bringen?«, fragte Foix mit unterdrückter Stimme. »Man sieht schon zu uns hin.«
»Ich?«
»Er ist jedenfalls auf Euch fixiert.«
»Dann setzt mich bei ihm ab.«
Illvin ließ sie durch seine Arme auf die Füße gleiten und bedachte sie dabei mit einem forschenden Blick, der, für einen Augenblick, ebenso gut wie ein Kuss war. Dann stützte er sie, damit sie aufrecht stehen konnte. Sie war dankbar für seinen Arm.
Sie näherte sich dem besessenen Tier, das wieder den Kopf senkte und ihn gegen ihr blutiges Obergewand drückte. Diese Geste mochte Unterwürfigkeit ausdrücken, oder Zuneigung, oder Dummheit. Fasziniert musterte Ista den Hengst. Er trug noch immer das Zaumzeug mit der Kandare. Ein Dutzend Schnitte zeichneten seinen Leib, doch schon waren sie mit unnatürlicher Geschwindigkeit am Abheilen. »Ja, ja«, murmelte Ista beruhigend. »Es ist gut. Wohin er gegangen ist, konntest du nicht folgen. Du hast getan, was du konntest. Es ist jetzt gut.« Sie bemühte sich, ihre verträumte Kraftlosigkeit abzuschütteln, und sagte zu Illvin: »Ich glaube, ich reite besser auf ihm. Ansonsten würde er versuchen, uns zu folgen, und sich dabei die Seele aus dem Leib winseln.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und musterte den gezackten Grat seiner Wirbelsäule. »Aber besorgt mir auf jeden Fall einen Sattel!«, fügte sie hinzu.
Foix entwendete einen Sattel von einem Haufen weiter hinten an der Reihe der Pferde. Illvin zog die Gurte stramm, während Foix zwei weitere Tiere auswählte.
»Wie heißt er denn?«, fragte Ista, als Illvin ihr auf’s Pferd half. Dort oben kam ihr der Boden ziemlich weit weg vor — typisch für seine Reittiere. Sie ordnete mühsam die Röcke über dem Kriegssattel und ließ sich von Illvins warmen Händen an den Knöcheln zu den Steigbügeln führen. Unglücklich verweilten seine Finger einen Augenblick über den Blutergüssen und Kratzern auf ihren Füßen.