Sobald ihr Pferd von einem Soldaten aus Oby außer Reichweite geführt worden war, sprang dy Ferrej wieder auf Ista zu und entwand sie Ferdas Griff. »Majestät! Wir haben Todesängste um Euch ausgestanden!«
Und nicht ohne Grund, wie sie zugeben musste. »Nun, jetzt bin ich in Sicherheit.« Beruhigend tätschelte sie seine Hand, die ihren Arm umklammert hielt.
Lady dy Hueltar stolperte heran, gemeinsam mit der Geistlichen Tovia. »Ista, Ista, Liebes!«
Dy Baocia schaute aufmerksam hinter Illvin her. »Nun, da ihr alle wieder vereint seid, sollte ich mich vielleicht besser auch dy Oby anschließen.« Er brachte ein Lächeln für Ista zustande. »Ja, ja, gut.«
»Hast du deine eigenen Truppen mitgebracht, Bruder?«, fragte Ista.
»Ja, fünfhundert Berittene. Alle, die ich in der Eile zusammenbringen konnte, nachdem diese Leute auf mich einstürmten und mit deinem beunruhigenden Brief herumgefuchtelt haben.«
»Dann solltest du dich unbedingt dy Oby anschließen. Deine Wache bekommt hier vielleicht Gelegenheit, sich ihren Sold zu verdienen. Chalion schuldet der Besatzung von Burg Porifors … einiges, aber auf jeden Fall zuerst Entsatz, und das so schnell wie möglich.«
»Ah.« Er nahm Ferda und dy Ferrej mit sich und eilte hinter den anderen her, teils vor Neugier, teils, wie Ista glaubte, um seinem aufdringlichen Gefolge zu entfliehen.
Sie wusste nicht, wie sie von ihren Erlebnissen berichten sollte, ohne sich wie eine Verrückte anzuhören. Doch sie stellte fest, dass sie dieses Problem beliebig lange vor sich herschieben konnte, indem sie die anderen nach ihrer Reise fragte. Die einfache Frage: »Wie seid ihr nur so schnell hierhin gekommen?«, führte zu einer Antwort, die immer noch andauerte, als sie dy Baocias Zelte erreichten, und darüber hinaus. Ista stellte fest, dass die fünfhundert Berittenen von vielleicht hundert weiteren Personen begleitet wurden, Dienern, Knechten und Mägden — dem Gefolge von einem Dutzend Damen sowohl aus Valenda wie aus Taryoon, die sich Lady dy Hueltar auf ihrer selbst erklärten Mission, Ista heimzubringen, angeschlossen hatten. Dy Ferrej war mehr oder minder verantwortlich für die Reisegruppe und damit zu Recht gestraft, befand Ista. Doch dass sie innerhalb einer Woche eine derartige Entfernung zurückgelegt hatten — nicht innerhalb eines Monats —, war für sich selbst betrachtet fast schon ein Wunder. Ihr Respekt für dy Ferrej war stets groß gewesen, nun aber stieg er noch um ein ganzes Stück.
Ista verkürzte Lady dy Hueltars Abendplanung, indem sie ein Bad, Essen und einen Platz zum Schlafen forderte. In dieser Reihenfolge. Die Geistliche Tovia unterstützte sie. Sie war schon immer praktischer veranlagt gewesen als die anderen, und sie beäugte misstrauisch das Blut auf Istas Kleid. Die ältliche Heilerin lotste Ista in ein Zelt, zum Bad und zur Behandlung, und es gelang ihr, bis auf Lady dy Hueltar und zwei Mädchen — ihre eigenen Helferinnen und Akolythen — sämtliche Begleiter hinauszukomplimentieren. Ista musste zugeben, es war so angenehm wie tröstlich, sich der Pflege dieser vertrauten Hände hinzugeben, die Salben und Verbände auf ihre Wunden und angestoßenen Stellen aufbrachten. Auch Tovias gebogene Nadel war dünn und scharf, und wo es nötig war, vernähte sie Verletzungen rasch und mit einem Mindestmaß an Unannehmlichkeiten.
»Woher, in aller Welt, habt Ihr diese Druckstellen?«, wollte Tovia wissen.
Ista reckte den Hals und blickte auf die Rückseite ihres Oberschenkels, auf den die Heilerin wies. Fünf dunkelviolette Stellen zeichneten sich darauf ab. Ihre Mundwinkel hoben sich, und sie verrenkte sich, um die eigenen Finger zwischen den Malen auszubreiten.
»Fünf Götter, Ista!«, rief Lady Hueltar entsetzt. »Wer hat gewagt, Euch so anzufassen?«
»Die stammen von … gestern. Als Lord Illvin mich vor dem jokonischen Heerzug auf der Straße gerettet hat. Was hat er doch für lange Finger! Ich frage mich, ob er irgendein Instrument spielt. Ich werde ihn danach fragen.«
»Ist Lord Illvin dieser seltsame große Bursche, der mit Euch ins Lager geritten kam?«, fragte Lady dy Hueltar misstrauisch. »Die stürmische Art, wir er Eure Hand geküsst hat, gefiel mir gar nicht.«
»Nein? Nun, er hatte nicht viel Zeit. Ich werde ihn noch üben lassen, bis seine Technik besser wird.«
Lady dy Hueltar wirkte beleidigt, doch zumindest die Geistliche Tovia schnaubte ein wenig.
Ista erhielt einen Schlafplatz, in einem Zelt, unter dem Schutz einiger Damen. Doch als sie den Hufschlag vieler Pferde hörte, die sich aus dem Lager entfernten, erhob sie sich wieder und spähte hinaus — trotz ihres Nachthemds. Es war erst später Nachmittag. Wenn Obys’ Reiterei an diesem langen Sommertag auf Porifors herabstieß, würde sie noch viele Stunden Tageslicht für ihre Arbeit zur Verfügung haben. Der Zeitpunkt konnte besser nicht sein. Nach den furchtbaren Geschehnissen am Mittag musste sich ein Höchstmaß an Verwirrung und Entsetzen im jokonischen Heer verbreitet haben. Vermutlich waren die Jokoner noch immer mehr oder minder führungslos — zu lange hatte Joen einen trägen, geistlosen Gehorsam erzwungen, und es war unwahrscheinlich, dass die Betroffenen diese Gewohnheit so schnell wieder abschütteln konnten.
Ista ließ sich schließlich überreden, zurück ins Bett zu kriechen — ein Rat von Menschen, die sie liebten, obwohl die Ista, die sie meinten, vermutlich nur eine Illusion war, eine Frau, die ausschließlich in ihren Gedanken existierte; teilweise eine Ikone, teilweise Gewohnheit.
Diese Erkenntnis stimmte sie nicht übermäßig traurig, denn jetzt kannte sie immerhin jemanden, der die wahre Ista liebte. Sie schlief ein, während sie an ihn dachte.
Ista schreckte aus einem scheußlichen Traum hoch, der nicht ganz der ihre gewesen war, wie sie glaubte. Es war der Klang streitender weiblicher Stimmen, der sie geweckt hatte.
»Lady Ista wünscht zu schlafen, nach ihrem Martyrium«, stellte Lady dy Hueltar bestimmt fest. »Ich lasse nicht zu, dass sie schon wieder gestört wird.«
»Aber … aber …«, sagte Liss verwirrt, »die Königin möchte gewiss die Neuigkeiten aus Porifors hören. Wir sind noch vor der Morgendämmerung aufgebrochen, um ihr so schnell wie möglich davon zu berichten.«
Ista rollte sich unter ihren Decken hervor. »Liss!«, rief sie. »Komm her!« Anscheinend hatte sie die ganze kurze Sommernacht durchgeschlafen. Das genügte.
»Nun schau, was du angerichtet hast!«, sagte Lady dy Hueltar verärgert.
»Was denn?« Liss’ Verblüffung war echt. Im Gegensatz zu Ista hatte sie keine jahrelange Erfahrung darin, die versteckten Andeutungen der ersten Hofdame ihres Haushalts zu entschlüsseln. Ista übersetzte Lady dy Hueltars Ausruf mühelos mit: Ich wollte heute nicht mehr Weiterreisen, und nun muss ich es doch tun, verflixtes Mädchen.
Ein Sprung vom Feldbett kam nicht in Frage, wie Ista feststellen musste. Es gelang ihr, sich mühsam auf die Füße zu kämpfen, ehe die Zeltklappe zurückgeschlagen wurde und waagerechte goldene Lichtstrahlen hereinließen, gefolgt von einer strahlenden Liss. Ista umarmte sie, und Liss umarmte Ista. Das Lächeln und Liss’ Anwesenheit schienen als Bericht beinahe auszureichen. Porifors ist befreit. Es gab keine weiteren verheerenden Verluste letzte Nacht. Den Rest mochte sie der Reihe nach erfahren, oder in einem wirren Durcheinander, wie es sich ergab.
»Setz dich«, sagte Ista. Sie ließ Liss’ Hände nicht los. »Erzähl mir alles.«
»Lady Ista muss sich erst anziehen, ehe sie Besucher empfängt«, verkündete Lady dy Hueltar streng.
»Ein großartiger Gedanke«, pflichtete Ista bei. »Besorgt mir etwas zum Anziehen. Reitkleidung.«
»Oh, Ista, Ihr werdet heute doch nicht reiten wollen, nach allem, was Ihr durchgemacht habt! Ihr braucht Ruhe.«