Ista beschloss, sich noch mehr Gedanken um Lady dy Hueltar zu machen. Tatsächlich hatte diese sich durch ihre langjährigen treuen Dienste eine gewisse Rücksichtnahme verdient. Doch jetzt wollte Ista erst einmal aufbrechen. Sie entspannte sich ein wenig und sagte sanft: »Bestattungen, meine liebe Lady dy Hueltar. Sie werden heute noch die Toten von Porifors beerdigen, und es ist meine heilige Pflicht, dabei zugegen zu sein. Ich möchte Euch bitten, mir die angemessene Ausstattung mitzubringen, wenn Ihr nachkommt.«
»Oh, Bestattungen«, wiederholte Lady dy Hueltar in einem Tonfall erleichterten Verständnisses. »Bestattungen, natürlich.« Sie hatte die alte Herzogin zu einer Vielzahl solcher Zeremonien begleitet. Ista nahm an, dass dies nur scheinbar ihre Hauptbeschäftigung gewesen war. Allerdings hätte sie sich schon sehr anstrengen müssen, sollte sie eine üblichere benennen. Aber Begräbnisse waren etwas, das Lady dy Hueltar verstand.
Diese hier wird sie nicht verstehen. Doch das machte nichts. Zumindest für den Augenblick schien ihre gewohnte Rolle gesichert und bestätigt. Das Gesicht der alten Dame hellte sich auf.
Tatsächlich entspannte sie sich sogar so weit, dass sie sich auf die Suche nach einem Reitkleid für Ista machte, während Liss Dämon sattelte und Ista ein wenig Tee und Brot zu sich nahm. Als sie sich schließlich auf dem Sattel niederließ, bemerkte Ista zufrieden, dass die blassbraune Farbe des Kostüms sogar gut zum kastanienbraunen Hengst passte. Und zumindest würde der Ritt ihren steifen Leib ein wenig auflockern. Sie verspürte anhaltende Kopfschmerzen, doch sie wusste, woher sie kamen. Und ihre Heilung lag in Porifors. Ferda befahl seiner baocischen Truppe, aufzubrechen, und Liss fiel an seiner Seite in Schritt. Die Morgensonne schien hell, und sie kamen rasch voran.
Als Istas Trupp durch das Tor ritt, war eine Staffel von dy Obys Männern gerade damit beschäftigt, Schutt aus der Burg zu schaffen. Ista nahm ihre Arbeit mit großem Wohlwollen zur Kenntnis. Der Wiederaufbau würde länger dauern, doch mit so vielen Händen ließen sich zumindest das Aufräumen und Saubermachen rasch beenden.
Der Vorhof war bereits gereinigt. Sogar die schlaffen Blumen in den zwei oder drei heil gebliebenen Kübeln an der Wand schienen schon wieder die Köpfchen zu heben. Ista empfand eine unbestimmte Dankbarkeit, dass inmitten all der lärmenden Verwirrung jemand ein bisschen Wasser für die Pflanzen übrig gehabt hatte. Sie fragte sich, wer es gewesen war. Der Aprikosen- und der Mandelbaum waren halb kahl, doch sie verloren nicht länger ihre Blätter. Ista hoffte, dass die Bäume sich erholten.
Wir können mehr tun als nur hoffen, sagte sie sich dann. Lebt, mit dem Segen des Bastards. Ich befehle es euch, dachte sie in Richtung der Bäume. Wenn ihnen das irgendeine besondere Vitalität verlieh, war diese zumindest nicht sofort sichtbar. Ista verließ sich darauf, dass die endgültigen Ergebnisse sich nicht als merkwürdig erweisen würden.
Sie sah Lord Illvin durch den Torbogen schreiten, und ihr wurde leicht ums Herz. Sein Haar war sorgsam geflochten, und er selbst war gewaschen und frisch eingekleidet als Offizier von Porifors. Vielleicht hatte er sogar einige Stunden Schlaf genießen können. Der kleinere und stämmigere Lord dy Baocia trippelte an seiner Seite und schnaufte bei dem Versuch, Schritt zu halten. An dy Baocias anderer Seite stapfte dy Cabon und winkte Ista zu. Zu ihrer Erleichterung folgte ein müde aussehender Goram unmittelbar hinter ihnen.
Vorsichtig griff Goram nach dem Kopf ihres Pferdes und beäugte misstrauisch die neue Sanftmut des Tieres. Ista ließ sich aus dem Sattel in Illvins ausgestreckte Arme gleiten und erwiderte auf dem Weg nach unten seine verstohlene Umarmung.
»Guten Morgen, Ista«, wurde sie von Lord dy Baocia begrüßt. »Alles in Ordnung mit dir?« Er wirkte ein wenig benommen, wie es wohl jedem Befehlshaber ergehen mochte, der heute Morgen durch das Innere von Porifors wanderte. Das Lächeln, mit dem er sie bedachte, war nicht annähernd so beiläufig, wie Ista es gewohnt war. Tatsächlich hatte sie den Verdacht, dass sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit genoss — ein sehr merkwürdiges Gefühl.
»Vielen Dank, Bruder. Mir geht es gut. Ein wenig müde, aber ohne Zweifel nicht so erschöpft wie viele der Männer hier.« Sie blickte zu dy Cabon hinüber. »Wie geht es den Kranken?«
»Seit gestern Mittag gab es keine weiteren Toten, den Göttern sei Dank.« Voll herzlicher Dankbarkeit schlug er das heilige Zeichen. »Ein paar sind sogar schon wieder auf den Beinen, obwohl ich annehme, dass die anderen ebenso lange zur Erholung brauchen werden wie nach einem weniger unheimlichen Leiden. Die meisten wurden hinunter in die Stadt gebracht, in die Obhut der Kirche oder ihrer Verwandten.«
»Das ist gut.«
»Foix und Lord Illvin haben uns von den großen Taten und Wundern berichtet, die Ihr gestern in den Zelten der Jokoner vollbracht habt, dank der Gnade des Bastard. Ist es wahr, dass Ihr gestorben seid?«
»Ich … weiß es nicht genau.«
»Ich schon«, murmelte Illvin. Irgendwie hatte seine Hand es versäumt, die ihre loszulassen. Nun hielten sie beide einander noch fester.
»Ich hatte eine sehr merkwürdige Vision. Ich verspreche Euch, Hochwürden, ich werde sie Euch beschreiben, sobald wir ein wenig mehr Zeit haben.« Nun, zumindest teilweise.
»Wie sehr ich mir wünsche — trotz all meiner Furcht! —, ich hätte ebenfalls dabei zugegen sein und Zeugnis ablegen können. Ich hätte mich als über die Maßen gesegnet erachtet!«
»Ach? Dann bleibt noch einen Moment. Ich habe eine weitere wichtige Aufgabe zu erfüllen. Liss, halte mein Pferd. Goram, komm her.«
Erstaunt gehorchte Goram. Er trottete heran und nickte ihr eingeschüchtert zu. »Majestät.« Nervös hielt er die Hände verschränkt und warf seinem Herrn einen flehentlichen Blick zu. Illvin kniff die Augen zusammen und musterte Ista eindringlich.
Ista betrachtete ein letztes Mal die klaffenden Löcher in Gorams Seele. Dann legte sie ihm die Handflächen auf die Stirn und ließ von ihren spirituellen Händen eine plötzliche Flut von weißem Feuer in diese dunklen und leeren Höhlungen strömen. Das Feuer wogte wild in seinen neuen Schranken und beruhigte sich dann langsam, als würde es sich auf einem bestimmten Stand einpegeln. Erleichtert atmete Ista auf, als der unangenehme Druck in ihrem Kopf verschwand.
Goram ließ sich mit überkreuzten Beinen und offenem Mund aufs Pflaster sinken. Er barg das Gesicht in den Händen. Nach einer Weile begannen seine Schultern zu beben. »Oh«, sagte er mit einer Stimme, die aus weiter Ferne zu kommen schien. Er fing an zu weinen — erschüttert, wie Ista annahm, und von anderen, komplizierteren Gefühlen erfüllt. Die Träume der letzten Nacht ließen manches vermuten.
»Lord Illvin, Bruder — darf ich euch Hauptmann Goram dy Hixar vorstellen, vormals Mitglied der Reiterei König Oricos, in Diensten von Lord Dondo dy Jironal. Kürzlich, wenn auch unfreiwillig, war er Sordso von Jokona zu Diensten, als Schwertmeister und Reiter. In gewisser Hinsicht.«
Goram blickte auf, immer noch schluchzend. Sein Gesicht war wie erstarrt, aber nicht schlaff: Sein Ausdruck schien sich um den Verstand zu festigen, der darunter allmählich zusammenwuchs.
»Ihr habt ihm seine Erinnerung und seinen Verstand zurückgegeben? Aber Ista, das ist wunderbar!«, rief Illvin aus. »Nun können wir endlich seine Familie und sein Zuhause ausfindig machen!«
»Was es da gibt, bleibt noch festzustellen«, murmelte Ista. »Aber seine Seele ist nun wieder die seine, und sie ist vollständig.«
Für einen Augenblick schaute sie in Gorams stahlgraue Augen, und er wich ihrem Blick nicht aus. Sie las Erstaunen darin, Aufruhr und andere Empfindungen. Eine davon war Schmerz, nahm sie an. Sie nickte ihm ernst zu und würdigte all das, was sie sah. Er antwortete mit einer erschütterten Kopfbewegung.