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»Das geht nicht.«

»Was soll das heißen?«, stöhnte die Nonne. »Was haben Sie mit ihm gemacht?«

Jakow Michailowitsch nahm schnell wieder den Verkleideten ins Visier und sah, wie der in Richtung Meer deutete.

»Er ist mit dem Boot nach Ejn-Dshidi gefahren. Schon bei Tagesanbruch, bevor die Hitze einsetzt.«

»Gott sei Dank!«, rief seltsamerweise die Nonne. »Ejn-Dshidi, das ist doch eine Oase im Norden von Bet-Kerim? Wir sind dort vorbeigekommen.«

»Ja, von dort aus führt eine Straße nach Jerusalem.«

»Also will er nach Jerusalem?«

Der Sodomit zuckte mit den Achseln.

»Er hat etwas von irgendeinem Garten erzählt.«

»Um Gottes willen, versuchen Sie, sich zu erinnern«, rief die Nonne wieder. »Es ist sehr wichtig!«

Jakow Michailowitsch war ebenfalls sehr gespannt. Er hielt das Rohr nicht mehr ans Auge, sondern ans Ohr.

Irodiada sagte unsicher:

»Ich glaube, er hat gesagt: ›In der Nacht auf Freitag muss ich unbedingt in einem ganz bestimmten Garten sein.‹«

Na komm schon, komm schon, ermunterte sie Jakow Michailowitsch stumm. Erinnere dich.

»Das ist alles. Mehr hat er nicht gesagt.«

»Ach!«, rief die Rothaarige aus.

Der unterirdische Beobachter setzte seine Röhre rasch wieder ans Auge. Die Nonne hatte die Hand auf den Mund gelegt, die Augenbrauen waren fast bis zum Haaransatz hinaufgeklettert.

War das Erstaunen? Oder war ihr irgendetwas eingefallen?

Jakow Michailowitsch wusste selbstverständlich nicht, was das für ein Garten sein sollte, aber das machte ja nichts. Hauptsache, du hast es begriffen, mein Goldstück, flüsterte er dem Rotfuchs zu und pustete einen Regenwurm von seiner Unterlippe.

Die Nacht auf Freitag, war das morgen oder übermorgen? Bei dieser ganzen Herumwanderei kam er allmählich mit den Wochentagen durcheinander.

Aber das ging anderen wohl genauso.

»Was ist heut für ein Tag? Mittwoch?«, fragte die Nonne.

»Ich weiß es nicht, meine Liebe. Wir richten uns hier nach dem antiken Kalender. Heute ist der Tag des Mondes, morgen der Tag des Mars, übermorgen . . .«

»Ja, ja, Mittwoch«, unterbrach sie die Rote. »Sagen Sie, ob ich vielleicht Ihr Boot benutzen dürfte?«

»Wo denken Sie hin! Sie müssen Zusehen, dass Sie schleunigst von hier fortkommen, sonst wird man Sie arrestieren! Es ist schon jemand unterwegs, um die Wachen zu holen. Das ist doch alles Privatbesitz und wird sehr streng bewacht.«

»Wie weit ist es von hier aus bis nach Jerusalem?«, fragte die Nonne, die schon gar nicht mehr zuhörte.

»O Gott, das weiß ich nicht genau. So hundert, hundertfünfzig Werst vielleicht.«

»Salach, schaffen wir das bis morgen Abend?«

»Werde ich Pferde verderben«, brummte der Araber. »Ganze Woche werden nich funktionieren.«

»Wie viel kostest du für eine Woche?«

»Zweihundert Franken.«

»Räuber!«

»Für Ehefrau umsonst«, antwortete der Araber nebulös.

»Na gut, fahren wir los!«

»Was gut? Gut zweihundert, oder gut Ehefrau?«

»Das sehen wir dann! Los jetzt!«

Damit verschwand die Nonne aus Jakow Michailowitschs Blickfeld. Eine halbe Minute später hörte er das Geklapper von Hufen und das Quietschen von Rädern. Auf ging’s nach Jerusalem.

Jetzt war es aber langsam Zeit, aus dieser verflixten Dreckladung herauszukommen. Ochochoch, hundertfünfzig Werst auf Schusters Rappen, und dann noch quer durch die Wüste . . . Na ja, das kriegen wir schon gebacken.

In Bet-Kerim konnte er sich ja auch wieder so einen Karren organisieren, am besten mit einer Plane drüber. Davon konnte er auch gleich mehrere mitnehmen, in unterschiedlichen Farben, die würde er ab und zu wechseln, damit sie nicht merkte, dass sie verfolgt wurde.

»Also mach schon, verschwinde«, drängte Jakow Michailowitsch den Sodomiten.

Aber der hatte es gerade gar nicht eilig.

Plötzlich erklang Säbelrasseln und das Getrappel von Stiefeln, das war der Fuhrmann, der mit zwei türkischen Soldaten herbeigelaufen kam.

Sie fingen auch gleich an, laut in ihrer Sprache loszukrakeelen. Der Sodomit antwortete ihnen stockend, in beschwichtigendem Ton. Offenbar hatte er ihnen erzählt, dass überhaupt kein Weib hier gewesen sei, denn einer der Soldaten holte aus, verpasste dem Fuhrmann eine Ohrfeige und schrie ihn wütend an. Jakow Michailowitsch verstand das Kauderwelsch natürlich nicht, aber er konnte sich ziemlich gut denken, was er meinte: Na warte, du verflixter Lümmel, hast uns die Hucke voll gelogen, deinetwegen müssen wir hier durch die Hitze rennen.

Die Soldaten gingen, der schluchzende Araber auch, aber der verdammte Sodomit stand immer noch bei seinem Rosenbusch, befühlte die Blätter, besah sich die Blüten und schüttelte dabei betrübt den Kopf.

Hol dich der Teufel, ich habe nicht so viel Zeit!

Vor lauter Ungeduld fing Jakow Michailowitsch an zu zappeln, und etwas Erde fiel vom Wagen.

Der Sodomit schaute verblüfft zu dem Karren herüber, und Jakow Michailowitsch kam es vor, als blicke er ihm durch seine Röhre direkt ins Auge.

Dreh dich bloß um, du Holzkopf, warnte er ihn, noch ganz im Guten. Das ist besser für dich.

Aber nein, er kam näher.

Dann stand er so nah vor Jakow Michailowitsch, dass der bloß noch eine Brust (sieh mal an, da hat er aber ordentlich Watte reingestopft) und einen glatt rasierten Arm sah. Dann öffnete sich die Hand, die zu dem kahlen Arm gehörte und verdeckte das Blickfeld völlig.

»Was ist denn das für ein Lappen?«, brummte eine tiefe Stimme, und in der nächsten Sekunde spürte Jakow Michailowitsch, wie ihn jemand am Ärmel zog.

Na gut, selber schuld.

Er packte den Dummkopf am Handgelenk und richtete sich abrupt auf.

Als der alte Perversling sah, wie auf einmal ein schwarzer Mann aus der Erde herauskam, riss er die Augen auf. Dann drehte er sie nach oben und sank ganz, ganz langsam in sich zusammen.

Tatsächlich, wie ein Weibsbild, ist glatt in Ohnmacht gefallen.

Jakow Michailowitsch beugte sich über den reglosen Körper und dachte nach.

Man könnte ihm den Hals brechen und die Leiche in den großen Erdhaufen da stecken, vor morgen früh wird man sie bestimmt nicht finden, und dann sind wir längst über alle Berge, auf halbem Weg nach Jerusalem.

Aber wenn man sie doch eher findet? Die haben da oben auf dem Turm einen Heliographen, damit können sie dem Wachtposten Signale geben.

Wozu also das Risiko?

Jakow Michailowitsch hüpfte ein paarmal auf der Stelle, um die Erde von seiner Kleidung abzuschütteln. Er sammelte die Brocken sorgfältig auf und warf sie auf den Wagen zurück. Dann stellte er die ursprüngliche Form des Haufens wieder her und strich die Erde sorgfältig mit den Händen glatt; mit einem großen Satz sprang er aus dem Stand auf die Wiese, damit er keine Spuren im Staub hinterließ.

Und drehte sich um.

Der Sodomit lag immer noch schlaff wie ein Sack da.

Na gut, soll er halt am Leben bleiben.

Was wird er schon erzählen? Dass ein großer schwarzer Mann aus der Erde hervorgekrochen kam und dann spurlos verschwand? Das glaubt ihm doch kein Mensch, nicht einmal er selber. Er wird denken, er hätte sich einen Sonnenstich eingefangen.

Jakow Michailowitsch zog sich die Pluderhose zurecht und trabte in federndem, kraftvollem Laufschritt die Straße entlang, immer der untergehenden Sonne nach.

Um seinen Atemrhythmus besser zu kontrollieren, sprach er dabei ununterbrochen vor sich hin: eins-zwei, eins-zwei, was für-ein Gar-ten, was für-ein Gar-ten, eins-zwei, eins-zwei, was für-ein Gar-ten, was für-ein Gar-ten . . .

Bekam anstatt Luft viel heißen Staub in den Rachen. Fluchte und spuckte.

Och, dieses vermaledeite Land.

Na egal, morgen Abend dürfte die Sache ausgestanden sein.