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»Was denn für ein Bauernmädchen?«, unterbrach ihn Pobedin und sah Sergej Sergejewitsch missmutig an. »Von der Nonne weiß ich, aber von einem Mädchen nicht.«

Dolinin antwortete knapp:

»Das war Razewitsch. Er war ohne Zweifel ein absoluter Profi, aber manchmal tat er etwas zu viel des Guten. Außerdem war er, wie sich zeigte, im Kern verfault. Ich sagte ja bereits: Es war mein Fehler, dass ich ihn für unsere Sache angeworben habe.«

»Fehler macht jeder«, seufzte der Oberprokuror. »Gott verzeiht, wenn es nur ehrlich gemeint war. Fahren Sie fort, Matwej Benzionowitsch.«

»Also, was ich fragen wollte . . . Was ist denn so Besonderes an diesem unbedeutenden Schwindler Manuila? Warum sind diese ganzen . . . warum ist all das notwendig?«

Konstantin Petrowitsch nickte und sagte dann ernst, fast feierlich:

»Sie sind tatsächlich ein kluger Mann. Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Dieses Subjekt nämlich, von dem Sie sprechen, stellt eine furchtbare Gefahr für Russland, ja für die gesamte Christenheit dar.«

»Wer – Manuila?«, rief Berditschewski erstaunt. »Das ist doch nicht Ihr Ernst, Eure Exzellenz! Übertreiben Sie nicht ein wenig?«

Der Oberprokuror lächelte traurig.

»Sie haben noch nicht gelernt, mir so zu glauben, wie es meine Gleichgesinnten tun. Mein Verstand oder mein Herz können sich irren, aber niemals beide gleichzeitig. Gott hat mir diese besondere Gabe verliehen. Sie anzuwenden ist meine Bestimmung. Glauben Sie mir, Matwej Benzionowitsch: Ich sehe mehr als andere Menschen, mir eröffnet sich vieles, was ihnen verborgen bleibt.«

Pobedin sah Berditschewski gerade in die Augen und akzentuierte jedes einzelne Wort. Der Sawolshsker Staatsanwalt hörte wie gebannt zu.

»Jeder, der mit Manuila in Berührung kommt, wird mit der tödlichen Krankheit des Unglaubens infiziert. Ich habe selbst mit ihm gesprochen und diese verführerische Kraft gespürt. Nur durch das Gebet konnte ich mich retten. Wissen Sie, wer er ist?«, fragte Konstantin Petrowitsch, und seine Stimme sank plötzlich zu einem bedrohlichen Flüstern.

»Wer?«

»Der Antichrist.«

Leise und feierlich sprach er das schreckliche Wort aus.

Berditschewski zwinkerte erschrocken mit den Augen.

Da haben wir die Bescherung! Der einflussreichste Mann im Staat, der Oberprokuror des Heiligen Synods, hat den Verstand verloren! Armes Russland!

»Ich habe weder den Verstand verloren, noch bin ich ein religiöser Fanatiker«, sagte der Oberprokuror, als hätte er seine Gedanken gelesen. »Aber ich glaube an Gott. Ich wusste schon seit langem, dass der Satan auf die Erde kommen würde, ich habe ihn erwartet, auf Grund der angekündigten Vorzeichen. Aber er ist, wie wir jetzt wissen, längst hier. Er zieht durch Russland, sieht sich um und kundschaftet alles aus, er hat es nicht eilig, er hat ja dreieinhalb Jahre Zeit. Denn so steht es in der Offenbarung des Johannes geschrieben: »Es wurde ihm ein Maul gegeben, das große und lästernde Reden führte, und es wurde ihm Vollmacht gegeben, es zweiundvierzig Monate lang zu treiben. Und es öffnete sein Maul zu Lästerungen gegen Gott, zu lästern seinen Namen und seine Wohnstatt und die Bewohner des Himmels. Und es wurde ihm gegeben, Krieg zu führen mit den Heiligen und sie zu besiegen, und es wurde ihm Macht gegeben über jeden Stamm und jedes Volk, jede Zunge und jedes Land, und anbeten werden es alle Bewohner der Erde, deren Name nicht eingeschrieben ist im Lebensbuch des geschlachteten Lammes seit Grundlegung der Welt.«

Diese gestrengen und dunklen Worte versetzten Matwej Benzionowitsch in heftige Erregung. Jetzt kam es ihm nicht mehr so vor, als habe Pobedin den Verstand verloren, dennoch war es ihm unmöglich, daran zu glauben, dass der kümmerliche Schwindler Manuila mit jenem apokalyptischen Tier identisch sein sollte.

»Ich weiß«, seufzte Konstantin Petrowitsch. »Ihnen, als Mensch mit einem praktischen Verstand, fällt es schwer, an so etwas zu glauben. Es ist selbstverständlich etwas anderes, ob man in der geistlichen Literatur über den Antichrist liest, oder ob man ihn sich leibhaftig vorstellen soll, hier mitten unter uns, im Jahrhundert der Dampfmaschinen und der Elektrizität, noch dazu in Russland. Aber ich sage Ihnen: Gerade in Russland!«, rief der Oberprokuror mit neuerlich aufwallender Verve. »Genau darin liegt der Sinn und die Vorbestimmung unseres Landes: zum Schlachtfeld zwischen den Kräften des Lichts und der Finsternis zu werden! Das Tier hat sich Russland erwählt, weil es ein besonderes Land ist! Von allen Ländern ist es in seinem Unglück am weitesten von Gott entfernt und IHM doch gleichzeitig am nächsten! Und weil die gesellschaftliche Ordnung und der Glauben bei uns schon vor langer Zeit ins Wanken gekommen sind. Russland ist das schwächste Glied in der Kette aller christlichen Staaten. Das hat der Antichrist erkannt und holt nun zum Schlage aus. Ich weiß, wie dieser Schlag aussehen wird, er hat es mir selbst offenbart. Aber ich werde schweigen, denn es ist besser, wenn die Last dieses Wissens nur auf meinen Schultern liegt. Ich sage nur eines: Es ist ein Schlag, von dem sich unser Glauben nicht wieder erholen wird. Und was ist Russland ohne Glauben? Eine Eiche ohne Wurzeln. Ein Turm ohne Fundament. Er wird in sich Zusammenstürzen und zu Staub zerfallen.«

»Der Antichrist?«, wiederholte Berditschewski unschlüssig.

»Ja, der Antichrist. Und zwar nicht in allegorischem Sinne, wie etwa Napoleon Bonaparte, sondern leibhaftig. Nur hat er weder Hörner noch Pferdefuß, sondern er erscheint als Mensch mit sanftem Blick und einfühlsamer Rede. Aber ich fühle die Menschen, ich kenne sie, und deshalb sage ich: Manuila ist kein Mensch.«

Dieser Satz war so einfach, so alltäglich dahingesagt, dass Matwej Benzionowitsch ein Schauder über den Rücken lief.

»Und Schwester Pelagia?«, fragte er mit schwacher Stimme. »Trifft sie irgendeine Schuld?«

Der Oberprokuror antwortete in hartem Ton:

»In jedem Staat gibt es die Institution der Todesstrafe. In den christlichen Ländern wird sie in zwei Fällen angewendet: Bei einem schwerwiegenden Vergehen gegen die Menschlichkeit – das heißt bei einem unverbesserlichen Verbrecher – oder wenn eine Person eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt, wenn sie die Grundpfeiler der Gesellschaft bedroht.«

»Aber Pelagia ist doch weder eine Mörderin noch eine Revolutionärin!«

»Nichtsdestotrotz stellt sie eine enorme Gefahr für unsere Sache dar, und das ist viel schlimmer als ein Verstoß gegen die Menschlichkeit. Einen Verstoß kann man verzeihen, wie es uns Christus geboten hat.« An dieser Stelle erschien in Pobedins Gesicht ein seltsames Zucken, aber er hatte sich sofort wieder in der Gewalt. »Einem reuigen Mörder kann man Gnade erweisen; man muss es sogar. Aber es wäre ein schlimmes Verbrechen, einen Menschen, der, wenn auch in edler Absicht, eine Gefahr für den gesamten Weltenbau darstellt, nicht zu vernichten. Das wäre so, wie wenn ein Arzt ein brandiges Glied, von dem die todbringende Fäule auf den ganzen Körper übergreift, nicht amputierte. Das ist das oberste Gesetz der Gemeinschaft: Man muss den Einzelnen opfern, um die Mehrzahl zu retten.«

»Aber Sie hätten doch mit ihr reden können, so wie Sie mit mir jetzt reden«, rief Matwej Benzionowitsch. »Sie ist eine sehr kluge Frau mit einem aufrichtigen Glauben, sie hätte Sie bestimmt verstanden!«

Der Oberprokuror sah Dolinin an. Der hob das Gesicht, das starr und finster war wie eine Maske, und schüttelte den Kopf.