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Der Krug geht zum Brunnen

Als der Hantur am Jaffa-Tor anlangte und nach rechts abbog, war Jakow Michailowitsch sofort klar, dass sie die Stadtmauer umfahren wollten. Da konnten sie ihm nicht entwischen, er hatte also Zeit, rasch ein Telegramm nach Petersburg zu expedieren. Seit über einer Woche hatte er sich nicht mehr gemeldet, das war nicht gut. Gerade eben war er an einem Telegrafenamt vorbeigekommen, das rund um die Uhr geöffnet hatte, da war es ihm wieder eingefallen.

Jakow Michailowitsch vollbrachte ein wahres Wunder an Fixigkeit. Innerhalb von zwei Minuten war die vorbereitete Depesche durch das Fenster geschoben und bezahlt.

Das Telegramm hatte folgenden Inhalt: »Bekomme heute zwei Ladungen. Nifontow.« Nifontow – das war die vereinbarte Unterschrift, solange der Auftrag noch nicht erledigt war. Sobald die Arbeit getan war, konnte man in das Telegramm reinschreiben, was einem grad einfiel, bloß die Unterschrift musste dann immer »Xenofontow« lauten. Der, der’s verstehen sollte, verstand.

Jakow Michailowitsch (zurzeit noch im Status eines Nifontow) hatte alles tadellos erledigt: Er hatte seinen Bericht abgeschickt und anschließend den Hantur eingeholt – und zwar in der Nähe einer Schlucht mit Namen Gehenna, jenem Ort, wo nach dem Bericht des heiligen Apostels der »Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht erlischt«. In diese Schlucht pflegten die Bewohner des alten Jerusalem die Leichen der Hingerichteten zu werfen und anschließend ihren Unrat über ihnen abzuladen, und damit von dieser Müllgrube aus keine Seuchen auf die Stadt Übergriffen, ließen sie dort Tag und Nacht Feuer brennen.

So ist es, das ganze menschliche Leben, seufzte Jakow Michailowitsch und trieb sein Pferd an. Wir leben in einer Jauchegrube und besudeln unsere Mitmenschen, und wenn du verreckst, wirst du mit Scheiße zugeschüttet und obendrein in Brand gesetzt, damit du nicht stinkst. Solcherart unerfreuliche Philosophierereien gingen ihm durch den Kopf.

Es war Vollmond und kaum ein Wölkchen am Himmel zu sehen – ganz vorzüglich, besser konnte es nicht sein. Diese ganze Reise, so langwierig und mühsam sie auch war, stand irgendwie unter einem guten Stern. Er hätte schon gleich zu Beginn in Jerusalem die Spur verlieren können, oder am Berg Megiddo, oder in Sodom, aber Fleiß und Glück hatten ihm jedes Mal wieder aus der Klemme geholfen. Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott, wie Jakow Michailowitsch immer sagte.

Die Sache ist so gut wie erledigt. Wenn der Rotfuchs den richtigen Riecher gehabt hat (und sie ist ja ein pfiffiges Mädel), dann haben wir – schwupps – heute noch alles in trockenen Tüchern, dann geben wir dem alten Trottel Nifontow den Laufpass und verwandeln uns in den glorreichen Xenofontow.

Fragt sich nur, was dabei herausspringt – immerhin ein ziemlich kniffliger Auftrag!

In der Regel erlaubte sich Jakow Michailowitsch nicht, über solche angenehmen Dinge nachzudenken, bevor die Arbeit getan war. Aber diese wunderbare mondhelle Nacht brachte einen in solch schwärmerische Stimmung. Und das Ende stand ja auch unmittelbar bevor, das spürte Jakow Michailowitsch mit jeder Faser seines Leibes und mit allen seinen Sinnen.

Man hatte ihm fest versprochen, bei erfolgreicher Durchführung des Auftrages ein gewisses Geschichtchen endgültig zu vergessen und sämtliche Ermittlungsakten zu vernichten. Dann würde dieses Damoklesschwert nicht länger über seinem Schädel baumeln, seine Weste wäre wieder weiß wie Schnee. Aber eigentlich, fand Jakow Michailowitsch, wäre ja wohl ein kleines Extra fällig, in Form einiger kleiner Papierchen, zum Beispiel von der Sorte, die so angenehm knistert. Seine Intuition sagte ihm, dass diese Hoffnung nicht unbegründet war, ganz und gar nicht unbegründet. So, wie die hinter diesem Manuila her waren, die hohen Herrschaften! Weiß der Himmel, womit der ihnen die Suppe versalzen hatte. Aber das ging ihn ja letztlich einen feuchten Kehricht an.

Er versuchte mal grob zu überschlagen, wie viel wohl für ihn herausspringen könnte – in bar gerechnet –, und fantasierte ein bisschen, was er mit dem Geld alles anstellen würde. Vielleicht ein Häuschen kaufen, irgendwo an der Ochta? Oder lieber in Zinspapieren anlegen? Fürs Altenteil war’s ja eigentlich noch ein bisschen früh. Und wenn diese gewisse Geschichte endlich ausgestanden war, konnte er zur Abwechslung ja mal für gerechten Lohn arbeiten, anstatt für schnöde Angst. Dann würde er mal den Ton angeben: Sind sie zu knauserig, bitte sehr, da hat der Zimmermann das Loch gelassen. Ein hoch qualifizierter Meister in delikaten Angelegenheiten wird immer genügend Auftraggeber finden. Wie viel hätte man, zum Beispiel, für diese palästinensische Plackerei verlangen können, nach vollem Tarif? Inklusive dieser ganzen Seefahrerei und Wüstendurchquererei und was sonst noch an Schindereien angefallen war?

In Jakow Michailowitschs Kopf purzelten die Nullen wild durcheinander, aber bevor er sie zu einer ordentlichen Wurst zusammenbinden konnte, musste er aufhören, weil der Hantur der Nonne von der Straße abbog, über eine Brücke fuhr und in einer engen Gasse verschwand.

Er musste sehen, dass er hinterherkam.

Und wieder verhielt sich Jakow Michailowitsch taktisch vorbildlich – statt ebenfalls mit Getöse in die Gasse hinterherzurumpeln, fuhr er an der Abzweigung vorbei und hielt ein paar Schritte weiter an. Er hatte gut erkannt, dass die Spazierfahrt jetzt zu Ende war und es auf Schusters Rappen weitergehen würde.

Er stieg aus und klatschte der Bet-Kebirer Stute eins auf die Kruppe: Geh, wohin du willst, alter Einhufer, danke für deine Dienste, ich brauche dich nicht mehr. Den Wagen kannst du behalten.

Dann schielte er ganz vorsichtig um die Ecke.

Der Araber stand bei seinen Pferden, die Nonne war nirgends zu sehen. Kurz darauf jedoch kam sie aus einer kleinen Pforte herausmarschiert und sagte ein paar Worte zu ihrem Salach. Dann fuhren die beiden ein Stück den Berg hinab und stellten den Hantur an einer schattigen Stelle unter, wo man ihn nicht mehr sehen konnte.

Ähä, dachte Jakow Michailowitsch pfiffig. Sollte das etwa ein Hinterhalt sein?

Tch-jaah, tcha-hihaah . . .

Sein Handrücken fing wie verrückt an zu jucken – er hatte eine irrsinnige Lust, seine Fingerknöchel ordentlich knacken zu lassen. Aber jetzt durfte er auf keinen Fall Geräusche machen.

Den geheimnisvollen Wanderer bemerkte er früher als die beiden.

Ein großer, hagerer Mann. Er lief im Schein des Mondlichts und stieß seinen Stab auf den Boden.

Das ist er, dachte Jakow Michailowitsch und verwandelte sich im selben Augenblick von Nifontow in Xenofontow. Alles Weitere war nur noch ein technisches Problem, mit anderen Worten – gar keins.

Er drückte sich an den Zaun und wartete ab, bis Manuila in die Gasse eingebogen war.

Aber da stellte sich plötzlich ein Umstand ein, der zweifellos zur Kategorie der unangenehmen Überraschungen zu rechnen war.

Hinter dem Hauptobjekt, im Abstand von etwa fünfzig Schritten, kam eine weitere Gestalt angeschlichen. Gerade jetzt versteckte sich der Mond wie aus böser Absicht hinter den Wolken, sodass er den unerwünschten Gesellen nicht gleich in Augenschein nehmen konnte. Das Einzige, was er erkannte, war, dass er ein rechter Bär von einem Kerl war. Er ging auch wie ein Bär, mit schwerem, schaukelndem Gang, und vollkommen lautlos.

Was sind denn das für Neuigkeiten?

Ein Konkurrent?

Auf’s Schleichen verstand sich Jakow Michailowitsch jedenfalls nicht schlechter als dieser Bär. Also nichts wie hinterher – und immer an der Wand lang, immer an der Wand lang . . .

Was der Rotfuchs mit dem Bär zu besprechen hatte, konnte er nicht hören, aber es war ein ziemlich hitziges Gespräch. Die beiden kriegten ordentlich was ab, die Nonne und ihr Araber. Aber dann hatten sie sich wohl irgendwie miteinander arrangiert, der Rotfuchs huschte wieder durch jene Pforte, der Bärenkerl blieb mit dem Kutscher zurück. Die beiden unterhielten sich über irgendwas.