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Jakow Michailowitsch dachte, er hätte sich verhört.

Der Araber jedoch schlang mit einem leisen Aufjaulen seinem Wohltäter die Arme um die Knie und versuchte, ihn zu Fall zu bringen. Das kam dermaßen unerwartet, dass Jakow Michailowitsch wirklich beinahe gestürzt wäre.

Wie’s aussah, hatte er sich in dem Menschen getäuscht, offenbar die falsche Psychologie angewandt.

Jedenfalls, wenn er schon so ein Held war, dann hätte er lieber aus voller Kehle schreien sollen – das hätte ihm vielleicht tatsächlich ein paar Komplikationen einbringen können, aber ihm an den Knien rumfummeln, was sollte das?

Jakow Michailowitsch versetzte dem undankbaren Kerl einen Klaps auf den Hinterkopf, und als der daraufhin die Nase in die Erde steckte, stellte er sich einmal kurz auf seinen Nacken. Es machte einen lauten Knacks.

Und für die Zukunft nahm er sich vor: Keine Mitleidsphilosophie mehr. Sonst wird am Ende noch ein zweiter Doktor Haas aus dir.

Hinter der Pforte befand sich ein verwahrlostes Grundstück mit ein paar krummen Bäumen. Wer war wohl auf die blöde Idee gekommen, um so ein nutzloses Gelände so einen guten Zaun zu bauen?

Jakow Michailowitsch sah sofort, dass niemand mehr in dem Garten war, aber er ließ sich dadurch nicht verunsichern. Aufmerksam schritt er die Umzäunung ab und hielt nach einem zweiten Ausgang Ausschau. Eine Tür fand er zwar nicht, aber dafür entdeckte er ein Brett, das man zur Seite geschoben hatte. Also hier waren sie durch, die beiden Täubchen, eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Er überquerte den Klosterhof und gelangte auf die steil ansteigende Gasse. Dort ließ er sich auf den Boden fallen und presste das Ohr an die Erde.

Die Geräusche der Schritte kamen von rechts. Er folgte ihnen.

Ah, da sind sie ja schon, meine beiden Goldstückchen. Ein größerer Schatten, das ist Manuila, und ein kleinerer, weiblicher – man sieht, wie der Kleidersaum über den Boden fegt.

Und hier, verehrte Objekte, komme ich – euer Xenofontow.

Seine Hand verschwand in der Rocktasche und brachte einen Revolver zum Vorschein. Hier gab es nichts zu überlegen und nichts zu klügeln, der Ort war geradezu ideaclass="underline" keine Menschenseele weit und breit, nirgendwo ein Lichtlein. Also keine Umstände. Wer sollte hier schon eine Untersuchung anstellen?

Sie einholen und erst ihm eins – paff – in den Hinterkopf und dann – paff – ihr eins. Und dann – paff, paff – noch mal jedem eins, zur Sicherheit.

Trotzdem hatte es Jakow Michailowitsch nicht eilig.

Erstens war der Augenblick viel zu schön, er sollte ruhig noch ein wenig verweilen – wie ein großer Literat mal gesagt hat.

Zweitens war er neugierig, wo sie da wohl hinkraxelten. Was wollten sie eigentlich da oben auf dem Ölberg?

Der Prophet und die Nonne bogen in einen Hof ein.

Jakow Michailowitsch beobachtete über den Zaun hinweg, wie Manuila einen Haufen Müll beiseite schob. Er machte einen langen Hals: War da etwa ein Schatz? Bei diesem Gedanken brach ihm glatt der Schweiß aus.

Dann verschwanden beide, der komische Clown und der Rotfuchs, in einer Grube.

Sehr liebenswürdig von den beiden, dachte Jakow Michailowitsch beifällig. Da brauchte er anschließend nur die Grube wieder zuzuschütten, und alles war picobello.

Er stieg in das Loch und ging dem Licht der Fackel nach.

Die Waffe hielt er im Anschlag.

Manuila bemerkte den aus dem Dunkel auftauchenden Jakow Michailowitsch und starrte ihn über den Scheitel des Rotfuchses hinweg an. Aber die Nonne bekam überhaupt nichts mit, die blieb so stehen, wie sie stand, mit dem Rücken zu ihm.

Nervös zupfte sie sich mit der Hand am Ohrläppchen und fragte mit zitternder Stimme:

»Sie waren . . . dort

DRITTER TEIL

Dort

XVI

Das Evangelium der Pelagia

Ein Brief aus dem Jenseits

Zuerst kam eine telegrafische Nachricht, dann ein Brief.

Die amtliche Depesche aus dem Justizministerium an die Kanzlei des Gouverneurs von Sawolshsk teilte mit lakonischem Bedauern mit, der Wirkliche Staatsrat Berditschewski sei in Sankt Petersburg unerwartet einem Herzanfall erlegen.

Im ersten Moment blitzte da noch die schwache Hoffnung auf, es könnte sich um ein Missverständnis handeln, denn Matwej Benzionowitsch war ja nur einfacher Staatsrat – nicht »Wirklicher« –, aber dem ersten Telegramm folgte ein zweites: Der Leichnam werde, auf Staatskosten, mit dem und dem Zug überführt und dann und dann auf der Sawolshsk am nächsten gelegenen Eisenbahnstation eintreffen.

Nun, man jammerte und klagte, und mancher vergoss auch ein paar Tränen, denn es gab in Sawolshsk nicht wenige, die dem Verstorbenen wohlgesonnen waren – von seiner umfangreichen Familie gar nicht zu reden.

Der Witwe Maria Gawrilowna, die nicht weinte, sondern nur immer wieder »Nein, nein, nein, nein!« sagte und wie aufgezogen den Kopf schüttelte, schickte man den besten Arzt, und die Frau des Gouverneurs nahm vorübergehend die Waisenkinder zu sich. Die Stadt bereitete sich darauf vor, den Leichnam feierlich in Empfang und noch feierlicher von ihm Abschied zu nehmen.

Bischof Mitrofani war vor Schmerz wie gelähmt. Genauso wie der Witwe versagte ihm Gott zu Beginn die Erleichterung durch das Weinen. Der Geistliche lief in seinem Kabinett auf und ab, presste die Hände hinter seinem Rücken zusammen, dass die Knöchel weiß hervortraten, und der Ausdruck seines Gesichtes war so erschreckend, dass die Dienerschaft, die dann und wann vorsichtig durch den Türspalt hereinlinste, jedes Mal sofort den Rückzug antrat. So ging es die halbe Nacht. Als endlich der Morgen nahte, setzte er sich an den Tisch, ließ den Kopf auf seine gekreuzten Arme sinken – und endlich, endlich konnte er weinen. Es war eine gute Zeit dafür, düster und still, sodass niemand seine Schwäche sah.

Am Morgen ging es Seiner Eminenz sehr schlecht. Er rang nach Luft und drückte die Hand auf die Brust. Alle fürchteten, sein Herz hielte der Last nicht stand, und er würde seinem geliebten Täufling nachfolgen. Der Sekretär Vater Usserdow eilte zum Vikar, um sich mit ihm zu beraten, ob man ihm nicht die Letzte Ölung geben sollte. Am Abend jedoch kam mit dem Schiff ein Brief an, nach dessen Lektüre Mitrofani aufhörte, nach Luft zu schnappen, sich aufsetzte und die Beine aus dem Bett streckte.

So las er den Brief noch einmal; dann ein drittes Mal.

Auf dem Umschlag stand ungelenk und voller Fehler hingekrakelt: »Statt Sawolshsk, Gouvernement Sawolshsk Bieschof Mitrofani eilig und soll ihn selbs lesen und niemannt sonst.« Nur deshalb hatte man den Brief überhaupt zu dem kranken Bischof gebracht, weil »eilig« und »niemannt sonst« darauf stand.

In dem Umschlag befand sich ein zerknittertes Blatt Papier, auf dem in Berditschewskis Handschrift geschrieben stand: »48-36, schick diese Nachricht per Eilpost an folgende Adresse: Gouvernement Sawolshsk, Stadt Sawolshsk, Seiner Eminenz Bischof Mitrofani persönlich.« Was diese geheimnisvolle Anrede bedeuten sollte, warum sie in Druckbuchstaben geschrieben war und was der Sinn der ominösen Ziffern »48-36« sein mochte, war Mitrofani vollkommen schleierhaft, aber klar war jedenfalls, dass diese Nachricht von äußerster Wichtigkeit war und möglicherweise eine Erklärung für das Petersburger Unglück beinhalten konnte.

Der Bischof sah sich die wenig inhaltsreiche Nachricht so aufmerksam an, dass er zuerst gar nicht auf die Idee kam, das Blatt umzudrehen.

Auf der Rückseite nämlich befand sich die eigentliche Nachricht. Sie war nicht in Druckbuchstaben geschrieben, sondern hastig hingekritzelt, in fieberhafter, kaum zu entziffernder Schnellschrift:

»Die Buchstaben springen, ich schreibe während der Fahrt. Es ist gut, dass es regnet, ich habe das Verdeck hochgestellt, so kann man nicht hereinsehen. Pelagia ist in Gefahr. Sie müssen sie retten. Ich kenne die Schuldigen, aber ich werde Ihnen die Namen nicht nennen. Es ist besser so. Versuchen Sie nicht, sie herauszufinden. Fahren Sie zu Pelagia, und bringen Sie sie irgendwohin weit weg, so weit es nur geht, am besten ans Ende der Welt. Ich selber kann nichts mehr tun. Man beschattet mich. Aber egal, sollen sie ruhig, ich habe mir eine hervorragende Kombination ausgedacht. Die »Berditschewski-Etüde« – man opfert eine Figur, um eine hoffnungslose Partie vielleicht doch noch zu retten. Für meine Familie bitte ich Sie nicht – ich weiß, Sie werden sie nicht im Stich lassen. Leben Sie wohl. Ihr Sohn Matwej«