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»Natürlich, es hat gar nichts mit dem Vollmond zu tun!«, begann er hastig zu erklären. »Es liegt an dem Hahn! Den habe ich vollkommen vergessen! Deshalb lässt mich die Höhle nicht zurück! Oh, wie ich dir danke, Frau! Aber woher weißt du von dem Hahn?«

Auf einmal war ich furchtbar aufgeregt – jetzt, jetzt gleich wird das unbegreifliche Geheimnis gelüftet, und womöglich wird mein Bild von der Welt danach ein vollkommen anderes sein. Ich sagte: »Aus einem Buch. Dort stand, wenn bei Tagesanbruch in einer Besonderen Höhle ein roter Hahn kräht, schwebt der Mensch mit seinem Körper und seiner Seele zwischen den Welten und kann in eine andere Zeit und an einen anderen Ort geworfen werden. Ist das wirklich so?«

Voller Bangigkeit wartete ich auf die Antwort.

Aber er zuckte nur die Achseln: »Davon weiß ich nichts. Aber ich muss unbedingt einen Hahn auftreiben!« »Einen roten?« »Ja, genau, er war rot. Hast du Geld?«

Diese unerwartete Frage ließ mich zusammenzucken. »Ja.« »Kaufst du mir auf dem Markt einen roten Hahn? Ich habe nämlich überhaupt kein Geld.« »Ja, natürlich, wenn du willst. Der rote Hahn hat wohl eine große Bedeutung?«

»Das kannst du aber glauben!«, rief er. »Ohne ihn ist die alte Miriam schlicht und einfach verloren.«

Einen Moment lang fürchtete ich, jetzt würde er doch noch anfangen, wirres Zeug zu reden. »Wer?« »Miriam, die arme Witwe, der dieses Stück Land gehört, das heißt, der es zu meiner Zeit gehörte. Miriam hält Hühner und lebt vom Eierverkauf. Aber ihr Hahn hatte sich zu mir in die Höhle geschlichen. Die sind so neugierig, diese Hähne! Ich habe ihn erst entdeckt, als Kephas und Judas schon fort waren. Die Alte braucht unbedingt einen Hahn. Er muss doch ihre Hühner besteigen! Jetzt verstehe ich, warum Gott mich nicht hat zurückkehren lassen! Wie gerecht und barmherzig ist er doch!«

»Also war ein Hahn mit dir in der Höhle?«, fragte ich. »Und er krähte, bevor die Erde bebte?« »Ich glaub schon.«

Ich schwieg und versuchte, den Sinn dieses seltsamen Phänomens zu erfassen. Aber ich kam nicht dahinter. Ich fragte weiter: »Aber was ist das für ein Unsinn – ein roter Hahn? Wie kann das denn sein?«

Immanuel lächelte. »Gibt es einen Menschen, dessen Weisheit so groß ist, dass er alle Gesetze kennt, nach denen die Welt eingerichtet ist? Also, warum soll man sich darüber wundern, wenn Gott uns eine weitere Lehre erteilt, oder uns ein neues Gleichnis gibt?«

»Worin soll denn der Sinn eines so seltsamen Gleichnisses bestehen?!«

Er dachte eine Weile nach und fragte dann: »Sag mal, ist es dumm, an Wunder zu glauben?«

»Nein«, antwortete ich. »Das heißt, ja. Ich weiß es nicht. Darauf zu hoffen, dass ein Wunder dein Leben verändert und dich von all deinen Sorgen erlöst, das ist dumm.«

»Ja, auf ein Wunder zu hoffen ist dumm«, stimmte er zu. »Und dazu ganz unsinnig. Genauso wie krähende rote Hähne in einer Besonderen Höhle.«

Damit war das Gespräch beendet, denn plötzlich spürte ich eine solche Müdigkeit, dass ich mich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Wahrscheinlich waren die vielen Erschütterungen dieser wundersamen Nacht daran schuld.

Wir stiegen zurück in die Gruft und schliefen dort bis zum Morgen. Die Erde war hart, aber nie im Leben habe ich so tief und friedlich geschlummert.

Als die ersten Sonnenstrahlen in die Höhle fielen, standen wir auf und gingen auf den Markt, um einen roten Hahn zu kaufen.

***

Es war kein Problem, einen Vogel mit der erforderlichen Färbung zu finden, diese Rasse ist hier sehr verbreitet, wahrscheinlich wurde sie schon vor ein paar tausend Jahren gezüchtet.

Wir nahmen den ersten roten Hahn, den wir fanden, und kauften ihn, ohne zu handeln und ohne ihn genauer zu begutachten. Das hätten wir besser tun sollen, denn der Vogel war, wie sich herausstellte, von sehr zänkischer Natur. Immanuel musste ihn den ganzen Tag festhalten, und der Schlingel zerkratzte ihm mit dem Schnabel und den Krallen die Hände. Aber mein Begleiter ertrug das alles ohne Murren und redete dem rot gefiederten Räuber nur immer wieder gut zu. Leider war der Hahn für die Worte des Wunderpredigers nicht so empfänglich wie gewöhnliche notorische Bösewichter.

Apropos, da wir gerade bei Bösewichtern sind. Einmal spürte ich in der Menge auf der Straße einen Blick im Rücken. Ich drehte mich schnell um und erkannte den rundgesichtigen Mörder namens Jascha. Er versteckte sich schnell hinter einer Häuserecke, aber ich hatte ihn trotzdem bemerkt.

Ich wollte Immanuel am Ärmel fassen und mit ihm weglaufen, um ihn vor der Gefahr zu bewahren, aber da erschien das runde Gesicht wieder hinter der Häuserwand, und der Finsterling legte den Finger auf die Lippen.

Da erinnerte ich mich an Trofim Dubenko und beruhigte mich. Na gut, dann hat Immanuel eben nicht nur einen Beschützer, sondern zwei.

Ach, Eminenz, was war das für ein wunderschöner Tag! Wäre da nur nicht dieser verflixte Hahn gewesen, der uns mit seinen Streichen den letzten Nerv raubte! Wir hätten ihn nicht früh am Morgen kaufen sollen, sondern erst abends, und wir hätten einen mit friedlicherem Charakter nehmen sollen.

Wir sprachen über die unterschiedlichsten Dinge, es ist an dieser Stelle unmöglich, alles zu erzählen. Ich gebe Ihnen nur einige seiner Ansichten wieder, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Es ist außerordentlich interessant, Immanuel zuzuhören, viele seiner Gedanken sind sehr ungewöhnlich, manchmal sogar paradox. Er ist ein Mensch, der nicht die geringste Scheinheiligkeit in sich trägt, was für einen Prediger ja durchaus ungewöhnlich ist. Einmal, zum Beispiel, als wir an den Straßenmädchen vorbeikamen, die Abends am Zions-Tor ihrem Gewerbe nachgehen, begann er mit mir ein Gespräch über die körperliche Liebe, obwohl er doch wusste, dass ich Nonne bin. Er sagte: In den Zärtlichkeiten des Fleisches gibt es keine Sünde, im Gegenteil, derjenige begeht eine Sünde gegen Gott, der sein Fleisch mit Enthaltsamkeit austrocknet. Nur soll man dieses Sakrament der Freude nicht entweihen und beschmutzen, indem man es für ein paar Kupfermünzen eintauscht. Das ist dasselbe, wie wenn man der anderen Sakramente spottete – der Sakramente der Geburt oder des Todes. Und dann machte er sich unverzüglich daran, den Jerusalemer Straßenmädchen seine Überzeugung nahe zu bringen, dass sie Gottes Sakrament nicht beschmutzen sollten. Mit Müh und Not konnte ich ihn vor den erbosten Mädchen, die ihn am liebsten verprügelt hätten, in Sicherheit bringen.

Ein Thema gab es, das ich zu meiden suchte, um ihn nicht erneut auf seine fixe Idee zu bringen: Jesus Christus. Aber es ergab sich, dass wir auf der Via Dolorosa stehen blieben, um Wasser zu trinken, gleich neben einem Standbild des Herrn, der unter dem Gewicht des Kreuzes sich beugte. Immanuel sah die Statue lange an, gleichsam, als wollte er sie sich auf den Leib messen, und dann wandte er sich plötzlich um und sagte: »Weißt du, du bist nicht die Erste, die mich erkannt hat. Es gab jemanden vor dir – der Prokurator.«

Es geht schon wieder los, seufzte ich im Stillen, aber ich nahm mein Los auf mich und fragte geduldig: »Vor zweitausend Jahren?« »Nein, vor drei Monaten, in Sankt Petersburg.«

Ich werde versuchen, das, was er mir dann erzählte, möglichst genau wiederzugeben, weil Sie zweifellos verstehen, wer damit gemeint war.

»Der Prokurator rief mich zu sich und sprach lange mit mir über Gott und die Kirche und alle möglichen anderen Themen.