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Nachdem er die Untersuchung der Kleidung beendet hatte, schaute sich Dolinin um und nickte zufrieden vor sich hin.

»Tja, in der Kabine wäre das so weit alles, jetzt sehen wir uns mal die nähere Umgebung an. Und den Anfang, meine Liebe, machen wir mit der Frage, auf welche Art und Weise man sich Zugang zur Kabine verschafft hat.«

Er begann an der Tür herumzuhantieren, schraubte eigenhändig das Schloss ab und zog es heraus. Dann untersuchte er es durch eine Lupe.

»Kratzspuren«, schnurrte Sergej Sergejewitsch. »Und zwar ziemlich frische. Möglicherweise ein Dietrich . . . Oder vielleicht ein neuer Schlüssel? Nun, das werden wir herausfinden.«

Dann wandte er sich dem Fenster zu. Irgendetwas hatte dort sein Interesse erregt: Er kniete sich auf den Tisch und steckte den Kopf durch die Öffnung. Im nächsten Moment streckte er seine Hand nach hinten aus und schnippte ungeduldig mit den Fingern:

»Eine Lampe, schnell, ich brauche eine Lampe!«

Der Kapitän und der Polizeichef sprangen diensteifrig vor, der Erstere mit einer Kerosinlampe in der ausgestreckten Hand, der Zweite mit einer kleinen elektrischen Leuchte. Dolinin gab dem Fortschritt den Vorzug.

Während er den elektrischen Lichtstrahl über die Nut des Fensterrahmens gleiten ließ, sagte er gedehnt: »Tss, alles klar, das war eine Zwacke. Sehen Sie, verehrte Schwester, da haben Sie die Lösung unseres Rätsels.«

Pelagia sah sich den Fensterrahmen an, konnte aber nichts Bemerkenswertes erkennen.

»Wie kann man da nichts sehen!«, wunderte sich Sergej Sergejewitsch. »Die Schrauben wurden herausgedreht. Und hier sind Ölspuren. Da war ein Rasin am Werk, das ist exakt ihre Handschrift.«

Und sogleich klärte er Pelagia darüber auf, was ein Rasin ist, denn obwohl sie doch am Fluss lebte, hatte sie von diesen Leuten noch nie etwas gehört.

»Das Bild klärt sich«, verkündete der Untersuchungsführer mit zufriedenem Gesicht. »Das Werk lobt den Meister, wie man sagt. Manuila ist offenbar aufgewacht, als der Dieb gerade die Schatulle unter ihm hervorzog. Es kam zu einem Kampf. Die Rasins bringen normalerweise niemanden um die Ecke, aber diesem muss wohl das viele Geld den Kopf verdreht haben, oder er hat einfach Angst bekommen und zugeschlagen.«

Poch, poch, klopfte es an der Tür. Ein Kopf mit Schirmmütze sah herein.

»Eure Exzellenz, das da haben wir an Deck gefunden. Es lag an der Reling.«

Sergej Sergejewitsch nahm dem Polizisten einen Leinenbeutel mit einer zerrissenen Kordel aus der Hand und begann darin herumzukramen. Nacheinander kamen zum Vorschein: eine Brille mit Goldrahmen, eine Porzellanpfeife, ein Meterstab und ein Kautschukball. Die Stirn des Untersuchungsführers legte sich in nachdenkliche Falten, aber im nächsten Moment glättete sie sich schon wieder.

»Natürlich, das ist ein Beutesack«, verkündete der Meister der Spürkunst. »In solch einem Sack verstauen die Rasins ihr Diebesgut. Na also, da haben Sie ja schon die Bestätigung meiner Hypothese!«

»Und warum hat ihn der Dieb dann weggeworfen?«, fragte Pelagia.

Dolinin zuckte mit den Achseln.

»Was sollte er noch mit dem Plunder, nachdem ihm so ein dicker Fisch ins Netz gegangen war. Der Sack hat ihn gestört, also weg damit. Außerdem wird er reichlich durcheinander gewesen sein, schließlich hatte er gerade jemanden ermordet. So was macht ein Rasin auch nicht alle Tage.«

Alles passte zusammen. Pelagia war von der Findigkeit des Petersburgers zutiefst beeindruckt. Aber ihr Verstand war schon ein paar Schritte weiter.

»Wie kann man herausfinden, wer von den Passagieren ein Rasin ist? Haben sie irgendwelche besonderen Merkmale?«

Sergej Sergejewitsch lächelte nachsichtig.

»Wenn es ein Rasin war – und das dürfte jetzt außer Zweifel stehen dann ist er längst über alle Berge.«

»Aber wo soll er denn hin sein? Es konnte doch niemand von Bord gehen. Die ›Stör‹ hat nirgendwo angelegt.«

»Na und? Einem Rasin macht kaltes Wasser nichts aus, so einer schwimmt wie eine Wasserratte. Der lässt sich einfach an der Ankerkette runter, und weg ist er. Möglicherweise ist er auch sofort nach dem Mord über Bord gesprungen. Wie dem auch sei, verehrte junge Schwester, alles Weitere ist nur noch eine Frage der Zeit. Ich werde eine Anfrage an alle Dienststellen am Fluss rausschicken. Den haben wir in null Komma nichts am Schlafittchen . . . Was gibt es da zu gucken?«

Während sie Dolinin zuhörte, trat die Nonne zum Diwan und berührte vorsichtig das Kissen.

»Das passt nicht zusammen«, sagte sie nachdenklich, über den Bezug gebeugt. »Das passt überhaupt nicht zusammen.«

»Was soll nicht zusammenpassen?«, fragte der Untersuchungsführer unwirsch. »Nun reden Sie schon.«

»Ihre Lösung des ›Rätsels‹ geht nicht auf. Es hat keinen Kampf gegeben, das Opfer hat sich nicht gewehrt. Er wurde im Bett erschlagen. Sehen Sie mal«, sagte Pelagia, »hier auf dem Kissen ist der Abdruck seines Gesichts. Folglich muss Manuila in dem Moment, als der Schlag ihn getroffen hat, mit dem Gesicht nach unten im Bett gelegen haben. Um den Abdruck herum sind Blutstropfen, und zwar ovale. Das bedeutet, das Blut ist von oben nach unten geflossen. Hätte er sich bewegt oder den Kopf gehoben, dann wären die Tropfen länglicher.«

Sergej Sergejewitsch murmelte irritiert:

»Das stimmt allerdings . . . Und die Blutspuren auf dem Gesicht verlaufen vom Schädel zur Nase. Sie haben Recht. Ich muss zugeben, ich habe gepfuscht. Allerdings stellt sich jetzt die Frage, wie die Leiche dann auf dem Fußboden liegen konnte, noch dazu in dieser Haltung?«

»Der Mörder muss ihn vom Diwan heruntergezerrt haben. Dann hat er ihm das Hemd hochgeschoben und den abgerissenen Geldschein in die Hand gesteckt. Das ist die einzig mögliche Erklärung. Warum er das getan hat, darüber möchte ich keine Vermutung anstellen.«

Der Untersuchungsführer starrte die Ordensschwester verblüfft an, schwieg einen Moment und schüttelte dann den Kopf.

»Nein, das ist völliger Unsinn, Sie irren sich, Schwester. Ich denke, es war ganz anders. Sie haben keine Vorstellung davon, wie zäh diese so genannten ›Propheten‹ und ihresgleichen sind. Das sind Besessene, in denen steckt eine wahrhaft teuflische Energie, die sind nicht so einfach totzukriegen. Ich hatte mal einen Fall, noch während meiner Zeit als Untersuchungsführer am Gericht. Damals leitete ich die Untersuchung eines Mordes an einem Propheten der Skopzen-Sekte. Seine Jünger hatten ihm mit einem Beil den Kopf fast vollständig von den Schultern gesäbelt, er hing nur noch an einem Stück Haut. Und der Prophet, stellen Sie sich vor, raste noch eine ganze Minute lang durchs Zimmer und ruderte mit den Armen. Das Blut sprudelt wie eine Fontäne aus ihm heraus, der Kopf baumelt ihm auf dem Buckel wie ein Rucksack, und er rennt durch die Gegend. Wie finden Sie das? Und mit unserem Manuila war es bestimmt genauso. Der Rasin dachte, er sei mausetot, und fängt schon mal an, die Scheine zu zählen. Und auf einmal kommt der Tote noch mal zu sich, geht auf den Einbrecher los und will das Geld wiederhaben.«

»Mit so einem Loch im Schädel?«, warf der Arzt zweifelnd ein. »Das Kleinhirn war verletzt! Aber wer weiß, was es alles geben kann . . . Die Physiologie der prämortalen Konvulsionen ist wissenschaftlich noch kaum erforscht.«