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Gründe, die in irgendeiner Beziehung zu der Ermittlung standen, berührte sie mit keinem Wort. Als Hauptargument führte sie die Gefahr an, die Dolinins Expedition für die Sawolshsker Eparchie heraufbeschwören könnte.

»Wenn es sich bestätigt, dass der sektiererische Prophet aus unserer Eparchie stammt, wäre das Wasser auf die Mühlen von Konstantin Petrowitsch«, sagte die Schwester. »Die Geschichte wird doch in allen Zeitungen stehen, und Sawolshsk wird auf jeden Fall erwähnt werden. Im Synod wird man dann sagen: Gut hat er das gemacht, der Bischof von Sawolshsk, hat diese Schlange fein an seinem Busen genährt. Ihre Lage ist ohnedies schon reichlich prekär.«

»Ich klebe nicht um jeden Preis an meiner Kanzel«, brummte Mitrofani mit finsterer Mine.

»Das weiß ich. Aber es geht nicht nur um Sie, sondern auch um uns. Wen wird uns der Oberprokuror an Ihrer Stelle schicken? Ganz bestimmt einen von seinen Schützlingen, irgendeinen Eiferer und Inquisitor. Dann ist es vorbei mit der Ruhe und dem Frieden in Sawolshsk.«

Und dann bewies sie des Langen und des Breiten, wie wichtig es sei, dass gerade sie bei der Identifizierung des Propheten durch den hohen Petersburger Beamten dabei sei, jemand, der auf Mitrofanis Seite stand, damit sie, falls die Sache einen ungünstigen Verlauf nähme, Präventivmaßnahmen ergreifen könne. Und überdies sei es auch nicht undenkbar, dass sie, da sich doch das Verhältnis zwischen Herrn Dolinin und ihr aufs Freundschaftlichste gestaltet habe, möglicherweise auf Inhalt und Ton der Relation, die der Untersuchungsführer nach Petersburg schicken werde, günstigen Einfluss werde nehmen können.

Der Bischof hörte seiner geistlichen Tochter aufmerksam zu und gab mit einem Nicken zu erkennen, dass ihm ihre Argumente einleuchteten. Dann sagte er lange nichts mehr. Als er schließlich den Mund wieder auftat, sprach er über etwas ganz anderes.

»Vielleicht hat Pobedin ja Recht, vielleicht solltest du wirklich keine Nonne sein«, sagte der Bischof nachdenklich. »Warte, reg dich nicht auf. Wir haben zusammen viel über den Sinn und die Bestimmung des irdischen Lebens nachgedacht, und eigentlich waren wir beide zu dem Ergebnis gekommen, dass die vornehmste Pflicht jedes Menschen vor Gott darin besteht, sich selbst zu finden, seinen eigenen Weg, und sein eigenes Schicksal zu leben, nicht das eines anderen. Du selbst hast einmal gesagt, das größte Unglück der menschlichen Gattung rühre daher, dass neunhundertneunundneunzig von tausend Menschen sterben, ohne sich selber erkannt zu haben, und ihr ganzes Leben lang versäumen, das ihre zu tun. Und ich glaube auch, dass Gott genau dies von uns erwartet – den eigenen Weg zu finden und ihn bis zum Ende zu gehen. Nehmen wir zum Beispiel dich. Du weißt genauso gut wie ich, dass es deine Bestimmung ist, menschliche Geheimnisse zu entschlüsseln. Aber du, Pelagia, tust etwas ganz anderes. Mag auch die Aufgabe einer Nonne – für die Seelen der Sünder zu Gott zu beten – die allerehrwürdigste sein, so bleibt doch die Frage, ob du dir nicht eine Sünde auflädst, indem du nicht dein Leben lebst, indem du das Talent, das Gott dir gegeben hat, missachtest! Denn das ist eine schwere, schwere Sünde, das ist das betrüblichste aller Verbrechen, die ein Mensch gegen Gott und sich selber begehen kann. Verstehst du, was ich meine?«

»Doch, ich verstehe es«, antwortete die Nonne mit bebender Stimme. »Sie wollen damit sagen, mir fehle die Befähigung zum Nonnendienst und mein Platz sei nicht in einer Klosterzelle, sondern in der Welt. Sie glauben, dort sei mein Nutzen für Gott und die Menschen größer.«

Sie senkte den Kopf, damit der Bischof nicht sah, wie ihr die Tränen in die Augen traten. Unversehens war das Gespräch vom männlichen in den weiblichen Modus gekippt, welcher Tränen und flehentliches Bitten verhieß.

»Es mag durchaus sein, Eminenz, dass dem so ist. Aber haben Sie denn vergessen« – hier hob Pelagia das Gesicht und sah Mitrofani mit hell glänzenden Augen an – »dass ich den Schleier nicht aus Frömmigkeit heraus genommen habe, und nicht aus geistlicher Kraft, sondern weil ich am Rande des Abgrunds stand, der mich unaufhaltsam hinabzog, und ich schon kurz davor war . . .«

Die Stimme versagte ihr, sie brachte den Satz nicht zu Ende.

Damit war das logische Gespräch leider schmählich gescheitert.

»Ich weiß es noch«, sagte der Bischof. »Ein tiefer Kummer hielt dich umfangen, eine selbstzerstörerische Verzweiflung.«

»Aber ich hatte Glück. Der Herrgott hat Sie zu mir gesandt. Und Sie haben gesagt: ›Wenn du deine Seele nicht der ewigen Verdammnis preisgeben willst, dann gibt es nur eine Rettung: Halte dich an den Himmlischen Bräutigam, er wird dich niemals im Stich lassen, denn er ist unsterbliche«

»Auch das habe ich nicht vergessen.«

»Und ich habe auf Sie gehört, ich habe das Treuegelübde abgelegt – vor Ihm. Soll ich es jetzt brechen, nur weil ich so gut Geheimnisse auflösen kann?«

»Jesus wird dich verstehen und dir vergeben.«

»Natürlich. Trotzdem darf ich Ihm das nicht antun. Denn ich bin eine Braut Christi, ich muss Ihm dienen.«

»Man kann Christus auch in der Welt dienen, ebenso gut wie im Kloster – vielleicht sogar noch besser.«

»Man kann es, ja, aber nicht mit seiner ganzen Kraft, weil man sich zerteilen muss zwischen dem irdischen Leben und der ewigen Liebe.« Pelagia trocknete sich mit einem Tuch die Augen, dann schloss sie mit fester Stimme: »Ich habe es Ihnen versprochen, und ich sage es nochmals: Es wird keine Ermittlungen mehr geben. Im Übrigen werden meine Fähigkeiten hier auch nicht benötigt. Herr Dolinin ist ein von Gott begnadeter Ermittler, mit ihm kann ich mich nicht messen.«

Mitrofani sah seine rothaarige Vertraute zweifelnd an und seufzte schwer, aber er sagte nichts mehr.

Damit entließ er sie.

Die Erzählung eines Hahnreis

Die Nachricht, dass der Bischof Pelagia seinen Segen für die Reise erteilt hatte, löste bei Dolinin nicht die erwartete Begeisterung aus. Er nahm die Mitteilung mit einem Nicken zur Kenntnis, sagte jedoch kein Wort. Nur sein Mundwinkel zuckte nervös. Dieser Herr war doch einigermaßen sonderbar.

Auch als sie dann unterwegs waren, gab er sich betont zurückhaltend. Seine Äußerungen beschränkten sich auf die notwendigsten Höflichkeitsfloskeln, ansonsten mied er jedes Gespräch und machte keinen seiner üblichen Scherze. Er war wie ausgewechselt.

Anfangs war die Nonne über dieses Betragen recht befremdet. Bekümmert fragte sie sich, ob sie ihn vielleicht auf eine unerfindliche Art und Weise beleidigt hatte. Aber dann nahm sie es, wie es war, und schrieb die mürrische Laune des Untersuchungsführers seiner hypochondrischen Natur zu.

Während der Fahrt auf dem Lastkahn, die sie zuerst einen Nebenarm des Flusses, dann einen Nebenarm des Nebenarmes entlangführte, blätterte Dolinin immerzu in seinem Notizbuch oder schrieb irgendwelche Briefe oder Relationen. Pelagia achtete geflissentlich darauf, ihm in keiner Weise lästig zu fallen. Sie beschäftigte sich mit ihrem Strickzeug – gerade hatte sie eine Weste aus Hundehaar für Mitrofani in Arbeit – oder las in den »Lebensbeschreibungen heiliger Frauen der Neuzeit«, die sie als Reiselektüre mitgenommen hatte, oder sie ließ einfach nur ihren Blick über das vorbeiziehende Ufer schweifen. Aber als sie den Lastkahn verließen und ihre Reise mit dem Fuhrwerk fortsetzten, machte das beständige Gerüttel die beiden ersteren dieser Tätigkeiten unmöglich, die dritte hingegen verlor ihren Sinn aufgrund der Beschränktheit der Aussicht: wohin man auch schaute, nichts als Bäume.

Auch jetzt verhielt sich Sergej Sergejewitsch zunächst unverändert distanziert. Von Zeit zu Zeit jedoch wandte er sich im Sattel um, als wollte er sich vergewissern, ob die Nonne immer noch auf ihrem Platz saß und zwischenzeitlich nicht etwa vom Kutschbock gefallen war.