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»Wie soll denn ein Tatar vom Heiligen Land kakeln, wo er ja kein Wort nich in unsre Sprache vernünftich rauskricht.«

»Heißt das, er konnte überhaupt nicht sprechen?« »Mhmhm.«

Einer der Männer (nicht Donka, sondern der andere) sagte:

»Der und die Dummka, weißte noch? Sie brummt, und er grunzt, du lachst dich krupich. ›Die Dummka‹, sacht der Ochrim, ›hat sich ‚nen Bräutigam gefunden. Das gibt eine Familie – ein Dussel und ein Dummchen.‹«

Und er strich sich mit der Hand über den Bart, was in Stroganowka wohl das äußerste Maß an Leichtsinn bedeutete, denn der Dorfälteste wies den Spaßvogel zurecht:

»Grins nich so glösich. Hast du vergessen, was dann passiert is?«

»Und was ist dann passiert?«, fragte Dolinin sofort.

Die Stroganowkaer wechselten verstohlene Blicke.

»Wir haben den Tataren weggejagt«, sagte der Dorfälteste. »Feste forwalkuult und forrtobackt und baarchdaal inne Güllekule und dann büllen ferjachtert.«

»Was haben sie gemacht?«, Sergej Sergejewitsch sah die Nonne hilflos an.

»Sie haben ihn halb tot geschlagen, in eine Jauchegrube getaucht und aus dem Dorf gejagt«, erklärte sie.

»Weshalb denn?«, fragte Dolinin, das Gesicht ob der rauen örtlichen Sitten despektierlich verzogen.

»Man hätt ihm ’n Kopp einschlagen solln, dem Lodderbatz«, sagte der Dorfälteste böse. »Oder ihm sein Snippel, sein tatarischen, abreißen. Dummka, das arme Jössel, is ihm nachgelaufen wie ’ne Hündin, und er hat se wohl beschmuddein wollen. So ein Herodes. Zwei Tage hat die Dummka gelegen un kein Mucks gemacht.«

Sergej Sergejewitsch runzelte die Stirn.

»Und was war mit Scheluchin?«

»Der ist hinter seim Tataren her in den Wald gelaufen. Als wir diesen Hurensohn verdemst ham, is Petka auf die Männer los, er wollt nich, dass man seim ›großen Bruder‹ die Leviten lernt. Tchoch, hamwa eben dem Petka auch sein Nüssel verdütscht. Und als wir den Tataren in den Wald gejachtert ham, hat der Petka sein Bündel geschnürt und is hinterher. ›Er kommt um da im Wald!‹, schreit er. ›Er is ’n Gottesmann!‹ Und den Petka hamwa nich mehr wiedergesehen, bis heut nich.«

»Aber sag mal, Großvater, in welche Richtung ist der Tatar denn von hier weggegangen? Richtung Sonnenuntergang oder Sonnenaufgang, oder Richtung Norden, nein, wie heißt das, gen Mitternacht?«, fragte Dolinin.

Pelagia stand leise auf und ging zur Tür.

Dafür gab es zwei Gründe. Erstens schien sich Sergej Sergejewitsch inzwischen mit der örtlichen Idiomatik besser zurechtzufinden. Den zweiten Grund stellte die Tür selber dar, die sich sehr wunderlich gebärdete – mal ging sie einen Spaltbreit auf, mal wieder zu – dabei rührte sich nicht der leiseste Windhauch.

Pelagia schlüpfte in die schummerige Diele hinaus und sah sich aufmerksam um. In einer Ecke, hinter einer Truhe, bemerkte sie einen Schatten.

Sie ging hin und hockte sich davor.

»Komm raus, hab keine Angst!«

Ein wirrer Haarschopf kam hinter der Truhe zum Vorschein, und ein weit geöffnetes Augenpaar leuchtete in der Dunkelheit.

»Na, versteckst du dich?«, sprach Pelagia das Dummchen mit sanfter Stimme an. »Warum hast du denn gelauscht?«

Das Mädchen reckte sich zu seiner vollen, nicht allzu beträchtlichen Größe auf und schaute die in der Hocke sitzende Nonne von oben herab an.

War sie wirklich so ein Dummchen?, fragte sich Pelagia zweifelnd, als sie der kleinen Wilden in die Augen sah.

»Möchtest du mich etwas fragen? Hast du einen Wunsch? Sag ’s mir, zeig es mir, mit den Händen, oder wie du willst. Ich verstehe dich schon, und ich sage es niemandem weiter.«

Dummka stieß der Schwester mit dem Finger gegen die Brust, dorthin, wo ein kleines, kupfernes Walaam-Kreuz hing.

»Du möchtest, dass ich’s schwöre?«, erriet Pelagia. »Ich schwöre dir bei Gott dem Herrn, dass ich niemandem etwas erzähle.«

Und sie wappnete sich schon innerlich für die schwierige Aufgabe, das Gebrumme und Gestikuliere des armen Geschöpfes zu enträtseln.

Aus der Stube klang das Geräusch von Schritten – jemand kam zur Tür.

»Komm zur Mühle«, flüsterte die Stumme plötzlich.

Dann huschte sie flink wie ein Mäuschen über die Diele und verschwand durch die Haustür nach draußen.

Im selben Augenblick flog die Stubentür sperrangelweit auf, und Sergej Sergejewitsch erschien auf der Schwelle.

Auf Pelagias Gesicht stand noch der Ausdruck der Überraschung, aber er deutete ihre hochgezogenen Augenbrauen in seinem Sinn.

»Ein schöner Halunke, wie?«, knurrte er grimmig. »Da haben Sie das ganze Geheimnis seiner Unsterblichkeit: Er lässt einfach andere ihre Haut für sich zu Markte tragen. Verstehen Sie jetzt, warum die ›Findelkinder‹ kein Verlangen danach hatten, der Leiche ihres Propheten das letzte Geleit zu geben? Diese Gauner wussten ganz genau, dass es nicht den Propheten erwischt hat, sondern einen Popanz.«

»Deshalb haben sie auch, als der Mord entdeckt wurde, viel mehr über ihren verlorenen Schatz geklagt«, erinnerte sich Pelagia. »Ich hätte dem damals mehr Aufmerksamkeit schenken sollen.«

»Also gut, fassen wir zusammen?«, fragte Dolinin munter, als sie auf die Vortreppe hinaustraten. »Ich denke, das Bild gestaltet sich folgendermaßen: Manuila hat seinen ›kleinen Brüder Pjotr Scheluchin damit betraut, während der Reise auf den ›Schatz‹ Acht zu geben. Ganz offensichtlich hatte er damit gerechnet, dass es eine Jagd auf das Geld geben könnte, und er wollte, wie gesagt, seine kostbare Haut nicht riskieren.«

»Ich glaube eher, dass man nicht hinter dem Geld her war, sondern hinter Manuila.«

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte der Untersuchungsführer rasch und sah Pelagia mit zusammengekniffenen Augen an.

Die Geschichte mit Dummka hatte die Nonne ein wenig verwirrt, und aus diesem Grunde mochte sie wohl ihr Gelöbnis, sich in keine kriminalistischen Deduktionen mehr einzulassen, für einen Moment vergessen haben.

»Sie haben doch selber erzählt, dass es schon einmal einen Anschlag auf ihn gegeben hat. Wurde damals denn etwa auch Geld gestohlen?«

»Nein, nicht dass ich wüsste.«

»Sehen Sie. Es geht um Manuila selbst. Der Mord auf dem Dampfer war kein unglücklicher Zufall, und es war auch kein Rasin, der ihn begangen hat. Dieser Gauner von Manuila ist irgendjemandem ein gehöriger Dorn im Auge.«

»Und wem?«

Dolinins Gesicht wurde immer ernster, und Pelagia – warum soll man es verheimlichen – fühlte sich von seiner Aufmerksamkeit geschmeichelt.

»Es gibt nicht allzu viele Möglichkeiten. Erstens . . .«, begann sie, aber plötzlich stockte sie und biss sich auf die Zunge – jetzt war ihr doch wieder eingefallen, was sie vor kurzem gelobt hatte. »Nein, nein! Ich werde dazu überhaupt nichts sagen. Und versuchen Sie nicht, mich zu überreden! Ich habe es versprochen. Sie sind sehr klug und werden die Lösung ganz bestimmt alleine finden.«

Sergej Sergejewitsch brummte spöttisch:

»Man kann dem Verstand nicht befehlen, stillzustehen, da kann man versprechen, so viel man will. Schon gar nicht einem so scharfen Verstand wie dem Ihren . . . Na gut, wie Sie wollen. Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen, können Sie mir Ihre ›Möglichkeiten‹ ja noch auf der Rückreise auseinander setzen. Hier gibt es für uns nichts mehr zu tun. Der Prophet ist offenbar quicklebendig, wir werden also ein Dementi bezüglich seines Ablebens an die Presse geben müssen. Das ist natürlich eine großartige Werbung für Manuila! Mal wird er umgebracht, mal wird er wieder lebendig.«

Er spuckte vor Verdruss – nicht richtig natürlich, er war ja schließlich ein intelligenter Mensch, sondern nur symbolisch – das heißt, er sagte »Pfui!«

»Es gibt keinen Grund, hier weiter unsere Zeit zu vertrödeln, wir reisen noch heute ab.«

»So kurz vor Einbruch der Nacht?« Pelagia, die gerade versuchte, sich in den mondbeschienenen Sträßchen Stroganowkas zu orientieren, fuhr erschrocken auf. »Wo ist denn hier bloß die Mühle?«