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Den Gockel durfte Dummka behalten, der Höhlenmann machte ihr Zeichen: Nimm ihn dir. Ein Prachtgockel war das, mit knallrotem Gefieder, kein Vergleich mit denen im Dorf. Omelchen und Dummka haben ihn dann immer an die Leute ausgeliehen, damit er ihre Hennen besteigt, für fünf Eier pro Henne. Davon lebten sie in Saus und Braus. Der Gockel begründete in Stroganowka den Stamm der »Jiperichen« (die immerzu auf die Hennen wollen). Aber nach einem Jahr haben ihn die Nachbarhähne totgehackt – er war ein zu großer Raufbold.

Als Dummka zu Ende erzählt hatte, begann Pelagia, sie über Manuila auszufragen: Was für ein Mensch er gewesen sei, wie er sich verhalten habe, ob er vielleicht irgendjemandem Böses getan habe. Sie dachte an die Schilderung der MänneJaël deren Erklärung, warum sie den Möchtegern-Propheten davongejagt hatten, ergab für sie keinen Sinn: Wenn das stimmte, warum machte sich Dummka dann solche Sorgen um diesen »Loderbatz«?

Das Mädchen selber sagte kein böses Wort über ihren vermeintlichen Schänder, im Gegenteil. Wenn die Rede auf ihn kam, nahm ihre Stimme einen schwärmerischen, sogar zärtlichen Klang an. Für sie war die Begegnung mit dem »wilden Tataren« offenbar das wichtigste Ereignis in ihrem jungen, armseligen Leben.

Er ist gut, sagte Dummka. Man kann gut mit ihm »gesprächern«.

»Aber wie konntet ihr denn miteinander sprechen?«, platzte Pelagia heraus. »Du warst stumm, und er konnte doch angeblich auch nicht richtig sprechen?«

Oder hat er vor den Männern nur so getan?, dachte sie bei sich.

»Wir haben gesprächert«, wiederholte Dummka eigensinnig. »Man versteht nicht die Worte, aber trotzdem alles.«

»Was hat er dir denn erzählt?«

»Ganz viel«, antwortete das Mädchen und schaute zum Himmel empor, zum Mond. Auf ihrem Gesicht lag ein seltsames, zartes, ganz und gar unkindliches Lächeln. »Ich war ja noch ganz klein, ganz dumm. Ich wollt immer betteln: ›Geh nicht weg, bleib bei Omelchen und mir‹, aber es kam bloß immer ›Mäh, Mäh‹ und ›Muh, Muh‹.«

»Und wann hast du gelernt zu sprechen?«

»Der Manuel hat mich geheilt. Er hat zu mir gesagt: ›Mädel, du wollst nich sprechen, weil du keinen hattest, mit wem und nich über was. Aber mit mir kannst du.‹«

»Und das hat er alles ohne Worte zu dir gesagt?«, fragte Pelagia ungläubig.

Dummka überlegte.

»Das weiß ich nicht mehr. Er hat mich zum Fluss gebracht und gesagt, ich soll mich nackt ausklatern (ausziehen). Dann hat er mir Wasser über den Kopp gegossen und die Schultern gestreichelt. Das war schön! Und dann hat er einen Spruch aufgesagt, einen Zauberspruch. Aber Wanjatka, der Müller, hat uns gesehen und ist gelaufen und hat die Männer geholt. Die kamen alle angerannt und sind auf ihn los, auf den Amanuel, und haben ihn ferwimst und an den Haaren geschleift und ferklautscht! Ich habe immer geschrien: ›Rührt ihn nicht an! Rührt ihn nicht an!‹, ganz richtig, mit Worten, aber niemand hat mich gehört, weil alle so laut geschrien ham. Und ich war so forstrutt (erschrocken), dass ich mit Worten schreien kann, da bin ich ohnmächtig umgefallen und liegen geblieben, einen Tag und noch einen Tag. Und als ich wieder aufgewacht bin, da hatten sie ihn schon weggejagt . . . Ich wollte ihm nachlaufen, ins Gelobte Land. Der Amanuel ist da nämlich geboren.«

»Im Gelobten Land? Woher weißt du das?«

»Ja, wo denn sonst?«, fragte Dummka verwundert. »Und er hat’s doch auch selber gesagt. Ich wollte ihm nachlaufen. Aber er hat es nicht erlaubt. Immerzu hab ich gebettelt – ›nimm mich mit, nimm mich mit‹, mit ›muh, muh‹ und ›mäh, mäh‹. Ich hatte Angst, dass er mich nicht versteht, weil mich ja sonst nur Omelchen verstanden hat. Aber er hat mich verstanden. ›Du kannst noch nicht ins Gelobte Lands hat er gesagt. ›Was soll denn das Omelchen ohne dich machen? Aber wenn Gott dich freigibt, dann komm zu mir. Ich warte auf dich.‹«

Erst jetzt, mit großer Verspätung, ging Pelagia auf, dass das Mädchen ihr einen Bären aufband oder, netter gesagt, fantasierte. Es hatte sich ein Märchen ausgedacht und ergötzte sich daran. Aber andererseits, was hatte das arme Ding denn sonst schon, woran es sich ergötzen konnte?

Pelagia strich Dummka über den Kopf.

»Warum redest du denn nicht? Im Dorf denken sie, du seist stumm und nicht richtig im Kopf, dabei bist du so ein gescheites Mädchen. Sprich mit den Leuten, dann wird man dich auch anders behandeln.«

»Mit wem soll ich denn gesprächern?«, schnaubte Dummka. »Und über was denn? Ich sprächer bloß mit Omelchen, und nur ganz leise. Jeden Abend. Ich erzähl ihr dann von Amanuel, und sie hört zu. Antworten kann sie ja nicht. Als ich klein war, hat Omelchen immerzu mit mir gesprochen, und ich Dummchen habe nur muh, muh gemacht. Jetzt ist es umgekehrt. Ich sprächer, und Omelchen macht muh, muh. Ihr geht es ganz schlecht, sie stirbt bald. Ich begrabe sie, und dann bin ich frei und gehe zu Amanuel ins Gelobte Land. Aber erst muss ich noch wachsen und eine Jungfrau werden. Weil, was soll er mit einem kleinen Mädchen? Ein Jahr oder so muss ich noch warten. Guck mal«, sagte Dummka plötzlich stolz, knöpfte ihr zerrissenes Kleid auf und zeigte ihre Brüste, die gerade erst anzuschwellen begannen: Zuerst die eine und dann die andere. »Siehst du? Bin ich bald eine Jungfrau?«

»Bestimmt«, seufzte Pelagia.

Beide schwiegen, jede mit ihren Gedanken beschäftigt.

»Hör mal«, sagte die Nonne. »Könntest du mir nicht diese Höhle zeigen? Wo du Manuel gefunden hast?«

Dummka war sofort einverstanden. »Klar! Komm wieder zur Mühle, wenn die Hähne zum zweiten Mal krähen, dann bringe ich dich hin.«

Ein peinlicher Traum

Bis zum ersten Hahnenschrei, der dem Gesetz der Natur zufolge den Sonnenaufgang ankündigt, war es noch weit, wohl fünf oder sechs Stunden, also musste sich Pelagia um einen Platz für die Nacht kümmern.

Sie ging zurück zum Gemeindehaus, um. den Dorfältesten zu fragen, wo sie übernachten könne.

Die Fenster waren erleuchtet, und bevor sie eintrat, warf sie einen Blick ins Innere des Hauses.

Der Dorfälteste war nicht in der Stube. An dem grob gezimmerten Holztisch saß einsam Sergej Sergejewitsch, die übrigen Teilnehmer der Expedition hatten sich auf den Bänken ausgestreckt, die ringsum an den Wänden standen.

Also war die Kate dem Untersuchungsführer und seiner Mannschaft als Unterkunft für die Nacht zugeteilt worden.

Wo hätte man sie auch sonst unterbringen sollen? Wo sollte man in Stroganowka auf die Schnelle ein Gasthaus hernehmen?

Lange stand die Schwester reglos am Fenster und betrachtete Sergej Sergejewitsch.

Ach, wie anders war sein Gesicht, wenn er glaubte, dass niemand ihn ansah! Keine Spur mehr von Spott und Unnahbarkeit.

Dolinins Stirn war von tiefen Furchen durchzogen, und um seinen Mund lag eine tragische Falte. Die Augen jedoch glänzten verdächtig hell – doch nicht von Tränen?

Plötzlich ließ Sergej Sergejewitsch seinen Kopf auf die gekreuzten Arme sinken, und seine Schultern begannen zu beben.

Er tat ihr so unsäglich Leid. Was für eine Last dieser Mensch auf seinen Schultern trug, und er beugte sich nicht, er zerbrach nicht.

Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass sie diesen dunkelblonden Kopf schrecklich gern an ihre Brust drücken wollte und seine arme, gequälte Stirn streicheln, ihm die Tränen von den Wimpern streifen.

Ist das wirklich nur Mitleid?, dachte sie erschrocken. Und wenn nicht?

Wenn sie ganz offen und ehrlich mit sich war, konnte sie dann wirklich sagen, dass sie nur wegen der Ermittlung, nur um Mitrofanis Interessen zu wahren, so schnell eingewilligt hatte, mit Dolinin nach Stroganowka zu fahren?

Nein, meine Liebe, dir hat der Petersburger Meisterermittler gefallen, das war ’s. Und außerdem hast du gespürt, du Sünderin, dass du ihm auch gefällst. Deshalb wolltest du noch eine Weile in seiner Nähe sein. Oder etwa nicht?