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So sieht er also aus, der Tod, dachte Pelagia schaudernd. Er hat kein Gesicht und lacht dich leise aus.

»Woher . . . woher wissen Sie, dass ich die Sohle abgezeichnet habe?«, flüsterte die Nonne.

Wieder lachte er.

»Du bist ja ganz schön neugierig! Bald wirst du alles wissen. Da oben.« Und er zeigte mit dem Finger zur Decke.

»Wo?«, fragte sie verständnislos.

Das erheiterte ihn noch mehr.

»Wo, wo, fragt sie! Na, im Jenseits. Wo alle irdischen Rätsel aufgelöst werden.«

»Warum wollen Sie mich töten?«, fragte die Nonne sanft. »Was habe ich Ihnen getan?«

»Du selber gar nichts, dein Köpfchen hat mir was getan«, sagte der frivole Leichtfuß von Mörder und tippte ihr an die Stirn. »Aber das werde ich dir gleich ausleeren und dein freches Hirn rausholen. Ich bin neugierig zu sehen, was das für ein Gericht gibt – Miezenhirn.«

Unwillkürlich schielte Pelagia zu dem Regal, auf dem die Scherben des zerschlagenen Kruges lagen. Glasauge bemerkte diese Bewegung und wollte beinahe platzen vor Lachen, so wie manchmal die Mädchen in Pelagias Unterricht, wenn eine von ihnen aus irgendeinem albernen Grund anfängt zu gickern und dann die ganze Klasse damit ansteckt.

Die Nonne presste krampfhaft die Hände an die Brust.

Irgendetwas piekste ihr in die Handfläche.

Die Stricknadeln! Wie üblich trug die Schwester den Beutel mit ihren Stricksachen um den Hals. Eine fürwahr kümmerliche Waffe, so ein Paar Stricknadeln, aber wenn man nichts anderes hat? Immerhin hatten die beiden Stahlspieße ihrer Besitzerin schon des Öfteren aus der Klemme geholfen, in nicht weniger ausweglosen Situationen als dieser.

Pelagia riss sich den Beutel vom Hals und presste ihn noch fester an die Brust.

»Was hast du da, ein Gebetsbuch? Nicht doch, jetzt wird nicht gebetet, das ist mir zu langweilig. Also dann, mach’s gut, Mieze.«

Er trat einen Schritt zurück – wohl um besser Schwung holen zu können, oder vielleicht auch, um sich an der Angst seines Opfers weiden zu können – und beschrieb mit dem Gewicht einen sirrenden Kreis in der Luft.

Den zweiten Kreis wartete Pelagia nicht ab. Mit einem gellenden Schrei stieß sie die Stricknadeln direkt durch den Beutel hindurch in das einzige Auge des gemeinen Schlagetots. Im selben Moment durchfuhr sie glühend heiß der Schreck: Was, wenn ich das falsche Auge erwische?

Aber dem wilden Schrei nach zu urteilen, der den Schuppen erzittern ließ, hatte sie genau das Richtige getroffen.

Der Schrei ging in ein Stöhnen über. Der Mörder fasste sich ins Gesicht, riss aber die Hände sofort wieder weg.

Pelagia wich zurück – der Anblick ihres Atlasbeutels, der an einem menschlichen Gesicht baumelte, war kaum zu ertragen.

Sie stürzte zur Tür und versuchte, sie zu öffnen, aber der verrostete Riegel ließ sich nicht zurückschieben, sie hatte nicht genug Kraft.

Der Verletzte riss den Beutel herunter und schleuderte ihn zur Seite. Eine dunkle Masse floss über seine Wange. Er fing sie in der hohlen Hand auf und versuchte, sie in die Augenhöhle zurückzudrücken.

Pelagia kniff die Augen zu.

»Du Miststück!«, brüllte der Geblendete. »Du giftige Natter! Aber ich kriege dich trotzdem!«

Er holte wieder zum Schlage aus, die Nonne duckte sich im letzten Moment, und mit schrecklichem Pfeifen sauste das Gewicht über ihren Kopf hinweg.

Und jetzt begann in dem engen, kaum drei mal drei Klafter großen Raum ein lebhaftes Zielwerfen.

Glasauge ließ seine Waffe kreisen und schoss damit mal nach links, mal nach rechts. Das Gewicht pfiff durch die Luft, demolierte die leeren Kisten auf den Regalen, krachte gegen die Bretterwände, brach den Stiel einer Heugabel entzwei.

Aber jedes Mal duckte sich die Nonne und warf sich geschickt von einer Ecke in die andere. Nur einmal ging der Mörder ebenfalls in die Hocke und versuchte, sie an den Beinen zu erwischen! Pelagia konnte gerade noch hochspringen!

Es sah aus wie ein makabres Hasch-mich – oder Katz-und-Maus-Spiel.

Befremdlicherweise musste die Nonne in diesem Moment an Odysseus denken, der in der Höhle des Polyphem gefangen war. »Also zischte das Aug um die feurige Spitze des ÖIbrands. Fürchterlich heult‘ er auf dass rings die dumpfige Kluft scholl«

Der Zyklop im Schuppen heulte, raste und stieß unartikulierte Laute aus, und Pelagia, von dem unentwegten Springen und Hüpfen ganz außer Atem, versuchte immer wieder, ihm gut zuzureden:

»Beruhigen Sie sich! Sie brauchen einen Arzt!«

Aber damit gab sie nur ihre Position preis. Jedem Zureden folgte eine Attacke, die genauer gezielt war als die vorigen.

Dann ließ sich die Nonne in die Hocke nieder und verhielt sich ganz still.

Glasauge lief noch eine Weile in dem Schuppen hin und her, dann begriff er, dass seine Gegnerin die Taktik geändert hatte. Jetzt hielt er ebenfalls inne und lauschte.

Er stand nur zwei Schritte von ihr entfernt, und Pelagia presste die Hand an ihre linke Brust, weil sie fürchtete, ihr Herzschlag könnte sie verraten.

»Ich kriege dich, na warte, dich kriege ich«, zischte der Blinde rasend vor Wut. »Ich werde dich mit bloßen Händen erledigen, ich brauche das Gewicht gar nicht. . .«

Und wirklich steckte er seine Waffe in die Tasche, breitete die Arme aus und drehte sich um seine eigene Achse.

Die Sache stand schlecht. Gleich kommt er auf die Idee, sich hinzuknien, und dann ist es aus.

Pelagia riss sich die Brille von der Nase und schleuderte sie in eine entfernte Ecke.

Der Mörder drehte sich blitzartig um und warf sich mit einem wilden Schrei in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

Da sprang sie auf und stemmte sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Riegel – Gott sei Dank, er gab nach.

Sie stürzte hinaus, sah, dass es außen an der Tür auch einen Riegel gab, und schob ihn schnell vor.

Dann rannte sie zum Haus und schrie, so laut sie konnte:

»Hilfe! Hierher! Hierher!«

Hinter sich hörte sie ein Krachen und Poltern – Glasauge warf sich gegen die versperrte Tür.

Über die Heimat, die gerechte Sache und den

Kampf gegen das Böse

Während die Zellendiener herbeieilten, während sie sich bemühten, aus den wirren Schreien der Nonne einen vernünftigen Sinn zu entnehmen, und während sie diskutierten, ob man nun selbst in den Garten gehen oder besser die Polizei rufen sollte, vergingen etwa zehn Minuten. Es wäre auch noch mehr Zeit vergangen, wenn nicht auf diesen Heidenlärm hin der Bischof selber erschienen wäre. In wenigen Sekunden hatte er die Lage erfasst, er legte Pelagia die Hände auf die Schultern und stellte nur eine einzige Frage: »Bist du unversehrt?« Und als sie nickte, drehte er sich um und eilte mit ausgreifenden Schritten in den Garten. Und nur weil allzu große Hast sich schlecht mit der Würde eines Bischofs verträgt, fiel er nicht in stürmischen Galopp. Aber auch so hatte das Gesinde, das im Laufschritt hinter ihm hertrabte, seine liebe Mühe, ihm zu folgen.

Die Tür des Gartenhäuschens war immer noch verriegelt – Glasauge hatte sich nicht befreien können. Doch drinnen war es still.

Ängstlich umkreisten die Mönche und die Domestiken den Bretterschuppen.

»Gnädiger Herr?«, rief Usserdow mit bebender Stimme. »Sind Sie da? Es wäre besser, Sie würden von Ihrem gewalttätigen Vorhaben absehen und sich in die Hände der Gerichtsbarkeit geben.«

Mitrofani schob Vater Serafim mit einer energischen Bewegung zur Seite und zog ohne zu zögern den Riegel zurück.

Er trat in die Türöffnung.

Pelagia presste sich die Hand auf den Mund. Jetzt bloß nicht schreien, damit sich der Bischof um Gottes willen nicht umdreht – einem tödlich verletzten Tier den Rücken zuzuwenden ist reiner Wahnsinn.