Der Graf schaltete eine Lampe ein, die direkt über dem Schrank angebracht war, und Matwej Benzionowitsch sah auf der dunkelbraunen Haut ein lilafarbenes Ornament in Gestalt sich umeinander windender Schlangen.
»Es gibt dort einen Stamm, bei dem die Frauen mit wunderbaren Tätowierungen geschmückt sind. Dieses Mädchen war kurz zuvor gestorben, und ich habe dem Häuptling die Leiche für ein Winchester-Gewehr und eine Kiste Munition abgekauft. Die Eingeborenen glaubten vermutlich, ich sei ein Menschenfresser.« Die Nüstern des Grafen bebten. »Dabei war einfach einer meiner damaligen Diener, Félicien, ein begnadeter Spezialist für Taxidermie. Eine eindrucksvolle Arbeit, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Berditschewski und schluckte.
Sie gingen zum nächsten Exponat.
Das war nicht ganz so grausig: ein normaler menschlicher Schädel, darüber das Porträt einer gepuderten Dame mit tiefem Dekolletee und schmollender Unterlippe.
»Und was ist das?«, fragte Matwej Benzionowitsch mit einer gewissen Erleichterung.
»Erkennen Sie sie nicht? Das ist Marie-Antoinette; beziehungsweise – ihr Kopf.« Der Graf streichelte liebevoll über den glänzenden Schädel.
»Wo haben Sie den denn her?«, ächzte Berditschewski.
»Von einem irischen Lord, der sich gerade in einem pekuniären Engpass befand. Ein Vorfahre von ihm hatte während der Zeit der Revolution in Paris die pfiffige Idee gehabt, den Henker zu bestechen.«
Der Staatsrat ließ den Blick zwischen dem Schädel und dem Porträt hin und her schweifen und versuchte, irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu entdecken. Es gelang ihm nicht. Gesicht und Schädel existierten beide nur für sich. Was für ein Lump, dieser Pariser Henker, dachte Matwej Benzionowitsch.
Als Nächstes kamen sie zu einem Glaswürfel, in dem sich ein Puppenköpfchen mit langen, lockigen Haaren befand. Es war klein und schrumpelig wie bei einem Neugeborenen.
»Dieses Stück hier stammt aus Neuguinea«, erklärte der Graf. »Ein geräucherter Kopf. An sich keine besondere Rarität, in europäischen Sammlungen gibt es nicht wenige davon, aber das Besondere an diesem Stück ist, dass ich mit der Dame sozusagen persönlich bekannt war.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie hatte wohl irgendein Tabu gebrochen, dafür musste sie sterben. Ich war Zeuge sowohl der Tötung als auch der anschließenden Räucherung. Allerdings wurde die Prozedur für mich ein wenig verkürzt. Normalerweise dauert die Konservierung eines solchen Kopfes mehrere Monate, und so lange konnte ich natürlich nicht warten. Man hat mich gewarnt, dass mein Souvenir nach ein paar Jahren verfault sein könnte, aber bisher hat es sich sehr gut gehalten, wie Sie sehen.«
»Und Sie haben nichts getan, um diese arme Frau zu retten?«
Die Frage schien Tscharnokuzki zu amüsieren.
»Wer bin ich denn, dass ich mich der Justiz in den Weg stellte, auch wenn es die von Wilden ist?«
Sie gingen weiter zu einer großen Vitrine mit mehreren Regalfächern, in denen mit Lederriemen verschnürte Säckchen unterschiedlicher Größe ausgestellt waren.
»Was ist das?«, fragte Matwej Benzionowitsch, der an diesen Exponaten absolut nichts Bemerkenswertes erkennen konnte. »Sieht aus wie eine Sammlung von Tabaksbeuteln.«
»Das sind auch Tabaksbeutel. Indianische Arbeiten aus dem Wilden Westen Amerikas. Fällt Ihnen nichts daran auf? Sehen Sie sie sich genau an.«
Der Magnat öffnete die Tür, nahm einen der Beutel heraus und reichte ihn seinem Gast. Der drehte das Ding in den Händen, bewunderte die Feinheit und Weichheit des Leders, entdeckte aber ansonsten immer noch nichts Außergewöhnliches, weder ein besonderes Muster noch eine originelle Prägung. Das einzig Auffällige war eine Art Knopf, der sich genau in der Mitte des Beutels befand. Er betrachtete den Knopf mit mäßiger Neugier genauer – und warf den Beutel entsetzt in das Regal zurück.
»Ja, ja«, keckerte Seine Erlaucht. »Das ist eine Burstwarze. Die Krieger einiger indianischer Stämme dort haben den hübschen Brauch, von ihren Raubzügen Männerskalps und Frauenbrüste mitzubringen. Aber es gibt durchaus noch apartere Trophäen.«
Er entnahm der Vitrine etwas, das aussah wie ein Bündel getrockneter Pilze, seltsame dunkle Ringel, die auf einer Schnur aufgezogen waren. Einige von ihnen waren befremdlicherweise behaart.
»Das ist ein Souvenir aus dem brasilianischen Dschungel. Ich war dort bei einem Waldvolk zu Gast, das sich mit einem Amazonenstamm bekriegte, diesen blutrünstigen Ludern, die inzwischen glücklicherweise aus gerottet wurden. Dieses nette Gebinde habe ich dem erfolgreichsten Krieger abgekauft, der persönlich elf Amazonen getötet hatte. Sehen Sie, es sind genau elf Ringel.«
»Und was sind das für Ringel?«, fragte Berditschewski verständnislos, aber im selben Moment hatte er es schon begriffen. Der Magen zog sich ihm zusammen.
Aus der Tiefe des Hauses erklang der dumpfe Ton eines Gongs.
»Der Imbiss ist fertig«, verkündete der Graf und unterbrach die grauenhafte Exkursion. »Darf ich bitten?«
Dem Staatsanwalt war nach dem, was er gerade gesehen hatte, nicht nach Imbisshäppchen zumute, aber trotzdem sagte er eilig:
»Danke, sehr gern.«
Egal wohin, nur möglichst weit weg von hier.
Der Wolf ist in die Ecke getrieben
Im angrenzenden Speisezimmer (Gott sei Dank ein ganz gewöhnliches Zimmer ohne Räucherköpfe oder gedörrte Genitalien), leerte Matwej Benzionowitsch rasch nacheinander zwei Gläser Wein, dann erst ließ das abscheuliche Zittern seiner Hände nach. Dazu aß er Weintrauben. Sein Magen muckerte einmal kurz, aber er hielt durch.
Kescha machte sich mit Heißhunger über die gefüllten Wachteln her, als wäre nichts passiert. Der Graf hingegen rührte das Essen überhaupt nicht an, er nippte nur an seinem Cognac und zündete sich sofort eine Zigarre an.
»So, so, Sie meinen also, in Sawolshsk gebe es eine, äh, Gesellschaft?«, fragte er und betonte das letzte Wort derart, das vollkommen klar war, was für eine Art von Gesellschaft er meinte.
»Allerdings, zwar nur eine sehr kleine, aber es gibt sie«, antwortete Berditschewski und stellte sich darauf ein, dem Grafen ein paar Lügen aufzutischen.
Tscharnokuzki stellte mit lebhaftem Interesse noch eine Reihe weiterer Fragen, deren Sinn der Sawolshsker allerdings teilweise überhaupt nicht verstand. Eine Frage lautete, zum Beispieclass="underline" ›Gibt es bei Ihnen auch eine Kükenfarm?‹ Was sollte das denn bedeuten? So viel war Matwej Benzionowitsch klar, dass diese Frage nichts mit Geflügelzucht zu tun hatte. Oder weiter: ›Veranstalten Sie ein Karussell ?‹ Was für ein Karussell, zum Kuckuck? Wahrscheinlich irgendwelche päderastischen Schweinereien.
Um, wie man unter Dieben sagt, nicht aufzufliegen, ging der Staatsanwalt in die Offensive.
»Ihre Sammlung hat mich sehr beeindruckt«, sagte er und wechselte das Thema. »Aber sagen Sie, warum sammeln Sie eigentlich nur . . . äh . . . die sterblichen Überreste der schöneren Hälfte der Menschheit?«
»Die Frau ist nicht die schönere Hälfte der Menschheit, sie ist überhaupt nichts«, antwortete der Graf in scharfem Ton. »Sie ist eine abgeschmackte Karikatur des Menschen. Das sage ich Ihnen als Mediziner. Ein missgestaltetes, ungefüges Wesen! Was ist schon eine Frau? Ein paar quallige Milchdrüsen, Fettwülste statt Hüften, ein absurder Knochenbau und eine quäkige Stimme . . .«
Tscharnokuzki schüttelte sich vor Ekel.
Oha, dachte Matwej Benzionowitsch, du bist zwar Mediziner, aber ich denke, du gehörst eher selber in Behandlung. Am besten in ein Krankenzimmer, wo die Klinke nur außen sitzt.
»Gestatten Sie, aber ganz ohne Frauen geht es doch auch nicht«, widersprach er vorsichtig. »Wenigstens unter dem Gesichtspunkt der Erhaltung der menschlichen Gattung . . .«
Dieses Argument brachte den Grafen nicht im Geringsten aus dem Konzept.