»Nun, man sollte aus den Fruchtbarsten von ihnen eine besondere Rasse züchten, so wie man es mit Kühen oder Schweinen macht. Man könnte sie in Ställen halten und mithilfe von Spritzen befruchten. Das wäre das Beste.«
Auf dem Gesicht des Frauenhassers zeigte sich eine Grimasse des Abscheus.
Ob er mich auf den Arm nimmt?, überlegte Berditschewski auf einmal. Spielt er mir vielleicht bloß etwas vor? Egal, zum Teufel mit diesen idiotischen psychopathischen Theorien. Es wird Zeit, zur Sache zu kommen.
»Tja, es wäre allerdings wunderbar, in einer reinen Männergesellschaft zu leben«, sagte der Staatsanwalt schwärmerisch. »Haben Sie davon gehört, dass ein amerikanischer Millionär das biblische Sodom wieder aufbauen lässt?«
»Ich habe davon gehört. Eine drollige Ausgeburt des amerikanischen Pietismus. Vom Standpunkt des Philanthropen aus gesehen, wäre es freilich besser gewesen, von diesen Millionen Brot für die Hungernden zu kaufen, aber das ist natürlich nichts, womit man die Welt in Erstaunen setzen könnte. Abgesehen davon wäre es allerdings auch sinnlos. Heute essen sie das Brot, das man ihnen schenkt, auf, und morgen verlangen sie schon wieder neues, das ist ein Fass ohne Boden. Jenes Projekt hingegen ist selbstverständlich sehr lehrreich für die Menschheit. Mister Cyrus ist ein wohlanständiger Familienvater, und diese ›Perversen‹ sind ihm eigentlich ein Gräuel, aber er will seinen Zeitgenossen ein Beispiel der Toleranz und Barmherzigkeit gegenüber Außenseitern und Untermenschen geben. Oh, die Amerikaner werden uns allen noch Sitte und Moral beibringen, warten Sie nur ab!«
»Aber dieses Unternehmen dürfte doch ziemlich viele Gegner haben?«, fragte Matwej Benzionowitsch, sich langsam an das eigentliche Thema herantastend. »All die scheinheiligen Frömmler und religiösen Fanatiker. Es gibt doch heutzutage so viele Sekten, die zu alttestamentarischer Unduldsamkeit aufrufen.«
Damit wollte er allmählich auf Manuila zu sprechen kommen und vorsichtig eruieren, welche Meinung Seine Erlaucht von dem Propheten hatte, den der einäugige Bronek hatte umbringen wollen.
Aber das Gespräch wurde unterbrochen. Filip betrat lederknarzend den Salon und übergab dem Hausherrn mit einer Verbeugung einen langen Papierstreifen.
Sollte es in diesem mittelalterlichen Schloss einen Telegrafen geben? Diese Neuigkeit wollte dem Staatsanwalt irgendwie nicht recht gefallen.
Tscharnokuzki ließ seinen Blick über die ziemlich lange Depesche gleiten und sagte auf einmal zu Kescha:
»Innocent, du bist ein dummer kleiner Junge, ich glaube, du brauchst ein paar anständige Hiebe. Wen hast du mir da ins Haus gebracht?«
Der blonde Schönling verschluckte sich an einem Apfelsinenstück, und Berditschewskis Herz bekam einen Stich. Mit sich überschlagender Stimme rief er:
»Was wollen Sie damit sagen, Graf?«
»Was seid ihr Juden doch für eine ungezogene Rasse«, sagte der Magnat kopfschüttelnd und sprach dann im Weiteren nicht mehr zu Matwej Benzionowitsch, sondern nur noch an Kescha gewandt. »Hör mal, was Mikki hier schreibt: ›Adelsmarschall des Gouvernements Sawolshsk ist Graf Rostowski, Adelsmarschalle der Bezirke sind: Fürst Bekbulatow, Baron Schtakelberg, Seljaninow, Kotko-Kotkowski, Lasutin, Fürst Watschnadse, Barchatow und Graf Besnossow, drei Bezirke sind ohne Adelsmarschall, auf Grund des geringen Anteils von Geburtsadel. Die Person, auf die sich deine Anfrage bezieht, ist in der Tat in Sawolshsk ansässig, aber der Name ist verdreht, und er hat einen anderen Posten. Der Mann heißt nicht Matwej Berg-Ditschewski, sondern Matwej Berditschewski, er ist Bezirksstaatsanwalt, Staatsrat, neununddreißig Jahre alt, Konvertit.‹«
Die Farbe von Keschas Wangen wechselte von rosa nach grün, er fiel auf die Knie und schluchzte:
»Das wusste ich nicht, ich schwöre es!«
Der Graf versetzte ihm mit der Schuhspitze einen Stoß gegen die Stirn, der junge Mann kippte auf den Teppich und fing an zu flennen.
»Wer hat Ihnen denn diesen Blödsinn geschickt?«, fragte Matwej Benzionowitsch. Es fiel ihm schwer, sich so schnell auf die katastrophische Veränderung der Situation einzustellen, bis zu diesem Augenblick war doch alles so wunderbar glatt gelaufen!
Der Graf stieß einen langen Schwall Zigarrenrauch aus und sah dabei den Staatsanwalt mit ekelerfüllter Neugier an, wie ein seltenes Insekt oder einen zerquetschten Frosch. Immerhin würdigte er ihn einer Antwort.
»Mikki ist einer von uns – ein richtig großes Tier, er dürfte wohl demnächst Minister werden. Und das hat er auch verdient, denn er ist ein fleißiger Bursche, man kann ihm auch um Mitternacht ohne weiteres ein Telegramm schicken, da ist er bestimmt noch im Dienst.«
Jetzt musste schleunigst eine andere Taktik her – das hartnäckige Leugnen aufgeben und, wie es so schön heißt, die Karten auf den Tisch legen.
»Da Sie nunmehr also über meine Person informiert sind, möchte ich gleich klarstellen, dass ich keineswegs hierher gekommen bin, um mit Ihnen neckische Plaudereien abzuhalten«, sagte Berditschewski streng. In gewisser Weise fühlte er sich sogar erleichtert, weil er jetzt nicht mehr Theater spielen musste. »Beantworten Sie unverzüglich meine Frage: Haben Sie Razewitschs Schulden bezahlt?«
In diesem Moment geschah etwas Unerhörtes.
Der Staatsrat wurde von hinten gepackt, und seine Arme wurden schmerzhaft auf den Rücken gedreht.
»Lass ihn, Filip«, sagte der Graf und verzog indigniert das Gesicht. »Lass diesen Judenbengel ruhig ein wenig krähen.«
»Er hat etwas Schweres in der Tasche«, erklärte der Lakai. »Hier.«
Mühelos hielt er beide Handgelenke des Gefangenen mit einer seiner Pranken fest, zog dem Staatsanwalt den »Lefoche« aus der Tasche und übergab ihn dem Grafen.
Der hob den Revolver mit zwei Fingern in die Höhe, warf einen kurzen despektierlichen Blick darauf und schleuderte ihn mit den Worten »Billiger Plunder« von sich.
Berditschewski versuchte vergeblich, sich aus der schraubstockartigen Umklammerung zu winden.
»Lass mich los, du Lump! Ich bin Staatsrat! Dafür schicke ich dich nach Sibirien!«
»Lass ihn los«, sagte Tscharnokuzki gnädig. »Seinen Giftzahn haben wir ihm gezogen, und bei den Juden ist es nicht üblich, die Fäuste zu schwingen. Dafür ist der Jude zu marode«, kalauerte er. »Wissen Sie, Herr Judenrat, warum ich Ihre Rasse nicht leiden kann? Nicht etwa, weil ihr Christus gekreuzigt habt. Der war ja selber ein Jude, um den ist es nicht schade. Nein, dafür, dass ihr eine Karikatur des Menschen seid, genau wie die Weiber. Ihr tut bloß so, als ob ihr Männer wärt.«
»Ich repräsentiere die Staatsmacht«, rief Matwej Benzionowitsch und rieb sich das taube Handgelenk. »Ihr Benehmen ist. . . ist einfach . . .«
»Nein«, unterbrach ihn der Graf mit plötzlicher Schärfe. »Du bist eine Ratte, die sich wie ein Dieb in mein Haus eingeschlichen hat. Wärst du kein Jude, würde ich dich einfach vor die Tür setzen. Aber dass ich, ein Tscharnokuzki, eine geschlagene Stunde lang wie ein Idiot hier vor dir herumscharwenzelt bin und dir sogar noch dreißig Jahre alten Cognac vorgesetzt habe, das sollst du mir mit deinem Leben bezahlen! Du wirst dieses Schloss nicht mehr verlassen, und kein Mensch wird jemals davon erfahren. Du bist nicht der Erste, und du wirst nicht der Letzte sein.«
»Ihr Name steht in der Ermittlungsakte!«, versuchte Berditschewski dem Verrückten klarzumachen. »Auch wenn ich inkognito hierher gekommen bin, sind Sie doch als der Hauptverdächtige amtlich bekannt! Wenn ich nicht zurückkehre, steht morgen die Polizei vor Ihrer Tür!«
»Das ist alles gelogen«, meldete sich mit piepsiger Stimme Kescha, der aus Angst immer noch auf dem Teppich lag. »Ich habe ihm ja überhaupt erst von Ihnen erzählt, bis dahin kannte er nicht einmal Ihren Namen.«
»Und der Kutscher?«, entgegnete ihm der Staatsanwalt. »Er hat mich hierher gebracht und ist in die Stadt zurückgefahren. Wenn ich verschwinde, wird er es der Polizei melden.«