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Jetzt konnte Berditschewski sich dem Hauptobjekt widmen.

Dieses stand noch immer wie zur Salzsäule erstarrt, mit dem angebissenen Pfirsich in der Hand.

»Foo, werte Erlaucht, jetft werden wir unf einmal nett miteinander unterhalten«, sagte Matwej Benzionowitsch, ohne den Finger aus dem Mund zu nehmen, und lächelte so, wie er noch nie im Leben gelächelt hatte.

Etwas kaum Begreifliches und doch unendlich Wunderbares geschah in diesem Moment mit dem wackeren Staatsrat. Sein ganzes Leben lang hatte Berditschewski sich für einen Feigling gehalten. Wenn ihm auch bisweilen eine einigermaßen kühne Tat gelungen war (bei einem Staatsanwalt fast unvermeidlich), hatte ihm dies doch jedes Mal das Äußerste an seelischer und körperlicher Kraft abverlangt, und die unvermeidliche Folge waren Herzschwäche und Nervenzittern gewesen. Jetzt aber spürte Matwej Benzionowitsch nicht die geringste Anspannung, er fuchtelte vergnügt mit dem Revolver und fühlte sich einfach prächtig.

Als Kind hatte er manches Mal, wenn er schniefend mit blutender Nase nach Hause lief, sich vorgestellt, wie er, der Schuhmachersohn und einzige Jude im ganzen Handwerkerviertel, sich eines Tages heimlich aus der Stadt davonstahl, in den Militärdienst eintrat und als Offizier mit Epauletten und Säbel zurückkehrte. Dann würde er es allen zeigen, dem Waska Pratschkin und dem gemeinen Tschucha. Sie würden vor ihm kriechen und betteln: »Mordka, bitte, bitte, lass uns leben!« Und er schwingt den Säbel und sagt: »Für euch bin ich nicht Mordka, sondern Leutnant Mordekaj Berditschewski!« Und dann verzeiht er ihnen großmütig.

Und so war es ja auch fast gekommen, bloß war Matwej Benzionowitsch in den dreißig Jahren, die seitdem vergangen waren, wohl ein wenig hartherzig geworden – denn dem Grafen Tscharnokuzki mochte er partout nicht verzeihen, er wollte diese schändliche Kreatur töten, gleich hier und jetzt; und nach Möglichkeit nicht schnell und schmerzlos, sondern es sollte lange dauern, und er sollte sich vor Schmerzen winden.

Dieser Wunsch stand dem Staatsanwalt anscheinend sehr deutlich ins Gesicht geschrieben, denn Seine Erlaucht ließ plötzlich den Pfirsich fallen und fasste nach dem Rand des Tisches, als wären ihm auf einmal die Knie weich geworden.

»Wenn Sie mich erschießen, werden Sie niemals lebend aus dem Schloss herauskommen«, sagte der Magnat hastig.

Berditschewski betrachtete seinen nassen Daumen und verzog das Gesicht.

»Ich habe auch keinesfalls vor, mitten in der Nacht irgendwo draußen in der Gegend herumzulaufen. Zuallererst werde ich Ihnen den Garaus machen, weil Ihre bloße Existenz eine Beleidigung für das Universum ist. Dann wird Ihr liebenswürdiger Filip, vorausgesetzt, er hat nicht den Wunsch, sich eine weitere Kugel einzufangen, mit mir zum Telegrafen gehen und eine Depesche an den hiesigen Polizeichef abschicken. Nicht wahr, Filii, das machst du doch, oder?«

Der Lakai nickte, ohne einen Mucks von sich zu geben.

»Na siehst du. Und dort werde ich mich verbarrikadieren und auf die Polizei warten.«

»Für den Mord am Grafen Tscharnokuzki wird man Sie ins Zuchthaus schicken!«

»So? Nachdem die Polizei Ihre wunderbare geheime Sammlung entdeckt hat? Einen Orden werde ich kriegen, kein Zuchthaus! Also!«

Matwej Benzionowitsch hob den Revolver und zielte, zuerst auf den Bauch, dann nach kurzer Besinnung auf die Stirn des Grafen.

Tscharnokuzkis ohnehin weißes Gesicht wurde kreidebleich. Die eine Hälfte seines rabenschwarzen Schnurrbarts hing schlaff nach unten, die andere kämpfte tapfer um Haltung.

»Was . . . was wollen Sie von mir?«, stammelte der Herr von Schloss Schwarzeneck.

»Wir werden jetzt ein kleines hochnotpeinliches Verhör durchführen, wir zwei beiden«, verkündete Berditschewski. »Oh, ich werde sehr, sehr peinlich zu Ihnen sein! Ich werde all meine Selbstbeherrschung benötigen, um Ihnen nicht eine Kugel in den verfaulten Schädel zu schießen.«

Der Blick des Grafen richtete sich abwechselnd mal auf das wutverzerrte Gesicht des Staatsrats, mal auf die in seiner unruhigen Hand hin und her schwankende Pistolenmündung, und er stieß hastig hervor:

»Ich werde alle Ihre Fragen beantworten. Aber bitte, bewahren Sie Ihre Beherrschung. Ist der Abzug auch nicht zu locker? Trinken Sie doch einen Schluck Mosel, der beruhigt.«

Die Idee erschien Matwej Benzionowitsch gar nicht so schlecht. Ohne den Grafen aus den Augen zu lassen, schob er sich seitwärts zum Tisch, tastete nach der Flasche (ob Mosel oder nicht Mosel, das war ihm im Augenblick schnuppe), setzte sie an und trank in langen, durstigen Zügen.

Zum ersten Mal in seinem Leben trank Berditschewski Wein direkt aus der Flasche. Verblüffenderweise schmeckte er viel besser als aus dem Glas. Fürwahr, eine Nacht der wundersamen Entdeckungen!

Er stellte die Flasche ab und wischte sich die Lippen – nicht etwa mit dem Taschentuch, nein, einfach mit dem Ärmel! Ah! Gut! Jetzt weiter im Verhör.

»Welche Beziehung haben Sie zu Stabsrittmeister Razewitsch?«

»Er ist mein Liebhaber«, antwortete der Graf, ohne eine Sekunde zu zögern. »Das heißt, er war mein Liebhaber . . . Ich habe seit einem halben Jahr nichts mehr von ihm gehört – bis heute.«

»Und das soll ich Ihnen glauben? Sie haben ihn doch freigekauft!«

»Davon kann keine Rede sein. Warum auch? Wenn ich für jeden meiner Liebhaber fünfzehntausend Rubel zahlen sollte, wäre von dem Familienvermögen nicht mehr viel übrig.«

»Sie waren es nicht?!« Mit einem Schlag war die ganze Courage des Staatsanwalts wie fortgeblasen. »Nicht Sie? Aber . . . wer war es dann?«

Der Graf zuckte mit den Achseln.

Version Nummer drei, die strahlend wie ein Phönix aus der Asche ihrer beiden Vorgänger erstanden war, brach in sich zusammen. Wieder eine Niete gezogen! Die Zeit ganz umsonst vertan!

»Sie sehen ja ganz verstört aus«, sagte der Schlossherr nervös. »Trinken Sie lieber noch etwas Wein. Ehrenwort, ich weiß nicht, wer Razewitsch freigekauft hat. Bronek hat kein Wort erzählt.«

Als der Staatsanwalt den Sinn der letzten Bemerkung begriffen hatte, fragte er:

»Also haben Sie ihn noch einmal gesehen, nachdem er schon freigekommen war?«

»Nur ein einziges Mal. Er tat sehr geheimnisvoll, redete ziemlich nebulöses Zeug. Ich fand, er spielte sich ein wenig auf. Er sagte: ›Sie haben Razewitsch weggeworfen wie einen zerschlissenen Schuh. Na gut, meine Herren, warten Sie nur ab.‹ Ich hatte den Eindruck, dass er mit diesen ›Herren‹ seine ehemaligen Vorgesetzten meinte.«

»Und was noch? Denken Sie nach, verdammt noch mal!«, schrie Berditschewski ihn an. Tscharnokuzki zog den Kopf ein und klimperte mit den Augenlidern.

»Ja, ja, ich erzähl ja schon. Er hat sich einfach sehr unklar ausgedrückt. Anscheinend hat ihn im Gefängnis irgendeine hoch gestellte Persönlichkeit besucht. Das hat er selbst so gesagt: ›Eine hoch gestellte Persönlichkeit, eine sehr hoch gestelltem Und dann wurde das Geld für ihn bezahlt. Das ist alles, was ich weiß.«

Wahrlich keine Pelagia

Hinter ihm erklang ein Gepolter.

Berditschewski drehte sich um und sah, dass der verletzte Lakai die Gelegenheit nutzen wollte, um sich in Richtung Salon davonzumachen.

»Halt!«, rief der Staatsanwalt und stürzte ihm nach. »Ich schieße!«

Filip fiel der Länge nach hin und hielt die Hände über den Kopf.

»Ich verblute! Ich kann nicht mehr, ich sterbe!«

Und wieder das Geräusch fliehender Schritte, diesmal aus der anderen Richtung.

Matwej Benzionowitsch fuhr herum, aber zu spät. Er sah gerade noch, wie die Gestalt im schwarzen Kimono durch die Tür entschlüpfte. Ein letztes kurzes Aufblitzen des silbernen Drachen – weg war er. Der Riegel klirrte.

»Lieg still, du Lump!«, brüllte Berditschewski den Diener an und stürzte hinter dem Grafen her.