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Auf einmal war auch die Welt um sie herum nicht mehr so verlassen und menschenleer. Immer wieder kamen ihnen Wagen entgegen, immer die gleichen, von zottelbeinigen Percheron-Pferden gezogene weiße Planwagen, auf denen ein stolzes Emblem prangte: eine Abbildung der Akropolis und die Buchstaben »S&G Ltd.«. Pelagia zerbrach sich den Kopf, was das wohl bedeuten mochte, und schließlich kam sie darauf: »Sodom and Gomorrha limited«, logisch. Und gleich lief es ihr kalt den Rücken herunter.

Kurz nach Mittag erreichten sie die arabische Siedlung Bet-Kebir. Pelagia hatte auf ihrer Reise diese eintönigen einheimischen Dörfer, die sich glichen wie ein Ei dem anderen, schon bis zum Überdruss kennen gelernt: fensterlose, kaum mannshohe Lehmhütten, Wände und Dach mit den unvermeidlichen Fladen aus getrocknetem Kamelmist bekleistert, die man hier als Heizmaterial benutzte; die Gassen schmutzig und eng, immer stürzte sich sofort eine Meute nackter Kinder, »Bakschisch, Bakschisch« schreiend, auf die Reisenden, und es herrschte ein solcher Gestank, dass man sich permanent nur die Nase zuhalten mochte.

Und plötzlich fuhren sie auf einer sauber gepflasterten Straße zwischen neuen, weiß gestrichenen Häuschen dahin, mit hübschen Veranden und blühenden Sträuchern davor. Nirgends ein Bettler, keine zerlumpten Gestalten, keine Aussätzigen. Und der Hof der Herberge, in den Salach einbog, um den weiteren Weg zu erfragen, kam der von der Reise zermürbten Pelagia vor wie ein wahrer Palast.

Sie wusch sich unter einer richtigen Dusche, trank starken Tee, kämmte sich die Haare und zog frische Wäsche an. Salach führte unterdessen wichtige Verhandlungen mit dem Hausherrn. Er brauchte genau acht Tassen Kaffee, um alles herauszufragen, was Pelagia ihm aufgetragen hatte.

Es stellte sich heraus, dass es von Bet-Kebir aus gar nicht mehr weit bis zu der neu errichteten Stadt Usdum (so sagte man »Sodom« auf Arabisch) war, nur etwa fünfzehn Werst. Allerdings hatten Frauen dort keinen Zutritt. Die Luti waren gute Menschen, sie zahlten anständig für Arbeit und Waren, aber sie hatten ihre eigenen Regeln.

»Was meint er mit ›Luti‹?«, fragte Polina Andrejewna.

»Luti, das heißt das Volk Luts. Von dem Lut, der aus Usdum fortging, als die Stadt abbrannte.«

Aha, Lots Volk, verstand Pelagia, damit sind also Homosexuelle gemeint.

Weiter erklärte ihr Salach, die Arbeiter aus Bet-Kebir besäßen einen Passierschein für Usdum, und Frauen dürften sich der Stadt nur bis zu einem Wachtposten nähern, der sich in fünf Werst Entfernung von der Stadt befinde. Es gebe nur einen einzigen Zufahrtsweg, der zwischen dem See und dem Berg Djebel-Usdum entlangführe. Der Wachtposten sei von türkischen Soldaten besetzt, ihr Anführer heiße Said-Bej, und sie würden die Straße sehr gut bewachen und niemals schlafen, nicht einmal nachts, was sehr erstaunlich sei bei türkischen Soldaten; Bakschisch nähmen sie auch keins, was doppelt erstaunlich sei, und alles nur deshalb, weil die Luti sie so gut bezahlten. Früher hätte Said-Bej mit seinen Soldaten nämlich irgendwo mitten in der Wüste in elenden Zelten gehaust, und sie hätten Schmuggler gejagt und sehr, sehr schlecht gelebt. Aber dann hätten die Luti den ehrwürdigen Jüs-Baschi gebeten, seinen Posten dort an der Straße aufzustellen, und jetzt lebten die Türken sehr, sehr gut.

Das waren ja recht unerfreuliche Informationen.

»Kann man diesen Wachtposten nicht durch die Wüste umgehen, auf der anderen Seite des Berges?«

Salach begab sich wieder zum Hausherrn, um noch einen Kaffee zu trinken.

»Nein, geht nich«, sagte er, als er zurückkam. »Tagsüber Soldaten gucken von Berg, mit Turm. Und nachts man kann nich durch die Wüste, nich fahren, nich gehen. Überall Löcher und Felsen, brichst du Beine, knackst du Hals.«

»Sag dem Hausherrn, dass ich zwanzig Franken zahle, wenn man mich an dem Posten vorbeibringt.«

Der treue Gehilfe trat neuerlich in Verhandlungen ein. Vier Tassen Kaffee später erschien er mit zufriedener und geheimnisvoller Miene wieder bei Pelagia.

»Geht. Der Berg Djebel-Usdum ist gelöchert. Im Frühling fließt Bach, findet Loch. Tausend Jahre fließt Wasser, macht Höhle. Der Hausherr weiß, wie man durch Berg kriecht, aber zwanzig Franken wenig, will fünfzig. Höhle sehr schrecklich, Wohnung von Dschinn von Feuer.«

Als Polina Andrejewna von der Höhle hörte, lief es ihr kalt den Rücken herunter. Sollte sie schon wieder in den Leib der Erde steigen? Um keinen Preis, mit Dschinn oder ohne!

Salach deutete ihre Grimasse auf seine Art. Er kratzte sich den Hinterkopf und dachte nach.

»Ja, fünfzig Franken sind sehr viel. Gib mir fünfundzwanzig, ich bringe dich ohne Höhle hin.«

»Wie denn?«

»Überlass mal mir«, entgegnete der Palästinenser mit schlauer Miene.

Und jetzt fuhren sie an einem niedrigen Bergrücken entlang, der wahrscheinlich einzig in seiner Art war: ein Berg, der unterhalb des Meeresspiegels liegt. Gerade vor ihnen wurde jetzt ein großes Segeltuchzelt sichtbar mit einem Schlagbaum daneben – der türkische Posten.

Polina Andrejewna drehte sich um.

Hinter ihnen fuhr ein großes Fuhrwerk mit dem bekannten Emblem »S&G Ltd.« an der Seite, der mit lockerer schwarzer Erde beladen war.

»Wo willst du mich denn verstecken?«, fragte die Nonne wohl schon zum hundertsten Male den geheimnisvoll schweigenden Salach.

»Gar nich. Dreh dich her!«

Er zog ein Lackkästchen aus seiner Umhängetasche.

»Was ist das?«

»Geschenk. Hab ich für Marusja gekauft. Hat gekostet drei Franken; nachher gibst du mir wieder.«

Pelagia sah kleine Fächer mit weißer Schminke, Lippenfarbe, Puder, und dann noch etwas Zähflüssiges, Schwarzes, Undefinierbares.

»Halt Kopp still«, sagte Salach und ergriff ihr Kinn.

Er tauchte den Finger in das Kästchen, kleckste Polina Andrejewna schnell etwas auf die Wangen und verrieb es. Dann nahm er einen Pinsel, strich ihr damit über Brauen und Wimpern, und zum Schluss bemalte er ihr die Lippen.

»Was soll das?!«, stammelte die Nonne, die vor Schreck wie versteinert war.

Sie nahm einen Spiegel und hielt ihn sich vor das Gesicht. Es traf sie wie ein Donnerschlag. Aus dem Spiegel starrte sie eine grotesk bemalte Fratze an: Wangen wie Rote Bete, Augenbrauen wie Fledermausflügel, kohlschwarz umrandete Augen und ein praller, vulgärer Mund.

»Du bist wohl verrückt geworden! Dreh sofort um, wir fahren zurück«, schrie Pelagia, aber da hatte der Hantur schon den Schlagbaum erreicht.

»Sei still und lächle, immer lächeln und so machen.« Salach bewegte die Brauen auf und ab und verdrehte die Augen. »Noch mehr lächeln, viel mehr, man muss Zähne sehen.«

Es blieb ihr nichts anderes übrig. Pelagia schob die Lippen auseinander, so weit es irgend ging.

Zwei Soldaten in verwaschenen blauen Uniformen und ein Offizier mit einem Säbel am Koppel, womöglich jener Said-Bej persönlich, traten auf ihren Wagen zu.

Der Offizier wies mit dem Finger zornig auf Pelagia und fing an zu schimpfen. Den Wagen mit der Erde beachtete er gar nicht, der Glückspilz konnte unbehelligt unter dem Schlagbaum, der sich schaukelnd vor ihm in die Höhe bewegte, hindurchfahren.

Polina verstand nur das Wort »Kadyn«. Vielleicht hieß das ja auf Türkisch »Frau«. Natürlich, gleich würde sie der Offizier zurückschicken, und die Reise wäre zu Ende.

Salach jedoch ließ das Gezeter völlig unbeeindruckt. Er sagte ein paar Worte zu dem Offizier und lachte. Daraufhin schaute Said-Bej Pelagia neugierig an und stellte eine Frage. In seiner Stimme klang offener Zweifel.

Plötzlich ergriff der Palästinenser den Saum ihres Kleides und hob ihn an. Vor Schreck fing Pelagia so heftig an zu lächeln, dass ihre Ohren wackelten.

Die Soldaten wieherten los, auch der Offizier lachte und winkte mit der Hand – also gut, fahr durch.