Während sie die schattige Straße zum Westtor entlangging, den Entgegenkommenden freundlich zunickte, diesen und jenen küsste, war sie in Gedanken schon ganz bei ihrem Garten. Bevor die Sonne unterging, mussten noch die Beete aufgelockert werden, damit die Setzlinge atmen konnten. Morgen sollte eine Lieferung Regenwürmer aus Haifa kommen, dann konnte man endlich die Pfirsichallee ernsthaft in Angriff nehmen. In ein, zwei Jahren würde es in Sodom so prächtige Gärten geben, wie sie diese unglückselige Gegend nicht einmal zu Lots Zeiten gekannt hatte.
Dafür lohnte es sich zu leben! Nicht lustlosen Gymnasiasten Latein eintrichtern, sondern Gärten und Blumenbeete anlegen! Obwohl, Russland war natürlich ein Paradies für Pflanzen, dort gab es Wasser in Hülle und Fülle und fruchtbare Erde, nicht so wie hier.
Allerdings, solche Schwarzerde, wie sie hier angekarrt wurde, gab es nicht einmal in Russland. Die kostete aber auch ein immenses Geld. Zum Glück war Mister Cyrus sehr reich.
Als sie die Stadtmauern hinter sich gelassen hatte, schritt Irodiada energisch aus. Die Hitze vollkommen vergessend, lief sie geschäftig zwischen den Bäumen, Sträuchern und Beeten hin und her. Sie las dem Obergärtner die Leviten, der die Rosen, genau wie sie vermutet hatte, alle gleich viel gegossen hatte, obwohl doch die auf der östlichen Seite, wo nachts eine Brise wehte, viel weniger Wasser brauchten. Dshemal hörte ihr aufmerksam zu, er wusste, dass diesem alten Luti von Allah die besondere Gabe verliehen war, das Leben der Pflanzen zu verstehen, und er achtete diese Begabung.
Auf der Universität hatte Irodiada neben anderen überflüssigen Weisheiten auch Althebräisch gelernt, deshalb fiel ihr das Arabische jetzt erstaunlich leicht. Schon nach zwei Wochen gemeinsamer Arbeit hatten Dshemal und sie sich hervorragend verstanden.
»Was soll das denn?«, fragte Irodiada und deutete unzufrieden auf das bewusste Fuhrwerk mit der Schwarzerde. »Wo ist der Fuhrmann? Warum hat er nicht abgeladen?«
»Dort ist eine Frau«, sagte Dshemal und zeigte auf eine Gruppe von Rosensträuchern. »Wie die wohl hierher gekommen ist? Sadyk ist fortgegangen, um es der Wache zu melden.«
Er verbeugte sich und ging, um die Beete zu gießen.
Irodiada wandte sich um. Tatsächlich, hinter einem der Sträucher versteckte sich jemand.
Als sie näher kam, sah sie, dass es wahrhaftig eine Frau war, eine richtige Frau, nicht etwa ein verkleideter Mann, das sah man sofort. Diese Haltung, diese spezielle Neigung des Kopfes, die leicht abgespreizte Hand, das kann man nicht nachmachen, egal, wie sehr man sich auch bemüht.
Die sollte lieber zusehn, dass sie hier wegkam, der Chef des Sicherheitsdienstes war ein ehemaliger britischer Oberst, mit dem war nicht gut Kirschen essen. Er würde die Ruhestörerin den türkischen Wachleuten übergeben und außerdem Said-Bej für seine Nachlässigkeit bestrafen; und der würde an dem neugierigen Dummerchen dann sein Mütchen kühlen, diese Orientalen waren nicht gerade die geborenen Gentlemen.
Jakow Michailowitsch lauscht
Er hätte nie im Traum daran geglaubt, dass die Sache so glatt gehen würde. Er hatte richtig Glück gehabt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort, wie man sagt.
Dabei hätte er sich zuerst am liebsten ins Ohr beißen mögen vor Ärger, weil er sich in dieser klebrigen Blumenerde sozusagen lebendig begraben hatte. Wie hatte er sich selber verflucht, während sie da im Schneckentempo die Chaussee entlangzu-ekelten. Was für eine Affenhitze herrschte da in seinem Versteck, und überall krochen ihm die Würmer in die Kleider. So ein freches Aas hatte sich ihm sogar ins Nasenloch gebohrt, ein Wunder, dass er keinen Niesanfall bekam.
Zum Atmen hatte er ein Schilfrohr durch die Erde gesteckt. Später bastelte er sich auch was zum Rausgucken. Jakow Michailowitsch hatte nämlich einen langhalsigen Tonkrug mit Trinkwasser mitgenommen. Den Inhalt hatte er sich nach und nach einverleibt (und nebenbei auch ein Häppchen von Mutter Erde gekostet), und jetzt dachte er sich für das Gefäß eine neue nutzbringende Verwendung aus. Er brach einfach den Hals vom Korpus ab, wodurch eine Art Rohr entstand. Dieses ruckelte er vorsichtig durch die Erde nach draußen, und fertig war der Ausguck. Der Krug hatte dieselbe Farbe wie die Erde, sodass von außerhalb auch auf zwei Schritt Entfernung nichts zu erkennen war. Genau genommen eröffnete sich ihm dadurch kein besonders weites Blickfeld, aber besser als gar nichts. Es war ein bisschen wie ein Fernrohr, oder dieser komische Stab, den sie in Unterseebooten haben. Periskop hieß der.
Als dann die Fuhre an ihrem Bestimmungsort angekommen war, da zeigte sich erst, was für ein Glück er gehabt hatte. Der Rotfuchs nämlich, den Jakow Michailowitsch die ganze Zeit über durch sein Periskop im Auge behalten hatte, kam genau zu diesem Fleck hingetappelt. Sie kletterte aus ihrem Elendsgefährt und stellte sich hinter einem Rosenbusch auf, so nah, dass er sie von seinem Beobachtungspunkt aus mit der Hand hätte erreichen können.
Die Nonne seufzte und jammerte ein bisschen herum, wie sie denn jetzt in die Stadt käme. Ihren Araber allerdings, diesen Salach, rührte das nicht im Geringsten.
»Du musst dich einfach als Junge verkleiden, du dusslige Ziege«, knurrte der heimliche Beobachter vorwurfsvoll. »Na los, noch hast du Zeit, tummle dich!«
Aber die trat nur von einem Bein aufs andere und seufzte weiter.
Allerdings machte er sich nicht wirklich Sorgen um sie. Er wusste aus schmerzlicher Erfahrung, dass sie ganz und gar nicht dusslig war und ihr ganz bestimmt etwas einfallen würde. Die gab nicht so schnell auf. Es war schon ein guter Einfall gewesen, auf die Rote zu setzen, das hatten sie sich schlau überlegt.
Viel eher sorgte er sich, dass sie ihm womöglich wieder entwischen könnte. Ein verdammt fixes Aas war die, und unberechenbar! Schließlich konnte der Herrgott nicht jedes Mal extra für Jakow Michailowitsch ein Wunder herbeizaubern.
Plötzlich hörte er Schritte. Dann sagte eine hohe, fistelnde Stimme, die irgendwie weder männlich noch weiblich klang:
»Madame, vous n’avez pas le droit de rester ici.« (»Madame, Sie dürfen sich hier nicht aufhalten.« , franz.). Und dann ein erstaunter Ausruf auf Russisch: »Sie!?«
Jakow Michailowitsch richtete sein Periskop nach der seltsamen Stimme aus. In seinem Guckkreis erschien ein ältliches, stark geschminktes Weibsbild. Sie trug eine schwere Perücke, ein leichtes, wallendes Kleid und Sandalen an den Füßen (ziemlich großen Füßen übrigens). Alles klar, ein Sodomit in Frauenkleidern.
Die Nonne freute sich über den alten Päderasten wie über die eigene Mutter.
»Ach, was für ein Glück, dass ich Sie hier treffe! Guten Tag, liebe Iraida!«
»Irodiada«, korrigierte der verkleidete Kerl, patschte ebenfalls die Hände zusammen und plapperte drauflos: »Wie kommen Sie denn hierher, meine Liebe? Und warum tragen Sie keine Kutte? Was machen Sie hier?«
Der Rotfuchs antwortete nicht gleich, und Jakow Michailowitsch schwenkte sein Guckrohr auf sie um. Die Nonne runzelte die Stirn, als sei sie unschlüssig, ob sie die Wahrheit sagen sollte oder nicht.
Sie sagte die Wahrheit.
»Wissen Sie . . . Ich muss unbedingt jemanden finden.«
»Wen denn?«
»Es handelt sich um einen sehr sonderbaren Menschen. Ich meine, er kleidet sich seltsam und spricht seltsam . . . In Bet-Kerim hat man mir berichtet, er sei dort gewesen und gestern früh nach Sodom aufgebrochen. Da dachte ich, er wäre vielleicht noch hier . . . Es ist so ein Magerer, mit zerzaustem Bart, und er trägt einen weißen Kittel mit blauem Gürtel . . .«
»Manuila? Suchen Sie einen Mann, der sich Manuila nennt?«, rief der Perversling mit veränderter, tiefer Stimme.
»Ja! Haben Sie ihn gesehen? Sagen Sie doch, haben Sie ihn gesehen? Ich muss unbedingt mit ihm sprechen! Wenn Sie ihn hierher bringen könnten . . .«