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Uns aber scheint, es lag außer diesem löblichen Bemühen um die Rettung einer menschlichen Seele auch noch ein psychologischer Grund vor, über den der Bischof sich wohl eher keine Rechenschaft ablegte. Mitrofani war aufgrund seines Mönchsstands die süße Bürde der Vaterschaft verwehrt, aber die entsprechenden Emotionen des Herzens hatte er noch nicht vollständig ausgelebt, und während Pelagia bei ihm bis zu einem gewissen Grade die Stelle einer Tochter einnahm, war der Platz eines Sohnes vor dem Auftauchen von Alexej Stepanowitsch nicht besetzt gewesen. Der scharfsinnige Matwej Benzionowitsch, selbst erfahrener Vater zahlreicher Kinder, war der Erste, der Schwester Pelagias Aufmerksamkeit auf diesen möglichen Grund für die ungewöhnliche Zuneigung des Bischofs zu dem vorwitzigen Jüngling lenkte, und bewies, auch wenn er im Grunde seines Herzens natürlich gekränkt war, genügend Ironie, um zu scherzen: »Seine Eminenz hätte vielleicht auch mich gerne als Sohn genommen, doch dann hätte er obendrein ein Dutzend Enkelkinder adoptieren müssen, und zu einer solchen Heldentat wird sich kaum jemand bereit finden.«

Wenn sie beieinander waren, erinnerten Mitrofani und Aljoscha (man möge uns diesen respektlosen Vergleich verzeihen) mehr an einen großen alten Hund und sein mutwilliges Junges, das herumtollt und bald den Vater am Ohr zerrt, bald auf ihm herumklettert, bald ihn mit seinen winzigen Zähnchen in die Nase beißt; eine Zeit lang erträgt der Alte diese Neckerei mit Ergebenheit, aber wenn das Hündchen sich zu ungebärdig aufführt, bellt er es leicht an, oder er drückt es mit seiner mächtigen Pfote zu Boden – aber sachte, um es nicht zu verletzen.

***

Am Tag nach der denkwürdigen Teestunde musste der Bischof in einer unaufschiebbaren Angelegenheit zu einer weit entfernten Diözese fahren, doch er vergaß seinen Entschluss nicht und rief gleich nach seiner Rückkehr Alexej Stepanowitsch zu sich, nachdem er noch zuvor nach Berditschewski und Pelagia geschickt hatte, um ihnen – nun schon ohne jedes Paradox – seine Gründe darzulegen.

»Die Entscheidung, ausgerechnet Lentotschkin zu schicken, hat einen zweifachen Grund«, erläuterte der Bischof seinen Ratgebern. »Zum einen ist es für die ganze Sache besser, wenn sich jemand mit diesen Chimären auseinander setzt, der nicht zum Mystizismus neigt« (bei diesen Worten warf der Bischof einen Seitenblick auf seine geistliche Tochter), »sondern der ein Mensch von möglichst skeptischer, ja materialistischer Weltanschauung ist. Seinem Charakter nach neigt Alexej Stepanowitsch dazu, jedem unerklärlichen Phänomen auf den Grund zu gehen und nichts auf Treu und Glauben anzunehmen. Er ist klug, erfindungsreich und unverfroren obendrein, was sich im gegebenen Fall als sehr angebracht erweisen kann. Und zum anderen«, Mitrofani hob den Finger, »nehme ich an, dass auch für den Entsandten selbst diese Mission nicht ohne Nutzen sein wird. Mag er nur sehen, dass es Menschen gibt – und zwar viele denen das Geistige teurer ist als das Fleischliche. Mag er die reine Luft des heiligen Klosters atmen. Dort in Ararat, so habe ich gehört, ist die Luft eine ganz besondere: Die Brust fängt vor Begeisterung an zu klingen, als atme man alles Übel aus und paradiesische Ambrosia ein.«

Der Bischof schlug die Augen nieder und fügte leise, fast unwillig hinzu:

»Er ist ein lebhafter, wissbegieriger Junge, aber ihm fehlt der Angelpunkt, den einem Menschen allein der Glaube gibt. Wer ärmer an Verstand und schwächer an Gefühl ist, der kann wohl auch so auskommen – er wird irgendwie überleben, aber Aljoscha ist ohne Gott dem Untergang geweiht.«

Berditschewski und Pelagia warfen sich verstohlen einen Blick zu, und aus einem plötzlichen schweigenden Einverständnis heraus widersprachen sie dem Bischof nicht – das wäre respektlos und auch grausam gewesen.

Bald erschien auch Alexej Stepanowitsch, der nicht ahnte, welche weit reichenden Pläne der Bischof mit ihm hatte.

Lentotschkin begrüßte die Anwesenden, schüttelte seine kastanienbraunen Locken, die ihm beinahe bis zur Schulter reichten, und erkundigte sich fröhlich:

»Warum haben Sie denn Ihre gesamte Inquisition zusammengerufen, Torquemada? Welche Folter haben Sie sich für den Häretiker ausgedacht?«

Der junge Mann hatte, wie gesagt, einen überaus scharfen Verstand und begriff sogleich, dass diese Versammlung nicht von ungefähr zustande gekommen war, so wie er auch den besonderen Ausdruck auf den Gesichtern der Anwesenden bemerkte. Und was »Torquemada« betrifft, so handelte es sich dabei um einen Scherz von Alexej Stepanowitsch, der Vater Mitrofani gerne mit dem Namen irgendwelcher historischer Personen von geistlichem Stand belegte: Bald nannte er ihn Kardinal Richelieu, bald Protopop Awwakum oder sonst wie, je nach dem Verlauf des Gesprächs und der Stimmung des Bischofs, bei dem man in der Tat bisweilen den staatsmännischen Verstand des französischen Duc, die ungestüme Leidenschaft des altgläubigen Märtyrers und wohl auch die Furcht gebietende Strenge des kastilischen Großinquisitors entdecken konnte.

Mitrofani lächelte nicht über den Scherz, sondern berichtete mit absichtlich dürren Worten über die beunruhigenden Vorkommnisse in Neu-Ararat und erläuterte dem jungen Mann ohne überflüssige Worte den Sinn des Auftrags, um mit der folgenden Bemerkung zu schließen:

»Ein Konsistorialauditor führt laut Dienstvorschrift nicht nur die Buchhaltung, sondern beschäftigt sich auch mit sonstigen Angelegenheiten der Eparchie, die einer besonderen Überprüfung bedürfen. Also fahr hin und überprüfe das. Ich verlasse mich auf dich.«

Alexej Stepanowitsch hörte sich die Geschichte von dem schwarzen Mönch, der über das Wasser wandelt, zunächst mit ungläubigem Staunen an, als fürchte er, man halte ihn zum Narren; er warf sogar zweimal eine hämische Bemerkung ein, bis er begriff, dass dies eine ernsthafte Unterhaltung war, und seine Scherze unterließ, auch wenn er von Zeit zu Zeit nicht ohne Schalk eine Augenbraue nach oben zog.

Alexej Stepanowitsch hörte den Bischof zu Ende an, schwieg dann eine Weile, schüttelte den Kopf und schien den »zweifachen Grund« für die unerwartete Entscheidung seines Gönners sehr gut zu durchschauen.

Er lächelte mit seinen vollen Lippen, wodurch sich auf seinen roten Wangen prächtige Grübchen bildeten, und breitete begeistert die Arme aus:

»Nun, Sie sind ein Schlaumeier, Bischof von Autun! Sie wollen wohl zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen? Wünschen Sie meine Meinung über diese mysteriösen Vorfälle zu hören? Ich denke, dass . . .«

»Was du denkst, ist hier nicht von Belang«, unterbrach ihn der Bischof, dem die Anspielung auf Talleyrand noch weniger gefiel als der Vergleich mit dem Großinquisitor.

»Ich denke aber trotzdem!« versetzte Lentotschkin kampflustig.

Mitrofani runzelte die Stirn, um dem Spaßvogel zu verstehen zu geben, dass er seine Grenzen weit überschritten habe.

Er schlug das Kreuz über den Jüngling und sprach leise:

»Fahr hin. Der Herr schütze dich.«

ERSTER TEIL

Die Expedtion nach Kanaan

DIE ERSTE EXPEDITION

Abenteuer eines Spötters

Alexej Stepanowitsch brauchte nicht lange, um seine Vorbereitungen zu treffen, und so begab er sich bereits am zweiten Tag nach dem Gespräch mit dem Bischof auf seine geheime Expedition, nachdem er strengste Anweisung erhalten hatte, auf jeden Fall mindestens alle drei Tage einen schriftlichen Bericht zu schicken.

Die Reise nach Neu-Ararat nahm, wenn man das Warten auf das Schiff in Sineosjorsk und die anschließende Überfahrt einberechnet, etwa vier Tage in Anspruch, und der erste Brief traf nach genau einer Woche ein, was bedeutete, dass Aljoscha ungeachtet seines ganzen Nihilismus ein gewissenhafter Entsandter war, der seine Vorgaben genau einhielt.