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Als sie meinen Blick spürte, wandte die Prinzessin mir ihr Profil zu, das ich nicht ganz deutlich erkennen konnte, weil das Gesicht ihrer Hoheit von einem rauchgrauen Voile-Schleier verhüllt war, doch das, was ich sah, war völlig ausreichend: Eine feine, kaum merklich gebogene Nase, ein feucht blitzendes Auge. . . Sie kennen doch diese weibliche Besonderheit (aber nein, woher auch – Ihrem Zölibat?), mit einem Seitenblick, ohne sich allzu auffällig umzudrehen, einen möglichst weiten Umkreis zu erfassen. Ein Mann müsste dazu den Hals und die Schultern drehen, aber so eine Verführerin wirft kaum einen Blick zur Seite und hat augenblicklich alles Notwendige gesehen.

Ich bin sicher, dass die Prinzessin meine bescheidene (nun gut – meine unbescheidene) Person in allen Einzelheiten erblickt hatte. Und beachten Sie, sie wandte sich nicht sogleich ab, sondern berührte zunächst mit einer leichten Geste ihren Hals und wandte mir erst dann wieder ihren königlichen Nacken zu. Wie viel bedeutet diese Geste, dieser unwillkürliche Flug der zarten Finger zur Quelle des Atems!

Ach ja, ich vergaß zu erwähnen, dass die Schöne allein im Cafe saß – geben Sie zu, das ist eher unüblich – was mich zusätzlich neugierig machte. Möglicherweise wartete sie auf jemanden, vielleicht aber blickte sie einfach nur aus dem Fenster, auf den Platz hinaus. Angeregt von ihren zarten Fingern, meinen geheimen Bundesgenossen, verwandte ich all meine mathematischen Fähigkeiten auf die Lösung dieser Aufgabe: Wie könnte ich auf schnellstem Wege eine Bekanntschaft mit dieser Circe von Neu-Ararat anknüpfen? Doch es gelang mir nicht, dieses Integral zu lösen. Sie erhob sich unvermittelt, ließ ein paar Silbermünzen auf den Tisch fallen und ging schnell hinaus, nachdem sie mir unter ihrem Schleier hervor noch einen kohlschwarzen Blick zugeworfen hatte. Der Kellner sagte, die Dame sei häufig im Cafe. Das heißt, ich habe also noch eine Chance, überlegte ich, und da ich nichts Besseres zu tun hatte, malte ich mir allerlei verführerische Bilder aus, die Sie als geistliche Person nicht unbedingt kennen müssen.

Ich schildere Ihnen besser meine Eindrücke von der Insel.

An einen merkwürdigen Ort habt Ihr mich geschickt, Rebbe.

Der zentrale Platz, an dem das Hotel gelegen ist, sieht aus, als sei man in einer Stadt wie Baden-Baden: zwei – und sogar dreistöckige Häuser aus Stein, in leuchtenden Farben gestrichen, ein ordentliches Publikum spaziert umher, am Abend ist es beinahe so hell wie am Tag. Allenthalben gibt es überaus weltliche, ich würde sogar sagen, eitle Einrichtungen mit unglaublichen Namen: die Restauration »Balthasars Gastmahl«, wo man Fleisch essen kann, den Coiffeursalon »Dalila«, das Souvernirlädchen »Gaben des Wolchow«, das Bankkontor »Spende der Witwe« und dergleichen mehr. Geht man nur wenige Minuten weiter, kommt es einem vor, als sei man kurz nach Gründung unserer schwindsüchtigen Hauptstadt, etwa im Jahre 1704, ans Ufer der Newa geraten: Arbeiter laufen mit Schubkarren umher, schlagen Pfosten in den sumpfigen Boden, sägen Balken und heben Gruben aus. Es sind sämtlich bärtige Männer in schwarzen Kutten, aber mit hoch gekrempelten Ärmeln und Schürzen aus Wachstuch, die Verkörperung des revolutionären Traums – den parasitären Klerikerstand zu gesellschaftlich nützlicher Arbeit zu zwingen.

Mehrmals am Tag trifft man an den unerwartetsten Orten auf den Gebieter dieses ganzen Ameisenhaufens, die Oberameise Witali den Zweiten (sic!), der tatsächlich Ähnlichkeit mit Peter dem Großen hat: Er ist hoch aufgeschossen, gebieterisch und ungestüm und macht so weit ausholende Schritte, dass die Kutte sich wie ein Ballon aufbläht und seine Suite kaum mithalten kann. Das ist kein Pope, sondern eine Kanonenkugel. Man müsste Euch, Mönch Pereswet, direkt mit ihm konfrontieren und sehen, wer wen bezwingt. Ich würde wahrscheinlich trotz allem auf Euch setzen – der Archimandrit schießt vielleicht schneller als Sie, aber Sie haben das größere Kaliber!

Hier auf den Inseln hat man sich anscheinend die für Russland sehr ungewöhnliche Kunst angeeignet, aus allem – und sogar aus nichts – Geld zu machen. Bei uns ist es normalerweise doch umgekehrt: Je mehr Golderz oder Diamanten uns vor den Füßen liegen, desto verheerender sind die Verluste, aber hier – kaum hatte Witali beschlossen, die unbrauchbare steinige Erde auf dem Prawednitscheski-Vorgebirge nutzbar zu machen, entdeckte man, dass es sich nicht um gewöhnliche, sondern um heilige Steine handelt, weil sie mit dem Blut der heiligen Märtyrer benetzt sind, denen die berittenen Landsknechte des schwedischen Grafen Delagardi dort vor dreihundert Jahren den Garaus machten. Die Steine haben tatsächlich eine rotbraune Farbe, doch ich nehme an nicht vom Blut, sondern weil sie mit Mangan durchsetzt sind. Das ist aber auch völlig unwichtig, wichtig ist, dass die Pilger heute selbst Stücke von den runden Feldsteinen abhauen und mit nach Hause nehmen. Dort steht ein Mönch mit einer Spitzhacke und einer Waage. Wenn man die Spitzhacke benutzen will, muss man fünfzehn Kopeken bezahlen. Wenn man einen heiligen Stein mitnehmen will, muss man ihn wiegen und bezahlen – neunundneunzig Kopeken das Pfund. So lässt Witali die untaugliche Parzelle allmählich räumen, und die Klosterkasse hat ihren Vorteil davon. Ist das nicht schlau ausgedacht?

Oder das Wasser. Eine ganze Schar von Mönchen füllt das hiesige Brunnenwasser in Flaschen ab, setzt Verschlüsse auf die Flaschen und beklebt sie mit einem Etikett: »Erzbischöfliches Nass aus Neu-Ararat, gesegnet von Seiner Hochehrwürden Vater Witali«, und dieses H2O wird dann en gros aufs Festland geschickt – nach Petersburg und besonders ins fromme Moskau. In Ararat aber sind zur Bequemlichkeit der Pilger wahre Wunderwerke aufgestellt, »Automaten mit heiligem Wasser«: In einem hölzernen Pavillon stehen komplizierte Apparaturen, die sich die hiesigen Kulibins ausgedacht haben. Steckt man ein Fünfkopekenstück in einen Schlitz, fällt dieses auf ein Ventil, woraufhin sich eine Klappe öffnet und heiliges Wasser in ein Krüglein fließt. Man kann es auch teurer haben: für zehn Kopeken wird dem Wasser noch Himbeersirup beigemengt, ein ganz besonderer; »dreifach gesegneter«. Es heißt, im Sommer stehen die Leute Schlange vor den Automaten, aber ich hatte kein Glück – zum Herbst wird der Pavillon geschlossen, damit die ausgeklügelte Technik durch den Nachtfrost keinen Schaden nimmt. Aber das macht nichts, früher oder später wird Witali eine Dampfmaschine zum Beheizen auf stellen lassen, dann werden die Automaten ihm auch im Winter Früchte einbringen.

Und dann noch Folgendes: Einige Desjatinen besten Landes außerhalb der Stadt hat der Archimandrit einer privaten psychiatrischen Heilanstalt vermietet, wofür er entweder fünfhunderttausend oder siebenhunderttausend im Jahr bekommt. Diese betrübliche Institution wird von einem gewissen Donat Korowin geleitet, aus der Familie jener Korowins, denen die Hälfte der Bergwerke und der Fabriken im Ural gehört. Die Cousins des Doktors saugen also ihre Brüder in Christo bis aufs Blut aus, während Donat Sawwitsch verletzte Seelen heilt. Allerdings sagt man, dieser millionenschwere Äskulap nehme nur einige wenige Auserwählte, deren Krankheit ihm vom wissenschaftlichen Standpunkt aus interessant genug erscheint, in sein wunderbares Krankenhaus auf.

Ich habe seine Heilanstalt gesehen. Keine Wände, keine Schlösser an den Türen, nur Wiesen und Wäldchen, Puppenhäuschen, kleine Pagoden, Gartenlauben, Teiche und Bäche, Orangerien – ein paradiesischer Ort. Da möchte ich mich wohl auch ein, zwei Wochen lang kurieren lassen. Korowin arbeitet nach der allerfortschrittlichsten Methode, die für die Psychiatrie sogar revolutionär ist. Aus der Schweiz und selbst – man wagt es kaum auszusprechen – aus Wien kommen Leute, um bei ihm zu lernen. Nun, vielleicht auch nicht um zu lernen, sondern aus Neugierde, aber es ist trotzdem sehr schmeichelhaft.