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Dieser in jeder Hinsicht erstaunliche Brief rief bei den Teilnehmern der Zusammenkunft unterschiedliche Reaktionen hervor.

»Er will mutig erscheinen, ist aber zu Tode erschrocken«, bemerkte der Bischof. »Ich erinnere mich noch sehr gut, wie schrecklich es ist, wenn die Welt auf den Kopf gestellt wird. Nur war es bei mir umgekehrt: Von Kindheit an hatte ich geglaubt, dass der Geist die Welt beherrscht, und als mich das erste Mal der Verdacht beschlich, es gebe keinen Gott, sondern nur Materie, wurde mir bang und unbehaust zumute. Damals bin ich Mönch geworden, um die Welt wieder zurechtzurücken.«

»Wie?«, fragte Berditschewski verdutzt. »Sie, Sie hatten solche Zweifel? Und ich nahm immer an, dass . . .«

Er wurde verlegen und sprach nicht weiter.

»Dass nur du solche Zweifel hast?«, beendete Mitrofani den Satz mit einem unfrohen Lachen. »Und dass in mir nur Heiligkeit ist? Nein, Matwej, das gibt es nur bei Köpfen, die arm an Verstand sind; einem denkenden Menschen werden schwere Versuchungen zur Prüfung gesandt. Selig ist nicht der, der nie in Versuchung gerät, sondern derjenige, der diese überwindet. Jemand, der niemals und an nichts zweifelt, ist in der Seele tot.«

»Also glauben Sie an diese Wunder, Vater?«, fragte Schwester Pelagia und unterbrach ihr Stricken. »An die Erscheinung, an das Wandeln auf dem Wasser und so weiter? Früher haben Sie ganz anders gesprochen.«

»Was meint der Junge nur mit dem Wechsel der Rüstung?«, murmelte der Bischof nachdenklich vor sich hin, als hätte er die Frage nicht gehört. »Ich verstehe das nicht. . . Ach, wie interessant und vieldeutig sind die Wege des Herrn!«

Pelagia hingegen machte eine Bemerkung psychologischer Natur.

»Nach dem ersten Brief hatte ich angenommen, Ihr Gesandter habe sich von der verführerischen Dame ablenken lassen und Ihren Auftrag vergessen, was auch die Unterbrechung in der Korrespondenz erklärt hätte. Die Dame wird aber hier nur einmal flüchtig erwähnt. Ich weiß nicht, ob Alexej Stepanowitsch die Wahrheit über die Erscheinung schreibt, doch es ist vollkommen klar, dass der junge Mann tatsächlich eine schwere Erschütterung erlebt hat. Andernfalls hätte er eine so anziehende Person nicht einfach vergessen.«

»Frauen haben nur eines im Kopf«, bemerkte der Bischof verdrossen und runzelte die Stirn. »Immerzu überschätzt ihr eure Wirkung auf die Männer. Es gibt geheimnisvollere Dinge auf der Welt als romantische Unbekannte mit einem Schleier. Man muss dem Jungen helfen. Er braucht Unterstützung, auch wenn er das abstreitet.«

Matwej Benzionowitsch, der die Überlegungen des Bischofs und seiner geistlichen Tochter mit verwundert hochgezogenen Augenbrauen angehört hatte, konnte sich nicht mehr zurückhalten:

»Meinen Sie das im Ernst? Wahrhaftig, Vater, ich wundere mich über Sie! Sie nehmen diese Märchen doch wohl nicht für bare Münze? Lentotschkin führt Sie an der Nase herum, er spielt sich doch nur schamlos auf! Selbstverständlich ist er die ganze Zeit hinter seiner Prinzessin hergelaufen, und nun denkt er sich Märchen aus, um sich über Sie lustig zu machen. Das ist doch offensichtlich! Eines nur will mir nicht in den Kopf – wie konnten Sie diesen leichtsinnigen Grünschnabel mit einer so verantwortungsvollen Mission betrauen? Bei Ihrer Menschenkenntnis!«

Aus den Worten des stellvertretenden Bezirksstaatsanwalts sprachen so viel Logik und gesunder Menschenverstand, dass Mitrofani in Verlegenheit geriet und selbst Pelagia zwar den Kopf schüttelte, aber nicht widersprach.

So gingen sie auseinander, ohne einen Beschluss gefasst zu haben. Wertvolle Zeit verstrich ungenutzt. Das wurde zwei Tage später deutlich, als der dritte Brief eintraf.

Von den herbstlichen Regengüssen waren die Straßen unterspült, die Postkutsche hatte große Verspätung, und so brachte man dem Bischof den Brief erst mitten in der Nacht. Ungeachtet der späten Stunde schickte der Bischof unverzüglich nach Berditschewski und Pelagia.

***

Alexej Stepanowitschs dritter Brief

Heureka! Die Methode ist gefunden!

Das Schwierigste war, sich vom materialistischen Koordinatensystem loszusagen, das fälschlicherweise zweidimensional ist. Es ignoriert die dritte Dimension, die ich als die mystische bezeichnen würde – ich bin sicher, mit der Zeit wird sich ein anderer, weniger emotionaler Terminus finden lassen. Doch zunächst muss man ein Untersuchungssystem und eine Messtechnik ausarbeiten. Die zeitgenössische Wissenschaft beschäftigt sich überhaupt nicht damit, weil sie sich in voller Übereinstimmung mit Ihrem angebeteten Ekklesiasten befindet, der da gesagt hat: »Krummes kann nicht gerade werden, und was es nicht gibt, kann man nicht zählen.« Aber unterdessen hat der Begründer des wissenschaftlichen Fortschritts, Galilei, eine andere These entwickelt. Er formulierte das wichtigste Dogma eines Wissenschaftlers so: »Messen, was messbar ist – messbar machen, was nicht messbar ist.«

Folglich muss man das Mystische messbar machen.

Die materialistische Wissenschaft mag diese Aufgabe nicht anerkennen, doch früher, vor dem Anbruch der Epoche der Vernunft, gab es noch eine andere Wissenschaft, die magische Wissenschaft, die jahrhundertelang versucht hat, das zu berechnen, was man gemeinhin als übernatürlich bezeichnet. Und so weit mir bekannt ist, hat sie auf diesem Gebiet einiges erreicht!

Diese Prämisse, zu der ich erst vorgestern gelangt bin, hat mich auch zur Lösung der Aufgabe geführt.

Ich habe wohl schon geschrieben, dass es im Kloster eine Bibliothek gibt, in der eine Vielzahl neuer und alter Bücher religiösen Inhalts zusammengetragen ist. Ich war auch zuvor schon dort gewesen und hatte aus lauter Langeweile einiges durchgeblättert, »Das geistliche Alphabet« etwa, Johannes Klimakos, Efrem Sirin oder das »Väterbuch von Neu-Ararat«, aber dieses Mal habe ich mich mit Sinn und Verstand auf die Suche gemacht.

Und siehe da, am zweiten Tag, also gestern, habe ich ein Buch aus dem Jahre 1747 gefunden, eine Übersetzung aus dem Lateinischen: »Über die Beschwörung der guten Geister und die Bezwingung der bösen Geister.« Ich fing an zu lesen und erschauerte! Genau das, was ich brauche! Ganz genau! (Dieser Zufall ist übrigens ein weiterer Beweis für die Existenz der mystischen Dimension.)

In diesem alten Buch steht schwarz auf weiß geschrieben: »Und wenn der körperlose Geist da, wo das Körperliche ist« (modern ausgedrückt, das Materielle), »ein Zeichen von sich hinterlässt, dann ist dieses Zeichen wie ein Schwanz, an dem man den Geist packen und aus der Körperlosigkeit in die Welt ziehen kann.« Die weitschweifigen, naiven Ausführungen über die Fehlerhaftigkeit des Satans, der sich im Unterschied zum allgegenwärtigen Herrn manchmal Versäumnisse zuschulden kommen lässt und deshalb besiegt werden kann und muss, werde ich hier nicht wiedergeben, sondern ich komme gleich zur Sache.

Wenn also eine Substanz, die der mystischen Dimension angehört, aus Unachtsamkeit ein stoffliches Zeichen ihrer Anwesenheit in unserer materiellen Welt hinterlassen hat, dann kann dieses physische Zeichen vom Menschen benutzt werden, um das Phantom in die Welt der Stofflichkeit zu holen, die von unseren Sinnesorganen wahrgenommen wird. Das ist die Hauptsache!

Weiter wird in diesem Traktat auf mehreren Seiten ausführlich dargelegt, was man dazu tun muss.

Man muss sich genau um Mitternacht, wenn die dritte Dimension sich mit den beiden anderen vereinigt und als Resulta die Transformation der Zeit stattfindet (die im irdischen Sinn innezuhalten scheint), vor das Zeichen hinstellen, das Kreuz schlagen und die magische Formel sprechen: »Komm, unreiner Geh (oder: heiliger Geist, je nach Bedarf), zu dem Zeichen, das du hinterlassen hast, gemäß der Übereinkunft von Gabriel mit den Teufel.« Dabei muss der Bittsteller völlig nackt sein, er darf weder Ringe noch ein Brustkreuz oder irgendwelche anderen Ge genstände am Körper tragen, denn jeder dieser Gegenstände selbst der allerkleinste, wird im Moment der Transformation um ein Vielfaches schwerer und behindert die Bewegung.