Die Formel lässt nicht nur sofort den unachtsamen Geist von dem Bittsteller erscheinen, sie schützt diesen auch vor Gefahr Und wenn der Geist trotzdem Rache nehmen will (das geschieh allerdings nur bei bösen Geistern, während Wassilisk allem Anschein nach in die Kategorie der guten Geister gehört), kann man sich einfach mit den Worten: »Credo, credo, Domine!« vor den Angriff schützen. (Ich nehme an, auch das einfache »Ich glaube ich glaube, Herr!« wird seinen Zweck erfüllen – es geht hier schließlich nicht um den Klang, sondern um den Sinn der Worte.
Ein materielles Zeichen gibt es: das Kreuz auf dem Fenster in der Hütte des Bakenwärters. Nachts ist dort keine Menschenseele, sodass ich mit meiner Nacktheit niemanden schockiere (außerdem kann ich zunächst hineingehen und mich erst dann entkleiden). Die magische Formel habe ich auswendig gelernt, und das Gebet zu behalten, ist auch nicht schwer.
Versuchen wir es, Probieren geht über Studieren. Im schlimmsten Falle mache ich mich zum Narren – aber das ist auch nicht weiter schlimm.
Wenn es nicht gelingt, werde ich weiterforschen, wie man das Unmessbare messbar machen kann.
Heute Nacht werde ich hingehen. Behalten Sie mich nicht in schlechter Erinnerung, Vater. Wenn etwas passiert, mag in Ihren Gebeten wenigstens bisweilen erinnerlich sein
Ihr Sie liebender und verehrender
Aljoscha Lentotschkin
***
Man müsse nach Neu-Ararat fahren, und zwar unverzüglich, verkündete der Bischof sogleich nach der Verlesung des Briefes, ohne seine Ratgeber nach ihrer Meinung zu fragen, als sei das bereits wohl durchdacht und beschlossene Sache. Im Übrigen wussten Berditschewski und Pelagia anscheinend vor Bestürzung ohnehin nicht recht, was sie sagen sollten.
Dafür hatte Mitrofani, während er auf sie wartete, bereits alles durchdacht.
»Der Junge tappt völlig im Nebel«, sagte er. »Ich bekenne mich schuldig. Ich wollte sein Auge für das Geistige öffnen, doch die Explosion war zu grell und hat ihn geblendet. Wir müssen Aljoscha herausholen, und sei es mit Gewalt, das ist jetzt das Allerwichtigste. Der Wunder von Neu-Ararat werden wir uns später annehmen. Jetzt bedarf es eines Mannes mit militärischer Mentalität: entschlussfreudig, ohne Dünkel, ohne zu viel Fantasie. Du, Matwej, bist dazu nicht geeignet.«
Matwej Benzionowitsch hielt sich zwar keineswegs für einen Mann mit militärischer Mentalität, war aber dennoch leicht gekränkt.
»Und wer soll das sein, Eminenz, dieser Mann ohne Fantasie?«, erkundigte er sich mit einem leicht höhnischen Unterton, überzeugt, der Bischof rede von sich selbst.
Die Antwort war unerwartet.
»Denk nur nicht, ich meine mich selbst. Ich bin Geistlicher, und es könnte sein, dass ich gegenüber mystischen Eindrücken nicht genügend gefeit bin. Wenn schon Lentotschkin nicht standhalten konnte . . .« Mitrofani schüttelte den Kopf, als wundere er sich erneut darüber, auf welch tönernen Füßen Aljoschas Nihilismus stand. »Lagrange wird fahren.«
Diese Wahl war auf den ersten Blick nicht weniger überraschend als die vorherige Entscheidung des Bischofs, in einer innerkirchlichen Angelegenheit einen atheistischen Jüngling zu entsenden.
Das heißt, einerseits mochte der Sawolshsker Polizeimeister Felix Stanislawowitsch Lagrange allein aufgrund seines Amte ein durchaus angemessener Kandidat für die Durchführung einer schnellen, entschlossenen Operation sein, aber dies nur wenn man den Hintergrund nicht kannte. Es war nämlich so dass der Herr Oberst vom Bischof als Sünder angesehen wurde und auf dessen Drängen hin noch vor kurzem wegen einiger abenteuerlicher Handlungen beinahe vor Gericht gekommen wäre. Letzthin jedoch war Lagrange so gut wie vergeben worden, und er hatte sogar angefangen, beim Bischof zur Beichte zu gehen. Man muss annehmen, dass hier wieder einmal der bereit; erwähnte Ehrgeiz des Bischofs zum Tragen kam, der weniger daran interessiert war, ein Hirte für lichte Seelen zu sein, als vielmehr an die Seelen der Verstockten und Tauben zu klopfen
Matwej Benzionowitsch wollte den Mund öffnen, um zu widersprechen, schloss aber seine Lippen sogleich wieder. Ihn war eingefallen, dass die Wahl auf den zweiten Blick gar nicht so schlecht war, weil . . . Doch davon fing der Bischof gerade selbst an:
»Felix Stanislawowitsch kommt zwar zu mir zur Beichte, doch er macht das so, wie er zum Postenstehen oder zur Wachablösung antritt, als erfülle er die Vorschriften eines Reglements. Er rapportiert mir in allen Einzelheiten, wie oft er Mutterflüche gebraucht und bei welchen unanständigen Frauenzimmern er sich aufgehalten hat, und wenn er die Vergebung der Sünden erhält, klirrt er mit den Sporen, macht rechtsum kehrt und Abmarsch. Er gehört zu jenen seltenen Menschen, denen der Glaube zu überhaupt nichts dient. Übrigens«, lächelte Mitrofani, »wäre der Oberst gewiss sehr gekränkt, wenn ihr jemand einen Materialisten nennen würde, er würde demjenigen wohl eins aufs Maul geben. Er ist ein zuverlässiger Soldat auf sein Polizeigeschäft versteht er sich, und er ist ein tapferer Kerl, wie es nicht viele gibt. Ich lasse ihn morgen rufen und bitte ihn zu fahren – er wird es mir nicht abschlagen.«
So verfuhr der Bischof dann auch: Er ließ den Polizeimeister rufen und instruierte ihn, worauf es diesem selbstredend nicht in den Sinn kam, sich zu widersetzen – er kam dem Wunsch des Bischofs ebenso widerspruchslos nach, wie er einen Befehl vom Gouverneur oder vom Direktor des Polizeidepartements entgegengenommen hätte. Er versprach, gleich am nächsten Morgen die dienstlichen Angelegenheiten seinem Stellvertreter zu übergeben und sich auf den Weg zu machen.
Doch noch vor seiner Abreise brachte ein Sonderkurier am Abend einen neuen Brief aus Ararat, der den Bischof, Berditschewski und Pelagia vollkommen erschütterte, auch wenn er gleichzeitig vieles erklärte.
Aber wozu den Inhalt mit eigenen Worten wiedergeben, da kommt es nur zu Missverständnissen. Hier ist es, dieses Dokument. Wie heißt es so schön – kein Kommentar.
Ehrwürdige Eminenz,
ich bin nicht sicher, ob Sie genau derjenige sind, an den dieser Brief zu richten wäre, doch niemand hier kennt den Wohnort oder die Familienverhältnisse des jungen Mannes, der im Hotel »Arche Noah« in Neu-Ararat unter dem Namen Alexej Stepanowitsch Lentotschkin abgestiegen ist. In dem Zimmer, in dem er logierte, wurde auf dem Tisch ein Umschlag mit der Aufschrift »An den Ehrwürdigsten Vater Mitrofani, Bischöfliche Residenz, Sawolshsk« gefunden, und daneben lag ein leeres Blatt Papier, als habe Lentotschkin beabsichtigt, Ihnen einen Brief zu schreiben, sein Vorhaben aber nicht mehr ausführen können. Deshalb wende ich mich auch an Sie, Eminenz, in der Hoffnung, dass Sie diesen Jüngling kennen, seine Verwandten von dem Unglück, das ihn getroffen hat, in Kenntnis setzen und mir eventuell Einzelheiten aus seinem früheren Leben mitteilen können, was für die Wahl der richtigen Heilmethode äußerst wichtig ist.
Herr Lentotschkin (wenn das sein richtiger Name ist) leidet a) einer extremen Form geistiger Verwirrung, die es nicht zulässt dass man ihn von der Insel wegbringt. Heute bei Morgengrauen suchte er Zuflucht in meiner psychiatrischen Heilanstalt, wobei er sich in einem solch beklagenswerten Zustand befand, dass ich gezwungen war, ihn bei mir zu behalten. Fragen beantwortet er nicht, er murmelt nur fortwährend vor sich hin: »Credo, credo Domine«, und von Zeit zu Zeit hält er wie im Fieberwahn verworrene, sinnlose Monologe. Die Überführung des Kranken an einen anderen Ort ist augenscheinlich nicht zweckmäßig, zudem ist der Charakter seiner Manie für mich als Medicus interessant. Ich nehme an, Sie haben von meiner Klinik gehört, doch möglicherweise wissen Sie nicht, dass ich bei weitem nicht jede geistige Verwirrung behandle, sondern lediglich solche, die von der psychiatrischen Wissenschaft bislang noch nicht hinreichend untersucht sind. Der Fall Lentotschkin ist ein solcher.