Die sanft errötete Dame, Gattin eines Petersburger Zeitungsverlegers, erzählte, sie sei erschöpft vom hektischen Leben der Hauptstadt und habe beschlossen, ihre Seele zu reinigen, weshalb sie nun unterwegs sei zur heiligen Insel.
»Wissen Sie, Felix Stanislawowitsch, im Leben kommt plötzlich der Moment, da man spürt, dass es so nicht weitergehen kann«, gestand Natalja Henrichowna. »Dann muss man innehalten, sich umsehen, der Stille lauschen und erkennen, was für einen selbst das Wichtigste ist. Daher bin ich allein unterwegs – um zu schweigen und zu lauschen. Und um den Herrn um Verzeihung zu bitten für alle gewollten und ungewollten Verfehlungen. Verstehen Sie mich?«
Der Oberst hob viel sagend die Augenbrauen: O ja!
Eine Stunde später machten sie einen Spaziergang an Deck, und Lagrange, der seine Gefährtin vor dem kühlen Wind schützte, verringerte die Distanz zwischen seiner männlichen Schulter und der zarten Schulter von Natalja Henrichowna auf ein Minimum.
Als der »Heilige Wassilisk« die schmale Einfahrt der Bucht hinter sich ließ und in die schwarze Weite hinausfuhr, wurde der Wind plötzlich heftig, wütende, weiß gezähnte Wellen klatschten gegen das Schiff, und der Oberst musste die Dame hin und wieder umfassen, wobei seine Hand mit jedem Mal länger auf der biegsamen Taille verweilte.
Die Matrosen, alles Mönche in hochgeschürzten Leibröcken, rannten über das Deck, zurrten die tanzenden Rettungsboote fest und murmelten dabei Gebete vor sich hin. Auf der Brücke war die massive Gestalt des Kapitäns zu sehen, der ebenfalls eine Kutte trug, aber noch mit einer Lederschürze angetan war und einen breiten Ledergürtel um die Hüften gewunden hatte. Mit heiserer Bassstimme brüllte der Kapitän in sein Sprachrohr:
»Porfiri, gleich kriegst du Salböl ins Maul! Gib zwei Schlag zu!«
Am Heck, wo der Wind weniger wütete, hielten die Spaziergänger inne. Natalja Henrichowna ließ ihren Blick über die endlosen aufgewühlten Wasser und den tief hängenden schwarzgrauen Himmel schweifen und erzitterte.
»Mein Gott, wie entsetzlich! Als seien wir in ein Loch zwischen Zeit und Raum gefallen!«
Lagrange verstand: Es war Zeit, die Attacke an der ganzen Front zu beginnen. Eine verängstigte Frau war das gleiche wie ein unter Kartätschenbeschuss zitternder Feind.
Er führte einen glänzenden Angriff. Er wechselte zu einem tiefen, vibrierenden Bariton und sagte:
»Im Grunde bin ich ungeheuer einsam. Und manchmal, wissen Sie, verlangt es mich so nach Verständnis, nach Wärme und . . . Zärtlichkeit, ja, ja, ganz gewöhnlicher menschlicher Zärtlichkeit.«
Er senkte seine Stirn auf die Schulter der Dame, wofür er leicht die Knie beugen musste, und seufzte tief.
»Ich . . . Dafür bin ich nicht nach Ararat gekommen«, flüsterte Natalja Henrichowna verwirrt} sie schien seinen Kopf zurückschieben zu wollen, fuhr aber gleichzeitig mit den Fingern durch Felix Stanislawowitschs dichtes Haar. »Ich wollte keine neuen Sünden begehen, sondern um Vergebung für die alten bitten . . .«
»So bitten Sie eben um Vergebung für alles zusammen.« Damit führte der Oberst ein in seiner Logik nicht zu widerlegendes Argument an.
Nach weiteren fünf Minuten küssten sie einander in der dunklen Kabine – vorläufig noch romantisch, doch die Finger des Polizeimeisters tasteten bereits nach den Knöpfen an Natalja Henrichownas Kleid und öffneten ganz sacht den obersten.
Mitten in der Nacht erwachte Felix Stanislawowitsch von einem starken Ruck, er stützte sich auf den Ellbogen und erblickte dicht neben sich die erschrockenen Augen einer Frau. Obgleich die schmale Koje nicht für zwei gedacht war, hatte der Oberst, wie immer übrigens, ausgezeichnet geschlafen, und wenn er jetzt erwacht war, so bedeutete dies, dass es sich tatsächlich um einen ernsthaften Stoß gehandelt haben musste.
»Was war das?«, Lagrange war so schlaftrunken, dass er sich nicht erinnerte, wo er sich befand, doch er blickte sogleich zur Tür. »Ihr Mann?«
Die Dame (wie hieß sie bloß noch?) hauchte ganz leise:
»Wir sinken . . .«
Der Oberst schüttelte den Kopf und erwachte nun endgültig. Er hörte das Wüten des Sturms und spürte die Erschütterung des Schiffsrumpfs – es war eigenartig, dass die Liebenden noch nicht aus dem Bett geschleudert worden waren.
»Ihr Fleisch fressenden Missgeburten!«, ließ sich irgendwo von oben das Gebrüll des Kapitäns vernehmen. »Sodomistische Sadduzäer! Der Moloch soll euch Nattern verschlingen!«
Von überall her, von draußen wie vom Unterdeck, erschollen nun die verzweifelten Schreie und das Schluchzen der verängstigten Passagiere.
Natalja Henrichowna (so hieß sie) erklärte im Brustton der Überzeugung:
»Das gilt mir, meiner Schmach! Das ist die Strafe für den Sündenfall auf dem Weg ins heilige Kloster.«
Sie fing bitterlich und verzweifelt an zu weinen.
Lagrange tätschelte beschwichtigend ihre feuchte Wange und kleidete sich mit militärischer Eile an.
»Wohin wollen Sie?«, rief die Pilgerin entsetzt, doch da schlug auch schon die Tür zu. In dreißig Sekunden war der Polizeimeister bereits an Deck.
Er hielt seine Schirmmütze fest, die schon davonfliegen wollte, und taxierte im Handumdrehen die Situation. Es war wie in einem Wasserklosett.
Der Kapitän rannte auf der Kommandobrücke umher und versuchte vergeblich, das halbe Dutzend Matrosen, das auf den Knien lag und betete, zum Aufstehen zu bewegen. Felix Stanislawowitsch hörte: »In Deiner Gnade suchen wir Zuflucht, Heilige Mutter Gottes . . .« Das Steuerrad auf der Kommandobrücke wirbelte wie betrunken hin und her, das Schiff schlingerte durch die tosenden Wellen und trieb richtungslos dahin.
Lagrange stürzte zum Kapitän und fragte: »Warum haben Sie das Steuer losgelassen, Nachimow?«
Der Kapitän fuhr mit seiner riesigen Pranke durch die Luft.
»Weil ich es alleine nicht herumreißen kann! Dieses Schiffchen ist Pfusch, bei schwerem Seegang kann es den Kurs nicht halten! Ich habe es dem Archimandriten gesagt! Dieser Kahn ist gemacht, um Damen auf der Newa umherzuschippern, aber nicht für das Blaue Meer! Wir treiben auf den Teufelsstein zu, dort gibt es Sandbänke!«
In diesem Moment lief ein Ruck durch das Schiff, und es blieb stehen wie aufgebockt. Beide, der Polizeimeister wie der Kapitän, flogen gegen die Wand und fielen beinahe zu Boden. Das Schiff rutschte ein wenig und begann dann, sich langsam um die eigene Achse zu drehen.
»Es ist vorbei, wir sind aufgelaufen!«, schrie der Kapitän verzweifelt. »Wenn es uns jetzt nicht gelingt, den Bug zu drehen, haben wir in einer Viertelstunde Schieflage, und dann sind wir verloren! Ach, diese stinkenden Böcke!« Er schwenkte den Arm in Richtung seiner betenden Mannschaft. »Man müsste ihnen ordentlich die Schnauze polieren, aber ich darf nicht, ich habe Gewaltlosigkeit gelobt!«
Felix Stanislawowitsch runzelte konzentriert die Stirn.
»Und wenn wir ihnen die Schnauze polieren, was dann?«
»Alle gemeinsam müssen sich in die Trossen legen, dann könnten wir es schaffen. Ach, was machen wir jetzt nur?«
Der Kapitän schlug die Hände zusammen, fiel ebenfalls auf die Knie und begann näselnd zu sprechen:
»Nimm hin, o Herr, die Seele Deines Sklaven, in Dich, unseren Herrn und Schöpfer und Gott, legen wir all unsere Zuversicht . . .«
»In die Trossen legen?«, fragte der Oberst eifrig. »Das haben wir gleich.«
Er trat zu dem am nächsten knienden Mönch, beugte sich nieder zu ihm und sagte vertraulich:
»Na, na, stehen Sie auf, Vater, sonst drehe ich Ihnen das heilige Abendmahl im Magen herum.«
Der betende Mönch schenkte der Warnung kein Gehör. Da packte Felix Stanislawowitsch ihn, stellte ihn mit einer ruckartigen Bewegung auf die Beine und erfüllte seine grimmige Absicht im Handumdrehen. Er ließ den heiligen Mann vor Verblüffung rote Suppe mit Einlage ausspeien und nahm sich sogleich den zweiten vor. Keine Minute war vergangen, und alle Matrosen an Deck waren in völlige Subordination gebracht.