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»Aber ja – so sagt es die Kirche, schon von alters her.«

Die Nonne trocknete ihr weißes, mit blassen Sommersprossen übersätes Gesicht und zog konzentriert die Augenbrauen zusammen.

»Aber wenn jemand die Bürde des Lebens nicht mehr erdulden kann? Wenn ein Mensch unerträglichen Kummer hat oder eine quälende Krankheit, oder wenn er von Folterknechten gequält und zum Verrat gezwungen wird? Wird auch diesen nicht vergeben?«

»Nein«, versetzte Mitrofani streng. »Deine Fragen zeugen von Kleingläubigkeit. Der Herr weiß, wer welche Prüfungen ertragen kann, und er wird keine einzige Seele über die Maßen prüfen. Wem er aber eine schwere Pein sendet, dessen Seele erweist sich als besonders standfest, und dem Grad der Standfestigkeit entspricht die Prüfung. Alle heiligen Großmärtyrer waren so. Keiner von ihnen fürchtete die Folter, keiner hat Hand an sich gelegt.«

»Aber Heilige gibt es einen auf eine Million. Und was ist mit denen, die sich nicht aus Furcht oder Schwäche, sondern um ihrer Nächsten willen zugrunde richten? Ich erinnere mich, dass Sie aus der Zeitung vorgelesen haben, es ging um den Kapitän eines Dampfers, der bei einem Schiffsunglück seinen Platz im Rettungsboot einem anderen überließ und dadurch mit dem Schiff gesunken ist. Sie waren ganz begeistert davon und haben ihn gelobt.«

Berditschewski seufzte gequält, weil er schon im Voraus wusste, wie diese unangebrachte Diskussion enden würde. Pelagia würde den Bischof mit ihren Fragen und Argumenten in Rage bringen, es würden Schimpfworte fallen und sinnlos Zeit verloren gehen. Dabei hätten sie über Wichtigeres zu reden.

»Ich war begeistert als Bürger der irdischen Welt. Aber als geistliche Person, die verpflichtet ist, sich um die Unsterblichkeit der Seele zu kümmern, gräme ich mich über eine solche Handlung und verurteile sie.«

»So, so«, blitzte die Nonne mit scharfem Blick, um dann dem Bischof einen Schlag zu versetzen, den die Briten wohl als unsportlich bezeichnet hätten. »Würden Sie auch Iwan Sussanin verurteilen, der freiwillig vor die polnischen Säbel trat, um die Zarendynastie zu retten?«

Mitrofani wurde allmählich ärgerlich und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart.

»Iwan Sussanin hat vielleicht gehofft, er könne im letzten Moment den Feinden entkommen und in den Wald fliehen. Solange es Hoffnung gibt, und sei sie noch so klein, ist es kein Selbstmord. Wenn Soldaten in eine gefährliche Attacke oder sogar, wie es heißt, ›in den sicheren Tod‹ gehen, hofft doch ein jeder von ihnen auf ein Wunder und fleht zu Gott darum. In der Hoffnung liegt der ganze Unterschied, in der Hoffnung! Solange die Hoffnung lebt, lebt auch Gott. Du bist eine Nonne, du solltest das wissen!«

Pelagia beantwortete den Vorwurf mit einer demütigen Verbeugung, gab aber dennoch keine Ruhe.

»Und als Christus zum Kreuz ging, hatte er da auch Hoffnung?«, fragte sie leise.

Im ersten Moment erfasste der Bischof den ganzen Sinn dieser kühnen Frage nicht, und er runzelte nur die Stirn. Als er ihn aber erkannte, erhob er sich zu voller Größe, stampfte mit dem Fuß auf und schrie:

»Aus dem Erlöser einen Selbstmörder machen?! Weiche von mir, Satan! Fort!«

Da dämmerte es auch der Nonne, dass sie in ihrer Wissbegierde alle Grenzen des Erlaubten überschritten hatte. Pelagia raffte die Schöße ihrer Kutte zusammen, zog den Kopf ein und huschte durch die Tür, auf die der drohende Finger des Bischofs wies.

So kam es, dass der weitere Aktionsplan ohne die störrische Nonne ausgearbeitet wurde, unter vier Augen, zwischen dem Bischof und Matwej Benzionowitsch. Dabei muss man berücksichtigen, dass das betrübliche Schicksal, das die beiden Auserwählten des Bischofs ereilt hatte, Mitrofani seiner üblichen Selbstsicherheit beraubt hatte (und der Streit mit seiner geistlichen Tochter hatte ein Übriges zu seiner Niedergeschlagenheit getan), weshalb der Bischof mehr zuhörte und mit allem einverstanden war. Berditschewski hingegen, der den Seelenhirten aufrichtig bedauerte, sprach gespreizter und hitziger als üblich.

»Da reden wir immerfort über knifflige Knoten«, sagte er, »und hier ist alles so verworren, dass wir nicht mehr wissen, wo uns der Kopf steht. Aber die Leute meines Standes werden nicht umsonst Rechtsverdreher genannt. Wir Richter sind Meister darin, Knäuel aufzuwickeln und Schnörkel zu schreiben. Wenn wir einen Knoten knüpfen, ist der echte Gordische Knoten ein Kinderspiel dagegen. Dafür aber kann niemand solche Gebinde besser entwirren als wir. Stimmt es oder nicht?«

»Stimmt«, bestätigte der Bischof mit wehmütiger Miene, während er zur Tür blickte, ob Pelagia nicht zurückkäme.

»Und wenn das so ist, dann muss ich nach Neu-Ararat fahren. Dieses Mal haben wir allen Grund für eine ganz offizielle, von mir aus sogar eine geheime gerichtliche Untersuchung. Ein Polizeimeister, der Hand an sich gelegt hat, das ist kein Scherz, das ist kein Aberglaube mehr und auch keine Ausgeburt einer hysterischen Fantasie, sondern etwas Unerhörtes. Das Ministerium wird eine Erklärung von unserem Anton Antonowitsch verlangen, und auch der Zar wird eine Erklärung von ihm fordern.«

»Ja, vom Gouverneur wird man natürlich eine Erklärung verlangen.« Mitrofani nickte unentschlossen.

»Folglich muss man wissen, was man antworten soll. Sie selbst dürfen auf gar keinen Fall fahren, schlagen Sie sich das aus dem Kopf. Weder seinem Rang noch dem Gesetz nach kann sich ein Bischof der strafrechtlichen Untersuchung eines Selbstmords annehmen.«

»Dann fahren wir zusammen. Du wirst dich um die geheime Untersuchung der Umstände von Lagranges Tod kümmern, und ich kümmere mich um den schwarzen Mönch.« In den Augen des Bischofs flackerte das frühere Feuer auf, erlosch aber sogleich wieder. »Dann sehe ich den armen Aljoscha wieder . . .«, sprach Mitrofani mit versagender Stimme.

»Nein.« Berditschewski schnitt ihm das Wort ab. »Das wäre ja ein schönes Geheimnis, wenn wir beide nach Ararat führen! Da würden wir vielleicht ein Aufsehen erregen! Nicht nur, dass der Bischof herbeieilt, um den schwarzen Mönch zu treffen, er bringt auch noch gleich den Stellvertreter des Gouvernements-Staatsanwalts mit. Lachhaft! Nein, Vater, geben Sie mir Ihren Segen, und lassen Sie mich allein fahren.«

Der Bischof war heute offenkundig etwas aus dem Gleichgewicht geraten, er war schwach und apathisch. Seine Wimpern glitzerten wieder verdächtig. Mitrofani erhob sich und küsste den Beamten auf die Stirn.

»Du bist Gold wert, Matjuscha. Und du hast einen goldrichtigen Kopf. Aber am meisten schätze ich es, dass du zu diesem Opfer bereit bist. Meinst du, ich wüsste nicht, was das für dich bedeutet? Schließlich steht deine Marja kurz vor der Entbindung. Fahr hin, finde heraus, was hinter dem Geheimnis steckt. Du siehst selbst, es ist ein schreckliches Geheimnis, dazu eines, dem man mit gewöhnlichen Mitteln nicht beikommt. In Christi Namen flehe ich dich an: Pass auf dich auf – auf dein Leben und deinen Verstand!«

Um nicht zu zeigen, wie gerührt er war, erwiderte Matwej Benzionowitsch schneidig:

»Das macht nichts, Eminenz! So Gott will, erledige ich die Angelegenheit, und dann bin ich noch vor der Geburt wieder da. Nicht umsonst heißt es im Volksmund: Kaum läuft ein Jud durchs Türchen, klappt alles wie am Schnürchen.«

Doch als er in der Kutsche nach Hause fuhr, verging sein Schneid, ihm wurde bang ums Herz, und je näher er dem Hause kam, desto schlimmer wurde es. Wie sollte er es seiner Frau sagen? Wie sollte er ihr in die Augen sehen?

Er sah ihr erst gar nicht in die Augen. Noch im Vorzimmer küsste er sie auf die Wange, drückte sie an sich und flüsterte ihr ins Ohr: »Maschenka, mein Engel, es gibt da einen Fall. . . Eine außerordentlich wichtige Reise . . . Nur für eine Woche, ich kann das unmöglich ablehnen. Ich beeile mich, so gut es geht, mein großes Ehren. . .«