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Ohne etwas zu beschönigen, erzählte Berditschewski von der geheimnisvollen Reiterin und seinem Sturz (im wörtlichen wie im moralischen Sinn), wobei er sich von Zeit zu Zeit die über die Wangen rollenden Tränen abwischte.

Lew Nikolajewitsch erwies sich als idealer Zuhörer – er lauschte ernsthaft, ohne zu unterbrechen, und im höchsten Maße mitfühlend, sodass er selbst beinahe in Tränen ausgebrochen wäre.

»Sie machen sich grundlos Vorwürfe!«, rief er aus, kaum hatte der Staatsanwalt geendet. »Wahrhaftig, ganz ohne Grund! Ich weiß wenig über die Liebe zwischen Mann und Frau, doch man hat mir erzählt – und ich hatte auch Gelegenheit, darüber zu lesen – , dass selbst der vorbildlichste, tugendhafteste Familienvater eine zeitweilige Trübung des Verstands erfahren kann. Schließlich lebt jeder Mensch, auch der alleranständigste, im Grunde seines Herzens in der Erwartung eines Wunders, und sehr häufig scheint ihm eine ungewöhnliche Frau dieses Wunder zu sein. Das gibt es auch bei Frauen, doch besonders häufig kommt es bei Männern vor – einfach deshalb, weil Männer mehr zum Abenteuer neigen. Das, was Sie erzählt haben, ist doch eine Kleinigkeit. Das heißt, natürlich ist es keine Kleinigkeit, das ist mir so herausgeplatzt, um Sie zu trösten, doch es ist schließlich nichts passiert. Sie sind völlig rein vor Ihrer Gemahlin . . .«

»Ach nein, ganz und gar nicht!«, unterbrach Matwej Benzionowitsch den gutmütigen Menschen. »Und es ist viel schlimmer, als wenn ich in betrunkenem Zustand in einem unzüchtigen Haus gewesen wäre. Das wäre einfach eine Schweinerei gewesen, körperlicher Schmutz, aber ich habe Verrat begangen, echten Verrat! Und wie schnell, wie leichtfertig – in einem Augenblick!«

Lew Nikolajewitsch sah seinen Gesprächspartner aufmerksam an und sagte nachdenklich:

»Nein, das ist noch kein echter, kein wirklich schlimmer Verrat.«

»Und was ist Ihrer Meinung nach echter Verrat?«

»Echter, satanischer Verrat ist, wenn man jemanden direkt verrät, Auge in Auge, und wenn einem diese Niedertracht besonderes Vergnügen bereitet.«

»Ach was, Vergnügen!« Berditschewski winkte ab. »Aber was die Niedertracht angeht, so bin ich der niederträchtigste Schuft. Das weiß ich nun, und mit diesem Wissen muss ich leben . . . Ach«, er schüttelte sich. »Wenn ich diesen Augenblick nur wieder gutmachen könnte, ihn von der Seele waschen! Ich wäre zu jeder Prüfung, zu jeder Qual bereit, damit ich mich wieder fühlen könnte wie . . .« – er hatte sagen wollen »ein edler Mensch«, doch er schämte sich und sagte nur: ». . . ein Mensch.«

»Es ist nützlich, ja unabdingbar, sich zu prüfen«, stimmte Lew Nikolajewitsch zu. »Ich bin der Meinung, dass . . .«

»Warten Sie!«, unterbrach ihn der stellvertretende Staatsanwalt, dem plötzlich eine Idee gekommen war. »Warten Sie! Ich weiß, welche Prüfung ich mir auferlegen muss! Sagen Sie mir, um Christi willen, sagen Sie mir, wo befindet sich das Haus, in dem der Bakenwärter wohnte? Kennen Sie es?«

»Natürlich kenne ich es«, versetzte Lew Nikolajewitsch verwundert. »Es ist dort drüben, Sie gehen am Ufer entlang bis zur Landzunge, und dann nach links. Es sind etwa zwei Werst. Aber warum wollen Sie das bloß wissen?«

»Sehen Sie, es ist so . . .«

Und Berditschewski gab dem Herzensfreund alle Geheimnisse der Ermittlung preis – offenbar lud diese Nacht dazu ein. Er erzählte von Aljoscha Lentotschkin, von Lagrange und selbstverständlich auch von seiner eigenen Mission. Der Zuhörer konnte nur immer wieder »Ach« sagen und den Kopf schütteln.

»Ich schwöre Ihnen«, sprach Matwej Benzionowitsch abschließend, und er hob die Hand, als müsse er einen Eid vor Gericht ablegen, »dass ich mich unverzüglich, noch in dieser Minute, ganz allein zu dieser Teufelshütte aufmachen, bis Mitternacht warten und sie dann betreten werde, wie Alexej Stepanowitsch und Felix Stanislawowitsch es getan haben. Es ist mir egal, wenn dabei nichts herauskommt, wenn alles Aberglaube und leeres Geschwätz ist. Die Hauptsache ist, dass ich meine Angst überwinde und damit meine Selbstachtung wiedererlange!«

Lew Nikolajewitsch sprang auf und rief begeistert aus:

»Wie wunderbar Sie das gesagt haben! An Ihrer Stelle würde ich genauso handeln. Aber wissen Sie was . . .«, und mit einer hastigen Bewegung packte er Berditschewski am Ellbogen. »Sie dürfen nicht allein gehen. Das ist viel zu unheimlich. Nehmen Sie mich mit. Nein, wahrhaftig! Lassen Sie uns zusammen gehen, ja?«

Flehentlich blickte er Matwej Benzionowitsch in die Augen, sodass es diesem die Brust zusammenschnürte und ihm erneut Tränen die Wangen hinunterliefen.

»Ich danke Ihnen«, sagte der stellvertretende Staatsanwalt gefühlvoll. »Ich weiß Ihre Bereitschaft zu schätzen, doch mein Herz sagt mir, dass ich allein gehen muss. Sonst kommt nichts dabei heraus, und es ist keine echte Buße.« Er rang sich ein Lächeln ab und versuchte sogar zu scherzen. »Zudem sind Sie ein so engelgleiches Wesen, dass die unreine Macht Sie in Verlegenheit stürzen könnte.«

»Gut, gut«, nickte Lew Nikolajewitsch. »Ich werde Sie nicht stören. Wissen Sie was, ich begleite Sie bis zur Hütte und halte mich dann abseits. Fünfzig Schritt entfernt, oder sogar hundert. Aber begleiten werde ich Sie ganz gewiss. Sie werden sich weniger einsam fühlen, und ich mache mir weniger Sorgen. Wer weiß, was passiert. . .«

Berditschewski war schrecklich froh über diesen Vorschlag, der einerseits die selbst auferlegte Prüfung nicht schmälerte, der aber andererseits eine gewisse, wenn auch fiktive Unterstützung versprach. Er freute sich – und auf der Stelle ärgerte er sich über sich selbst, darüber dass er sich freute.

Er runzelte die Stirn und sagte:

»Nicht hundert Schritt. Zweihundert.«

***

Sie trennten sich auf der kleinen Brücke über dem schmalen reißenden Fluss, der nicht mehr als zwanzig Klafter entfernt in den See mündete.

»Da ist es, das Haus des Bakenwärters.« Lew Nikolajewitsch deutete auf einen dunklen Würfel, dessen helles Strohdach im Mondlicht leuchtete. »Darf ich wirklich nicht mitkommen?«

Berditschewski schüttelte den Kopf. Er wollte nicht sprechen, weil er seine Zähne fest zusammengebissen hatte und befürchtete, sie würden, wenn er nur den Mund aufmachte, beschämend zu klappern anfangen.

»Nun, mit Gottes Hilfe«, sagte der treue Sekundant aufgeregt. »Ich werde hier warten, bei der Abdankungskapelle. Wenn etwas ist, schreien Sie, dann komme ich sofort gelaufen.«

Anstelle einer Antwort umfasste Matwej Benzionowitsch unbeholfen Lew Nikolajewitschs Schultern, um ihn für einen Moment an sich zu ziehen, bevor er ihm noch einmal zuwinkte und dann auf die Hütte zuging.

Es waren noch zwei Minuten bis Mitternacht, aber es war auch nicht weit zu gehen – nicht einmal zweihundert, sondern höchstens einhundertfünfzig Schritte.

Unsinn, sagte sich der stellvertretende Staatsanwalt, während er die Hütte einem genauen Augenschein unterzog. Ich weiß schließlich ganz genau, dass nichts geschehen wird. Es kann gar nichts geschehen. Ich werde hineingehen, eine Weile dort stehen bleiben, wieder hinausgehen und mir wie ein kompletter Trottel Vorkommen. Zum Glück habe ich einen so gutherzigen Zeugen. Ein anderer würde sich lustig machen und in der ganzen Welt herumposaunen, dass der Stellvertreter des Gouvernements-Staatsanwalts sich zu einem Stelldichein mit der unreinen Macht begibt und obendrein vor Angst schlottert.

Vom Ehrgeiz geweckt, regte sich in seiner Seele ein Funken von Tapferkeit. Man musste ihn nun behutsam, wie ein im Wind zitterndes Flämmchen, anfachen und durfte ihn nicht erlöschen lassen.

»Na, na, na«, sprach Berditschewski vor sich hin, während er zügiger ausschritt.

Trotzdem machte er vor der schief und krumm vernagelten Tür Halt und bekreuzigte sich hastig, so, dass es von hinten nicht zu sehen war. Sich nackt auszuziehen, wäre natürlich Unsinn, beschloss Matwej Benzionowitsch. Er konnte sich ohnehin nicht richtig erinnern, wie die magische Formel aus dem mittelalterlichen Traktat lautete. Na, das machte nichts, irgendwie würde er auch ohne diese Formel zurechtkommen. Er musste das in die Scheibe eingeritzte Kreuz berühren und dabei etwas von einer Übereinkunft von Gabriel mit dem Teufel sagen. Komm, heiliger Geist – so hieß es wohl. Und wenn es dann losging, müsste er schnellstens auf Lateinisch ausrufen, dass er an den Herrn glaubte, und alles wäre aufs Beste eingerichtet.