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Am Morgen kam der jüngste Arzt düster und bleich zu Pelagia, die noch immer am Boden kniete. Er sagte:

»Er ist zu sich gekommen. Er will Sie sehen. Aber nicht lange. Und um Christi willen, Schwester, kein Geschluchze. Er darf nicht aufgeregt werden.«

Pelagia erhob sich mühsam, rieb sich die blauen Flecken an den Knien und betrat das Schlafgemach.

Wie schlecht es in dem traurigen Gemach roch! Nach Kampfer, Kittelstärke und abgekochtem Metall. Mitrofani lag schwer atmend und ächzend auf der hohen, altertümlichen Bettstatt, deren dunkelblauer Baldachin mit einem Bild des Himmelsgewölbes geschmückt war. Pelagia bemerkte bestürzt die tödliche Blässe seines Gesichts, die scharf hervortretenden Züge und vor allem eine allgemeine Starre, die so unvereinbar war mit dem tätigen Charakter des Bischofs.

Die Nonne schluchzte auf, und sofort hüstelte der ärgerliche Doktor hinter ihrem Rücken. Pelagia lächelte erschrocken und trat so, mit diesem kläglichen, unpassenden Lächeln auf den Lippen, zum Bett.

Der Kranke warf ihr einen schrägen Blick zu. Er senkte leicht die Lider – er hatte sie erkannt. Mit Mühe bewegte er die violetten Lippen, aber er bekam keinen Laut heraus.

Pelagia fiel, noch immer lächelnd, auf die Knie und rückte dicht an das Bett heran, um die Worte aus den Lippenbewegungen erraten zu können.

Der Bischof blickte ihr in die Augen, aber nicht mit einem friedlichen, segnenden Blick, wie es in einem solchen Augenblick hätte sein sollen, sondern streng, ja drohend. Er nahm alle seine Kräfte zusammen und flüsterte nur die drei merkwürdigen Worte:

»Wag es nicht. . .«

Pelagia wartete, ob er noch etwas sagen würde, und als nichts mehr kam, nickte sie beschwichtigend, küsste die welke Hand des Kranken und erhob sich. Der Doktor stupste sie bereits in die Seite: Gehen Sie, gehen Sie.

Während sie langsam durch die Räume schritt, flüsterte Pelagia die Worte eines Bußgebetes vor sich hin:

»Vergib mir, Gott, reinige meinen Ungehorsam durch die Größe Deiner Gnade und durch die Vielzahl Deiner Wohltaten, denn ich weiß um meinen Ungehorsam, und meine Schuld steht mir vor Augen . . .«

Der Sinn des Gebets trat alsbald zutage. Die Nonne ging aus dem Schlafgemach nicht zurück in die Hauskapelle, sondern huschte in das Kabinett des Bischofs, das leer war und im Halbdunkel lag. Ohne im Geringsten zu zögern, öffnete sie mit einem Schlüssel die Schreibtischschublade, zog die Bronzeschatulle heraus, in der Mitrofani seine persönlichen Ersparnisse aufbewahrte, die gewöhnlich für Bücher, für Messgewänder oder für die Armen ausgegeben wurden, und steckte sich mit ruhiger Hand den ganzen Packen Papiergeld in die Kutte, ohne einen einzigen Rubel in der Schatulle zu belassen.

Mit ruhigem, würdevollem Gang überquerte Pelagia den Hof, der von den Equipagen der Besucher voll gestellt war, doch kaum war sie in den Garten eingebogen, hinter dem sich das Gebäude der Eparchialschule befand, fiel sie in einen unschicklichen Laufschritt.

Sie ging zur Zelle der Schulleiterin und erklärte, sie müsse gemäß dem Willen des Bischofs für eine gewisse, noch unbestimmte Zeit verreisen und bitte die Direktorin, eine Vertretung für ihre Unterrichtsstunden zu suchen. Die gute Schwester Christina, die die unvorhergesehenen Abwesenheiten der Lehrerin für russische Sprache und Leibesübungen schon gewohnt war, erkundigte sich weder nach dem Zweck noch nach dem Ziel der Reise, sondern wünschte lediglich zu erfahren, ob Pelagia genügend warme Sachen habe, damit sie sich unterwegs nicht erkälte. Die Nonnen küssten einander auf die Schulter, Pelagia holte einen kleinen Koffer aus ihrem Zimmer, nahm einen Kutscher und ließ sich schnellstmöglich zur Anlegestelle fahren – bis zur Abfahrt des Schiffes verblieb weniger als eine halbe Stunde.

***

Am nächsten Tag stieg sie gegen Mittag bereits das Fallreep am Anleger von Nischegorodsk hinunter, allerdings nicht in ihrer Kutte, sondern in einem bescheidenen schwarzen Kleid, das sie aus ihrem Koffer genommen hatte. Aber das war nur die erste Etappe ihrer Metamorphose.

Im Hotel bat die rothaarige Dame um einen Stapel der aller-neuesten Modejournale, und mit einem Bleistift bewaffnet ging sie daran, allerlei wunderliche Wortzusammensetzungen auf ein Blatt zu schreiben, etwa »Gros de Naples, capote écossaise, Peplon aus Trippsamt, woll. Umhang« und dergleichen mehr.

Nachdem sie diese Forschungsarbeit, für die sie nicht weniger als zwei Stunden aufwandte, mit der größtmöglichen Sorgfalt beendet hatte, besuchte Pelagia Dubois et fils, das beste Konfektionsgeschäft von Nischegorodsk, wo sie dem Verkäufer erstaunlich genaue und detaillierte Anweisungen gab, die mit ehrerbietiger Verbeugung entgegengenommen und unverzüglich aus geführt wurden.

Eine weitere halbe Stunde später, nachdem sie eine mit Bündeln, Schachteln und Kartons beladene Equipage zum Hotel geschickt hatte, machte sich die Diebin des bischöflichen Vermögens, inzwischen in das rätselhafte »Peplon aus Trippsamt« gekleidet (ein gerade geschnittenes, nicht korsettiertes Gewand aus Utrechter Samt), an ein Unterfangen, das für eine Nonne nun vollends unglaublich war: Sie begab sich in einen Coiffeur-Salon und ließ ihre kurzen Haare nach der letzten Pariser Mode à la joli chérubin ondulieren, was zu ihrem ovalen, sommersprossigen Gesicht sehr vorteilhaft aussah.

Derartig herausgeputzt, verwandelte sich die Dame aus Sa-wolshsk, wie es bei Frauen zu sein pflegt, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Ihr Gang wurde leicht, beinahe schwebend, die Schultern strafften sich, sie hielt den Kopf nicht mehr nach unten geneigt, sondern hoch erhoben. Die Männer blickten sich im Vorbeigehen nach ihr um, und zwei Offiziere blieben sogar stehen, wobei der eine pfiff und der andere ihn vorwurfsvoll zurechtwies: »Aber Michel, was ist denn das für eine Art!«

Am Eingang der Reiseagentur »Cook and Kantorowicz« wurde die elegant gekleidete Dame von einer bösartigen, schmutzigen Zigeunerin belästigt. Sie drohte ihr mit unausweichlichem Unheil, Alpträumen und Tod durch Ertrinken und verlangte ein Zehnkopekenstück dafür, dass sie Unglück abwenden wollte. Pelagia fürchtete sich nicht etwa vor der Wahrsagerin, zumal sie selbst vor nicht allzu langer Zeit glücklich dem Untergang in den Wellen entkommen war, dennoch gab sie der Hexe Geld, aber nicht nur zehn Kopeken, sondern einen ganzen Rubel, damit diese sich inskünftig besserte und nicht mehr alle Menschen für ihre Feinde hielte.

In der Agentur, die auch einen kleinen Laden mit Reisebedarf führte, wurden weitere einhundertfünfzig Rubel der bischöflichen Ersparnisse ausgegeben – diesmal für zwei prächtige schottische Koffer, ein Maniküre-Set, ein Brillenetui aus Perlmutt, das man am Gürtel befestigen konnte (was sowohl schön wie praktisch war), und für eine Fahrkarte zum Kloster Neu-Ararat, wohin man mit der Eisenbahn bis Wologda, dann mit der Kutsche bis Sineosjorsk und weiter mit dem Schiff fahren musste.

»Machen Sie eine Wallfahrt?«, erkundigte der Angestellte sich respektvoll. »Genau die richtige Zeit, jetzt ist es noch nicht zu kalt. Möchten Sie nicht vielleicht sofort ein Hotel buchen?«

»Können Sie mir eines empfehlen?«, fragte die Reisende.

»Unlängst sind die Frau unseres Stadthauptmanns und ihre Tochter im Hotel ›Kopf des Holofernes‹ abgestiegen. Sie haben es sehr gelobt.«

»›Kopf des Holofernes‹?« Die Dame runzelte die Stirn. »Gibt es nicht eins, das weniger blutrünstig ist?«