Выбрать главу

»Aber natürlich! Es gibt noch das Hotel ›Arche Noah‹ oder die Pension ›Das Gelobte Land‹. Und wenn eine Dame vollends abgeschirmt vom männlichen Geschlecht logieren möchte, kann sie in der ›Keuschen Jungfrau‹ absteigen. Eine überaus fromme Einrichtung für vornehme und wohlhabende Pilgerinnen. Die Preise sind niedrig, aber dafür wird erwartet, dass jede Dame einen Betrag für die Klosterkasse spendet, mindestens hundert Silberrubel. Wer dreihundert oder mehr gibt, wird mit einer persönlichen Audienz beim Archimandriten belohnt.«

Die letzte Bemerkung schien die künftige Pilgerin sehr zu interessieren. Sie öffnete ihr neues Ridikül, holte ein Bündel Papiergeld (von noch immer beträchtlichem Umfang) heraus und begann zu zählen. Der Angestellte beobachtete diese Prozedur taktvoll und andächtig. Bei fünfhundert Rubel hörte die Kundin auf zu zählen und erklärte unbekümmert:

»Gut, die ›Keusche Jungfrau‹ also.« Sie steckte das Geld zurück in ihr Täschchen, ohne den Rest zu zählen.

»Wird Ihre Zofe bei Ihnen im Zimmer wohnen, oder soll sie separat untergebracht werden?«

»Aber ich bitte Sie!« Die Dame schüttelte vorwurfsvoll ihre kupferroten Locken. »Mit einer Zofe auf Wallfahrt? Das ist aber nicht sehr christlich. Ich werde alles selbst machen – mich anziehen, waschen, vielleicht sogar frisieren.«

»Pardon. Wissen Sie, nicht alle sind so korrekt . . .« Der Angestellte füllte ein Formular aus und tunkte dabei die Stahlfeder immer wieder geschickt in das Tintenfass. »Auf welchen Namen darf ich das Papier ausstellen?«

Die Pilgerin seufzte und bekreuzigte sich aus irgendeinem Grunde.

»Schreiben Sie: Polina Andrejewna Lissizyna, Witwe, Erbadlige aus dem Gouvernement Moskau.«

Reiseskizzen

Da die Heldin unserer Erzählung sich anders nennt, nachdem sie ihre Kutte abgelegt hat, werden auch wir sie bei diesem neuen Namen nennen – aus Respekt vor dem geistlichen Stand und um Zweideutigkeiten zu vermeiden. Also eine Adlige namens Lissizyna – sie wird es wissen.

Umso mehr, als die geistliche Tochter des Oberhirten von Sawolshsk sich mit ihrem neuen Äußeren allem Anschein nach keineswegs weniger wohl fühlte als vorher. Es war nicht schwer zu bemerken, dass die Reise für sie keine Last, sondern im Gegenteil eine Annehmlichkeit und ein Vergnügen darstellte.

Bei der Zugfahrt blickte die junge Dame wohlwollend aus dem Fenster auf die leeren Felder und Fluren und die Wälder, die ihr Herbstkleid noch nicht völlig abgeworfen hatten. In der Reiseagentur hatte Polina Andrejewna als Dreingabe zu ihren übrigen Einkäufen ein prächtiges Samtbeutelchen für Handarbeiten bekommen, das sie bequem um den Hals hängen konnte, und nun verkürzte sie sich die Zeit, indem sie eine warme Jacke aus Merinowolle strickte, die Bischof Mitrofani im kalten Winter, besonders nach einem so schweren Herzanfall, sicherlich gut würde gebrauchen können. Es war eine höchst komplizierte Arbeit, ein Zopfmuster mit bunten Einsätzen aus Boucle-Wolle, und sie machte keine befriedigenden Fortschritte: Die Maschen wollten sich nicht gleichmäßig legen, die bunten Fäden waren zu fest gestrickt und verzogen das ganze Muster, aber der Lissizyna selbst schien ihr Erzeugnis zu gefallen. Bisweilen unterbrach sie die Arbeit, um das formlose Werk ihrer Hände mit geneigtem Kopf und sichtlichem Vergnügen zu betrachten.

Als die Reisende genug hatte vom Stricken, machte sie sich ans Lesen, und sie brachte es fertig, sich dieser Beschäftigung nicht nur in dem ruhigen Eisenbahnwaggon, sondern auch in der schaukelnden Kutsche zu widmen. Sie las abwechselnd zwei schmale Bücher, von denen das eine – Feofan Zatvorniks »Abriss einer christlichen Moralunterweisung« – für eine Wallfahrt höchst angemessen, das andere hingegen – »Lehrbuch der Ballistik. Zweiter Teil« – sehr merkwürdig war, aber mit ebenso viel Aufmerksamkeit und Interesse gelesen wurde.

Als sie in Sineosjorsk an Bord des Dampfers »Heiliger Wassilisk« ging, offenbarte Polina Andrejewna einen ihrer wichtigsten Charakterzüge – ihre unersättliche Neugier – in vollem Umfang. Sie erkundete das ganze Schiff, unterhielt sich mit den in Mönchskutten gekleideten Matrosen und beobachtete, wie die gewaltigen Räder das Wasser schaufelten. Sie spähte in den Maschinenraum, hörte zu, wie ein Mechaniker den Passagieren, die das wünschten, die Funktion von Schwungrädern, Kurbelwellen und Kessel erklärte. Die Lissizyna setzte eigens ihre Brille auf (die nach der Verwandlung der Sawolshsker Nonne in eine Moskauer Adlige von der Nase in das Perlmuttetui umgezogen war) und warf sogar einen Blick in die Feuerung, wo die glühenden Kohlen Furcht erregend zischten und prasselten.

Mit anderen Neugierigen, ausschließlich Personen männlichen Geschlechts, begab sie sich danach zur Erkundung auf die Kommandobrücke des Kapitäns.

Die Exkursion wurde veranstaltet, um die Gastfreundschaft und die Großherzigkeit von Neu-Ararat zu demonstrieren, die sich nicht nur auf die Grenzen des Archipels erstreckte, sondern auch das Schiff umfasste, das den Namen des heiligen Klostergründers trug. Die Erklärungen über die Fahrrinne, die Steuerung des Schiffs und die unberechenbaren Sineosjorsker Winde gab ein Gehilfe, ein friedlich aussehender Mönch mit einer Baumwollkalotte, obwohl die Lissizyna weit mehr an Bruder Jonas, dem Kapitän des Schiffes, interessiert gewesen wäre – einem rotgesichtigen Räuber mit dichtem Bart und einer Fischerkappe aus Segeltuch, der höchstpersönlich am Steuer stand und unter diesem Vorwand die Passagiere gar nicht beachtete.

Dieses farbenprächtige Subjekt sah ganz und gar nicht aus wie ein Mönch, auch wenn er gleichfalls eine Kutte trug, und daher konnte Polina Andrejewna sich nicht enthalten, an ihn heranzutreten und ihn zu fragen:

»Sagen Sie, heiliger Vater, ist es schon lange her, dass Sie die Mönchsweihe empfangen haben?«

Der grobe Klotz sah sie von oben herab scheel an und schwieg – würde sie von ihm ablassen? Als er begriff, dass sie keine Ruhe geben würde, brummte er unwillig:

»Vor fünf Jahren.«

Unverzüglich rückte die Passagierin dicht an den Kapitän heran, damit man sich bequemer unterhalten könnte.

»Und was haben Sie zuvor gemacht?«

Der Kapitän stieß einen tiefen Seufzer aus, der keinen Zweifel offen ließ: Wenn es nach ihm ginge, würde er ihre Fragen gar nicht beanworten, sondern die unverfrorene Dame flugs von der Brücke jagen, wo Weiber nichts verloren hatten.

»Das gleiche. Steuermann war ich. Auf einem Walfänger.«

»Wie interessant!«, rief Polina Andrejewna aus, keineswegs eingeschüchtert durch den unfreundlichen Tonfall. »Deshalb hat man Sie wohl auch Jonas genannt? Wegen der Wale, ja?«

Der Kapitän vollbrachte eine echte Heldentat christlicher Demut und verzog den Mund ein wenig, was offenkundig ein besonders liebenswürdiges Lächeln bedeuten sollte.

»Nicht wegen der Wale – wegen eines Wals. Ein Bartenwal hat unser Boot mit seiner Fluke in Stücke geschlagen. Alle anderen sind ertrunken, ich allein bin wieder aufgetaucht. Der Wal hat mich zwischen seine Barten eingesogen, aber offenbar habe ich ihm nicht geschmeckt – er hat mich wieder ausgespuckt. Danach hat mich ein Schoner aufgelesen. Ich war vielleicht eine halbe Minute im Rachen des Bartenwals, doch das hat gereicht, um einen Schwur zu tun: Sollte ich überleben, wollte ich Mönch werden.«

»Was für eine erstaunliche Geschichte!« Die Passagierin war begeistert. »Und das Verblüffendste daran ist, dass Sie nach Ihrer Rettung tatsächlich Mönch geworden sind. Wissen Sie, wie viele Menschen in der Minute der Verzweiflung Gott ein Gelöbnis ablegen, aber nur die wenigsten halten es hinterher ein.«

Jonas hörte auf, ein Lächeln vorzutäuschen, und zog seine buschigen Augenbrauen in die Höhe.

»Ein Wort ist ein Wort.«

In diesem Ausspruch lagen zu gleichen Teilen so viel Unbeugsamkeit und Schmerz, dass es der Lissizyna um den armen Walfänger entsetzlich Leid tat.