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Unvermittelt wurde sie ernst und erklärte:

»Sie interessieren mich sehr. Ich möchte verstehen, was für ein Mensch Sie sind. Warum verschleudert der Erbe der Korowinschen Millionen die besten Jahre seines Lebens und gewaltige Mittel für die Heilung von Geisteskranken? Sagen Sie, wieso haben Sie beschlossen, sich mit der Psychiatrie zu beschäftigen? Aus Übersättigung? Aus leerer Neugierde und Verachtung gegenüber den Menschen? Aus dem Wunsch heraus, mit kühlen Händen in der menschlichen Seele zu wühlen? Wenn ja, dann ist das interessant. Doch ich hege den Verdacht, dass es noch einen gewichtigeren Grund gibt. Ich sehe Ihrem Gesicht an, dass Sie nicht übersättigt sind . . . Sie haben lebhafte, feurige Augen. Oder täuschte ich mich, und es ist nur die Neugierde, die da aus ihnen leuchtet?«

Geben Sie einem Mann zu verstehen, dass er Sie maßlos interessiert, dass nur Sie allein sehen, wie einzigartig und unvergleichlich er ist, wobei es nicht so wichtig ist, ob im guten oder im schlechten Sinn – das ist im Grunde der Sinn der ersten Regel. Zugegebenermaßen musste Polina Andrejewna nicht sonderlich heucheln, weil sie aufrichtig davon überzeugt war, dass jeder Mensch, wenn man ihn nur gebührend betrachtete, in seiner Art einzigartig und schon deshalb interessant war. Umso mehr galt das für einen so ungewöhnlichen Herrn wie Donat Sawwitsch Korowin.

Der Doktor musterte die Besucherin forschend, als wolle er sich auf die Veränderung, die mit ihr vorgegangen war, einstellen. Dann begann er leise und in vertraulichem Ton:

»Nein, ich habe mich nicht aus Neugier der Psychiatrie zugewandt. Eher aus Verzweiflung. Interessiert Sie das wahrhaftig?«

»Sehr!«

»Ich bin aus jugendlichem Narzissmus an die medizinische Fakultät gegangen. Zu Anfang habe ich nicht in der psychiatrischen, sondern in der physiologischen Abteilung studiert. Mit neunzehn Jahren hielt ich mich für einen Günstling Fortunas, für einen glücklichen Prinzen, der alles hatte, was ein Sterblicher besitzen kann, und ich wollte nur eines: das Geheimnis des ewigen oder wenigstens des sehr langen Lebens finden. Unter reichen Leuten ist das eine ziemlich verbreitete Art von Manie – ich habe jetzt auch einen Patienten, dessen Narzissmus pathologische Formen angenommen hat. Was nun mich selbst angeht, so habe ich vor zwanzig Jahren davon geträumt, meinen Organismus so gut zu verstehen, dass ich eine möglichst lange Funktionsdauer würde sicherstellen können . . .«

»Was hat Sie von diesem Weg abgebracht?«, rief die Lissizyna aus, als eine kleine Pause in der Rede des Doktors eintrat.

»Das, was übermäßig rationale junge Männer wahrscheinlich immer von ihrer vorausberechneten Bahn abbringt.«

»Die Liebe?«, erriet Polina Andrejewna.

»Ja. Eine leidenschaftliche, unüberlegte, alles umfassende Liebe – also eine Liebe, wie sie sein muss.«

»Wurde Ihr Gefühl nicht erwidert?«

»O doch, ich wurde ebenso leidenschaftlich geliebt wie ich selbst liebte.«

»Warum sprechen Sie mit solchem Kummer darüber?«

»Weil es die traurigste und ungewöhnlichste Liebesgeschichte ist, die ich kenne. Wir fühlten uns unwiderstehlich voneinander angezogen, doch wir konnten uns nicht eine Minute lang in den Armen halten. Sobald ich mich dem Gegenstand meiner Anbetung auf Armlänge näherte, wurde sie krank: Tränen stürzten ihr aus den Augen, die Nase lief, die Haut bedeckte sich mit rotem Ausschlag, eine unerträgliche Migräne presste ihr die Schläfen zusammen. Sobald ich mich zurückzog, verschwanden die Krankheitssymptome fast augenblicklich. Wenn ich nicht Student der Medizin gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich einen bösen Zauber vermutet, doch im zweiten Studienjahr wusste ich bereits von der rätselhaften, unerbittlichen Krankheit mit dem Namen idiosynkratische Allergie. In vielen Fällen kann man nicht sagen, woher sie kommt, und noch weniger, wie man sie heilen kann.« Donat Sawwitsch schlug die Augen nieder und schüttelte lächelnd den Kopf, als wundere er sich darüber, dass ausgerechnet ihm so etwas geschehen konnte. »Wir haben unbeschreiblich gelitten. Die mächtige Kraft der Liebe zog uns zueinander hin, aber meine Berührungen brachten meiner Angebeteten nur Unheil . . . Ich las alles, was die Medizin über Idiosynkrasie weiß, und ich verstand: Die Wissenschaften der Chemie und der Biologie waren noch zu wenig erforscht, und im Verlauf meines irdischen Daseins würden sie nicht genügend Fortschritte machen, um diesen Mechanismus der physiologischen Ablehnung eines Organismus durch einen anderen zu überwinden. Damals beschloss ich, zur Psychiatrie zu wechseln, um mich mit der Erforschung der menschlichen Seele zu beschäftigen. Auch mit meiner eigenen Seele, die mir einen so üblen Streich gespielt und mich von allen Frauen auf der Welt ausgerechnet diejenige hatte lieb gewinnen lassen, die für mich offenkundig unerreichbar war.«

»Und Sie haben sich getrennt?«, rief Polina Andrejewna, die von der Erzählung selbst sowie von dem zurückhaltenden Ton beinahe zu Tränen gerührt war.

»Ja. Es war meine Entscheidung. Nach einiger Zeit hat sie geheiratet. Ich hoffe, sie ist glücklich. Ich hingegen bin, wie Sie sehen, ledig geblieben und lebe nur für meine Arbeit.«

Ungeachtet ihrer raschen Auffassungsgabe hatte Frau Lissi-zyna nicht sogleich erraten, dass der schlaue Doktor mit ihr ebenfalls ein Spiel spielte – nur kein weibliches, sondern ein männliches Spiel, das gleichfalls uralt und unerschütterlich in seinen Regeln war. Eine zuverlässige Methode, Zugang zum Herzen einer Frau zu erlangen, ist es, ihren Sinn für Rivalität zu wecken. Am besten erzählt man eine romantische Geschichte über sich, die unbedingt ein trauriges Ende haben muss, und beweist damit gewissermaßen: Sehen Sie, zu welcher Gefühlstiefe ich früher fähig war und vielleicht auch heute noch fähig wäre, wenn sich ein würdiges Objekt fände.

Als Polina Andrejewna das Manöver durchschaute, zollte sie ihm Anerkennung, und sie musste innerlich lachen. Eine originelle Geschichte, unabhängig davon, ob sie der Wahrheit entsprach. Zudem war aus dem ganzen Monolog zu schließen, dass die Besucherin dem Doktor gefiel, und das war zweifellos schmeichelhaft, aber auch der Angelegenheit dienlich.

»Also ist Ihnen Ihre Arbeit teuer?«, erkundigte die Lissizyna sich Anteil nehmend.

»Sehr sogar. Meine Patienten sind ungewöhnliche Menschen, jeder ist auf seine Art ein Unikum. Und Einzigartigkeit ist eine Art von Talent.«

»Welche Talente haben denn Ihre Patienten? Ach bitte, erzählen Sie!«

Die runden Augen der rothaarigen Besucherin weiteten sich noch mehr in erwartungsvoller Vorfreude. An dieser Stelle kam Regel Nummer zwei zur Anwendung: den Mann auf ein Thema lenken, das ihn mehr als alles andere interessiert, um dann richtig zuzuhören. Wie viele männliche Herzen wurden mithilfe dieser einfachen Methode bereits erobert! Wie viele dumme Trinen, wie viele Bräute ohne Mitgift haben einen Freier gefunden, dass ringsum alle nur noch Bauklötze staunen konnten – wie haben sie es nur angestellt, dass sie so ein unverdientes Glück haben? Ganz einfach: Sie können zuhören.

Wenn Polina Andrejewna etwas konnte, dann zuhören. Wo es nötig war, zog sie die Augenbrauen hoch, von Zeit zu Zeit seufzte sie und griff sich auch einmal an die Brust, aber ohne auch nur im Geringsten zu übertreiben, und vor allem ohne jegliche Heuchelei, sondern mit vollkommen unverfälschtem Interesse.

Donat Sawwitsch schien zunächst ungern zu erzählen, doch angesichts der Tatsache, dass man ihm so vorbildlich zuhörte, ließ er sich allmählich mitreißen.