Er drückte an der Seite auf einen unauffälligen Knopf, und die Tür sprang federnd auf.
»Das ist ja entzückend!«, rief Frau Lissizyna begeistert aus, als sie das Vorzimmer betrat.
»Linker Hand befindet sich der Eingang ins Schlafzimmer, rechter Hand der zum Laboratorium. Die Treppe führt in den ersten Stock, dort ist das Observatorium, wo das Opfer der mysteriösen Vorgänge, Herr Berditschewski, sich zeitweilig niedergelassen hat. Wir müssen also nach rechts.«
Die Beleuchtung im Laboratorium war ungewöhnlich: An der Wand über einem Tisch, der mit allerlei komplizierten Instrumenten unbekannten Verwendungszwecks übersät war, brannte ein grelles elektrisches Licht, doch der längliche, metallene Lampenschirm verhinderte, dass das Licht gestreut wurde, sodass alle anderen Ecken des recht geräumigen Laboratoriums im dichten Schatten versanken.
Im Raum herrschte eine Unordnung, die kaum zufällig entstanden war, sondern absichtlich herbeigeführt sein musste. Am Boden lagen Bücher, eine Sanduhr, Papierfetzen, einige sorgsam ausgehobene, quadratische Rasenplatten, irgendwelche Steine. Der Physiker selbst, ein kleines Männchen mit zottigem Haar, saß bei der Lampe auf einem Stuhl. Der einzige Sessel war mit einem großen Haufen Lumpen belegt, sodass die Ankömmlinge sich nirgendwo niederlassen konnten.
»Ja, ja«, sagte Ljampe anstelle einer Begrüßung. »Wozu?«
Er blickte die unbekannte Dame an und runzelte die Stirn. Dann wiederholte er:
»Wozu?«
Korowin führte seine Begleiterin näher heran.
»Frau Lissizyna hier hat den Wunsch geäußert, Sie kennen zu lernen. Sie möchte das Spektrum ihrer Emanation erfahren. Schauen Sie sie doch einmal durch Ihre bemerkenswerte Brille an. Wie finden Sie die orangerote Strahlung?«
Der Physiker brummte undeutlich, aber offenkundig verärgert vor sich hin:
»Sie haben keine. Nur aus dem Schoß. Reproduktionsautomaten. Kein Gehirn. Himbeerrote, himbeerrote, himbeerrote. Alles Gehirn ist nur einer zuteil geworden, Mascha.«
»Mascha? Welche Mascha?«, fragte Polina Andrejewna, die gespannt zugehört hatte.
Ljampe winkte ab, ohne sie zu beachten, und sprang auf Korowin zu:
»Orange kommt später. Nicht zu denen. Emanation des Todes, das habe ich gesagt. Mascha und Toto! Nur schlimmer! Tausendmal! Ach, warum denn, warum!«
»Ja, ja.« Donat Sawwitsch nickte ihm freundlich zu wie einem Kind. »Ihre neue Emanation. Ich würde gern wissen, was Ihnen an der vorherigen nicht gepasst hat? Wenigstens haben Sie sich nicht so aufgeregt. Sie haben mir schon von der Emanation des Todes erzählt, ich erinnere mich. Ich hoffe, Sie erinnern sich auch noch, wie das damals ausging.«
Das Männchen verstummte sofort, wich jäh vor dem Doktor zurück, sprang zur Seite und presste die Hand auf den Mund.
»Na sehen Sie, so ist es besser«, sagte Korowin. »Wie laufen die Versuche mit Ihrem getreuen Sancho Pansa? Wo ist er übrigens? Oben?«
Polina Andrejewna begriff, dass es um Berditschewski ging, und hielt den Atem an.
»Ich bin hier«, erklang aus dem Halbdunkel die ihr wohl bekannte, nur seltsam träge Stimme von Matwej Benzionowitsch.
Das, was die Lissizyna für einen nachlässig auf den Sessel geworfenen Haufen alter Lumpen gehalten hatte, bewegte sich und sprach weiter:
»Guten Tag, gnädiger Herr. Guten Tag, gnädige Frau. Können Sie mir verzeihen, dass ich Sie nicht früher begrüßt habe? Ich dachte nicht, dass meine bescheidene Anwesenheit für irgendjemanden Bedeutung haben könnte. Sie, gnädiger Herr, sagten ›Sancho Pansa‹. Das ist aus einem Roman des spanischen Schriftstellers Miguel Cervantes. Sie meinten mich damit. Um Christi willen, verzeihen Sie, dass ich nicht aufstehe. Ich habe überhaupt keine Kraft. Ich weiß, wie unhöflich das ist, besonders in Gegenwart einer Dame. Verzeihen Sie, verzeihen Sie. Es gibt keine Vergebung . . .«
Matwej Benzionowitsch entschuldigte sich noch eine ganze Zeit lang in diesem kläglichen, verlorenen Tonfall, den Polina Andrejewna noch nie zuvor bei ihm vernommen hatte. Mit einem Ruck drehte sie den Lampenschirm herum, sodass der Mann im Sessel vom Lichtkegel erfasst wurde, und stöhnte auf.
Wie furchtbar verändert war der scharfsichtige, energische Stellvertreter des Gouvernements-Staatsanwalts! In seinem Körper schien kein einziger Knochen mehr zu sein – sein Rücken war ganz krumm, die Schultern hingen herab, die Hände lagen willenlos auf den Knien. Seine heftig blinzelnden Augen blickten völlig ausdruckslos, die Lippen bewegten sich immerzu und stammelten zahllose, allmählich leiser werdende Entschuldigungen.
»Mein Gott, was ist Ihnen zugestoßen?«, schrie die Lissizyna entsetzt und ließ sämtliche spitzfindigen Pläne außer Acht.
Als sie das Cottage Nummer sieben betrat, war Polina Andrejewna darauf vorbereitet, dass Matwej Benzionowitsch, der sie auch früher schon als »Moskauer Adlige« gesehen hatte, seine alte Bekannte erkennen würde, und sie hatte sich für diesen Fall eine glaubwürdige Erklärung zurechtgelegt, doch nun war offensichtlich, dass ihre Befürchtungen vergebens gewesen waren. Berditschewski wandte seinen Blick langsam der jungen Dame zu, blinzelte und erklärte höflich:
»Mir ist eine sehr unangenehme Sache zugestoßen. Ich habe den Verstand verloren. Verzeihen Sie, aber da kann man nichts machen. Es ist mir wirklich sehr unangenehm. Verzeihen Sie, um Christi willen . . .«
Korowin trat zu dem Kranken, packte seine schlaffe Hand und fühlte den Puls.
»Ich bin es, Doktor Korowin. Sie können mich nicht vergessen haben, wir haben uns erst heute Morgen gesehen.«
»Jetzt erinnere ich mich«, sagte Berditschewski langsam und nickte wie ein Holzklotz. »Sie sind der Leiter dieser Einrichtung. Entschuldigen Sie, dass ich Sie nicht sofort erkannt habe. Ich wollte Sie nicht kränken. Ich wollte niemanden kränken. Noch nie. Verzeihen Sie mir, wenn Sie können.«
»Ich verzeihe Ihnen«, unterbrach Donat Sawwitsch ihn hastig, und an seine Begleiterin gewandt erklärte er: »Wenn man ihm nicht Einhalt gebietet, wird er sich stundenlang entschuldigen. Das sind die unerschöpflichen Abgründe eines universalen Schuldbewusstseins.« Er beugte sich über den Patienten und hob mit dem Finger ein Augenlid an. »Hm, tja. Sie haben wieder schlecht geschlafen. Weshalb, wieder Wassilisk?«
Matwej Benzionowitsch rührte sich nicht, versuchte nicht einmal, sein offen stehendes Lid zu schließen, und begann zu weinen – leise, kläglich, untröstlich.
»Ja. Er hat zum Fenster hereingeschaut, geklopft und mir gedroht. Er kommt und raubt meinen Verstand. Mir ist doch jetzt schon fast nichts mehr geblieben, aber er kommt immer wieder. . .«
»Zu Anfang habe ich ihn drüben auf dem Diwan schlafen lassen«, Korowin wies auf eine dunkle Ecke. »Doch der schwarze Mönch begann, nachts bei Herrn Berditschewski ans Fenster zu klopfen. Dann habe ich ihm oben ein Bett machen lassen, im Observatorium. Zwei Nächte hatten wir Ruhe, und jetzt, Sie sehen es, sind Wassilisk Flügel gewachsen, und er kommt ohne weiteres bis in den ersten Stock.«
»Ja«, schluchzte der stellvertretende Staatsanwalt. »Er schert sich nicht darum. Ich habe die magische Formel gerufen, und da hat er sich zurückgezogen und ist einfach verschwunden.«
»Immer noch die gleiche Formel? ›Ich glaube, oh Herr«
»Ja.«
»Na sehen Sie, Sie haben gar nichts zu befürchten. Wassilisk fürchtet sich vor Ihrer magischen Formel.«
Berditschewski flüsterte mit zitternder Stimme:
»In der Nacht kommt er wieder, raubt mir noch den letzten Verstand. Und dann vergesse ich, wer ich bin. Ich verwandle mich in ein Tier. Das bereitet Ihnen eine Menge Unannehmlichkeiten, Sie sind schließlich kein Veterinär, Sie behandeln keine Tiere. Ich bitte schon im Voraus um Entschuldigung . . .«
»Hm, ja«, seufzte Donat Sawwitsch und rieb sich entmutigt das Kinn. »Ich kann ihm natürlich zur Nacht ein Morpheogenum verabreichen, aber wer weiß, was er dann träumt. Vielleicht etwas viel Schlimmeres . . . Was soll ich nur machen?«