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Unvermittelt beachtete sie die Brünette, die vor Wut ganz blass war, überhaupt nicht mehr, und sie begann, sich mit dem Hausherrn ausführlich über Literatur zu unterhalten – ein Thema, bei dem Frau Borejko nicht mitreden wollte oder konnte.

Den Doktor schien diese vor seinen Augen stattfindende unblutige Schlacht überaus zu amüsieren, und er goss noch Öl ins Feuer.

Zunächst hielt er eine Lobrede auf rote Haare, die nach seinen Worten ein zuverlässiges Anzeichen für einen außergewöhnlichen Charakter seien. Polina Andrejewna horte das sehr gerne, doch unter den Blicken von Lidia Jewgenjewna, die ihr die von Donat Sawwitsch hochgerühmten »Feuerlocken« wohl mit Vergnügen einzeln ausgerissen hätte, zuckte sie unwillkürlich zusammen.

Selbst der prächtige Appetit der Moskauer Pilgerin diente Korowin als Anlass für ein Kompliment. Als er bemerkte, dass Polina Andrejewnas Teller schon wieder leer war, gab Donat Sawwitsch dem Lakaien ein Zeichen und sagte:

»Mir haben Frauen, die sich nicht zieren, sondern gut und mit Vergnügen essen, schon immer gefallen. Das ist ein untrügliches Zeichen echter Lebensfreude. Nur eine Frau, die Geschmack am Leben findet, ist in der Lage, einem Manne Glück zu schenken.«

Mit dieser Bemerkung fand die Mahlzeit ein abruptes, ja stürmisches Ende.

Lidia Jewgenjewna schleuderte ihre blitzende, von keiner Berührung mit Speisen befleckte Gabel von sich und schlug die Hände zusammen wie ein verletzter Vogel seine Flügel.

»Peiniger! Folterknecht!«, schrie sie so laut, dass das Kristall auf dem Tisch klirrte. »Warum quälst du mich! Und sie, sie . . .«

Mit einem stechenden Blick auf Frau Lissizyna stürzte Lidia Jewgenjewna aus dem Zimmer. Der Doktor dachte gar nicht daran, ihr hinterherzulaufen – im Gegenteil, seine Miene trug den Ausdruck völliger Zufriedenheit.

Polina Andrejewna war von diesem letzten Blick der exaltierten jungen Dame – einem Blick, in dem wütender, verzehrender Hass brannte – so erschüttert, dass sie sich fragend an Korowin wandte.

»Verzeihen Sie.« Der Doktor zuckte die Schultern. »Ich erkläre Ihnen gleich, was dieser Auftritt zu bedeuten hat. . .«

»Das ist nicht nötig«, erwiderte die Lissizyna kalt, während sie sich erhob. »Verschonen Sie mich mit Ihren Erklärungen. Ich verstehe jetzt nur allzu gut, dass Sie diesen Ausgang des Gesprächs vorausgesehen und meine Anwesenheit für mir nicht bekannte, aber üble Zwecke benutzt haben.«

Donat Sawwitsch sprang auf und blickte jetzt nicht mehr zufrieden, sondern bestürzt.

»Ich schwöre Ihnen, es ist nichts Übles daran! Das heißt, einerseits bin ich natürlich schuldig vor Ihnen, dass . . .«

Polina Andrejewna ließ ihn nicht ausreden:

»Ich werde Ihnen nicht zuhören. Leben Sie wohl.«

»Warten Sie! Ich habe versprochen, Sie in die Stadt zurückzubringen. Wenn . . . wenn meine Gesellschaft Ihnen so unangenehm ist, dann fahre ich nicht mit, aber gestatten Sie wenigstens, Ihnen die Equipage zur Verfügung zu stellen!«

»Ich brauche nichts von Ihnen. Ich kann Intriganten und Manipulanten nicht ertragen«, entgegnete die Lissizyna verärgert, bereits im Vorzimmer, und sie warf sich ihren Mantel über die Schultern. »Sie brauchen mich nicht wegzubringen. Irgendwie komme ich schon selbst zurück.«

»Aber es ist schon spät, und es ist dunkel!«

»Das macht nichts. Ich habe gehört, dass es auf Kanaan keine Verbrecher gibt, und vor Erscheinungen habe ich keine Angst.«

Sie wandte sich stolz um und ging hinaus.

Eine aus dem Kriegsvolk

Als sie Korowins Haus verlassen hatte, beschleunigte Polina Andrejewna ihren Schritt. Hinter den Büschen setzte sie die Kapuze auf, sie schlug die Mantelenden fest übereinander und war beinahe unsichtbar in der Finsternis. Selbst wenn Korowin gewollt hätte, wäre es nicht einfach gewesen, seine zart besaitete Besucherin in der Herbstnacht ausfindig zu machen.

Um die Wahrheit zu sagen: Polina Andrejewna war keineswegs gekränkt über den Doktor, und es bliebe noch zu klären, wer wen im Laufe des unglücklich verlaufenen Abendessens ausgenutzt hatte. Zweifellos hatte der Doktor seine eigenen Gründe, die schwarzäugige Schönheit zu erzürnen, doch auch Frau Lissizyna hatte nicht ohne Grund die Rolle der arroganten Dame aus der Hauptstadt gespielt. Alles war genauso gekommen, wie sie es beabsichtigt hatte: Polina Andrejewna befand sich völlig allein mitten auf dem Klinikgelände und hatte völlige Handlungsfreiheit. Deswegen hatte sie zuvor den Umhang gegen den langen Mantel eingetauscht, in dem man sich so bequem in der Dunkelheit bewegen und nahezu unsichtbar bleiben konnte.

Das Ziel des Angriffs, der den Skandal und den Streit provoziert hatte, war erreicht. Nun stand ihr eine weniger schwierige Aufgabe bevor – im Wald das Palmenhaus ausfindig zu machen, wo der unglückliche Aljoscha Lentotschkin zwischen tropischen Gewächsen hauste. Sie musste ihn allein sehen, ohne Zeugen und vor allem ohne den Leiter der Heilanstalt.

Frau Lissizyna blieb auf der Allee stehen und versuchte, sich zu orientieren.

Vorhin, als sie mit Donat Sawwitsch zum Haus des verrückten Künstlers gegangen war, hatte sie rechts über der Hecke eine gläserne Kuppel gesehen – wahrscheinlich war das das Palmenhaus.

Aber wo war die Stelle? Hundert Schritt entfernt? Oder zweihundert?

Polina Andrejewna ging weiter und starrte in die Dunkelheit.

Hinter einer Wegbiegung hervor kam ihr plötzlich jemand mit schnellem, ruckartigem Gang entgegen, und die Kundschafterin konnte gerade noch zurückweichen und sich reglos gegen die Sträucher drücken.

Der Jemand, hoch aufgeschossen und mit gebückter Haltung, schlenkerte mit seinen langen Armen. Plötzlich blieb er zwei Schritte von der Frau entfernt stehen und murmelte:

»Also. Noch einmal, und deutlicher: Die Endlosigkeit des Universums bedeutet eine endlose Wiederholbarkeit von Varianten zur Reihung von Molekülen, und das bedeutet, dass die durch mich bestimmte Reihung von Molekülen noch unzählige Male wiederholt wird, und daraus folgt, dass ich nicht allein im Universum bin, sondern dass es mich in endloser Menge gibt, und wer genau aus dieser Menge sich jetzt hier befindet, ist absolut unmöglich zu bestimmen . . .«

Noch einer aus Doktor Korowins Sammlung »interessanter Menschen«, erriet die Lissizyna. Der Patient nickte sich befriedigt zu und schritt vorbei.

Er hatte sie nicht bemerkt. Uff!

Polina Andrejewna holte tief Luft und ging weiter.

Was blinkte denn da rechter Hand im Mondlicht? Es sah aus wie ein Glasdach. Das Palmenhaus?

Es war das Palmenhaus, ein riesiges Gebäude – ein richtiger Glaspalast.

Leise quietschte die durchsichtige, fast unsichtbare Tür, und der Lissizyna schlugen seltsame Düfte, Feuchtigkeit und Wärme entgegen. Sie machte ein paar Schritte auf einem kleinen Weg, blieb mit dem Fuß irgendwo hängen, an einem Schlauch oder einer Liane, und streifte mit der Hand irgendwelche Stacheln.

Sie schrie auf vor Schmerz und lauschte.

Stille.

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und rief:

»Alexej Stepanowitsch!«

Nichts, kein Rascheln.

Sie versuchte es lauter:

»Alexej Step anowitsch! Aljoscha! Ich bin es, Pelagia!«

Was raschelte denn da in der Nähe? Waren das Schritte?

Sie lief schnell in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und schob Zweige und Halme auseinander.

»So antworten Sie doch! Wenn Sie sich verstecken, kann ich Sie nicht finden!«

Ihre Augen gewöhnten sich allmählich an die Dunkelheit, die doch nicht so undurchdringlich war. Ein blasses Licht sickerte ungehindert durch das Glasdach, wurde von den breiten, glänzenden Blättern zurückgeworfen, funkelte in den Tautropfen und verdichtete die bizarren Schatten.